Der 6. Juli 2023 wird Klaus Krombholz wohl für immer Gedächtnis bleiben. Gegenüber dem SÜDKURIER schildert der 85-jährige Stockacher den Tag so: Nichts Böses ahnend sei er laut eigenen Aussagen am späten Nachmittag in der Nähe des Tennisplatzes Am Osterholz spazieren gegangen. Dies sei sein täglicher, zweistündiger Spaziergang. Plötzlich habe er auf der Brücke beim Tennisplatz drei schwarz gekleidete Personen vor sich gesehen. Sie hätten einen Helm getragen und eine Schusswaffe im Anschlag gehabt – und seien auf ihn zugekommen. Dann hätten sie etwas gerufen. Er habe sie nicht verstanden, aber gedacht: „Das kann nichts mit mir zu tun haben.“
Krombholz sagt, er habe sich umgeblickt und allmählich realisiert: Es gehe doch um ihn. Wenig später sei er mit Handschellen an den Armen und Gesicht im Kies auf dem Boden gelegen. Ein Schock für ihn – und ein Fehlverhalten der Polizei? Er macht den Beamten jedenfalls schwere Vorwürfe. Doch was ist passiert? Und wer ist im Recht?
Zeugin meldete einen bewaffneten Mann
Katrin Rosenthal, Pressesprecherin beim Polizeipräsidium Konstanz, bestätigt diese Schilderungen grundsätzlich, verteidigt das Vorgehen der Polizei jedoch als vorschriftsgemäß. Sie sagt: Die Polizei habe einen Anruf erhalten. Eine Zeugin habe darin von einer Person berichtet, die mit einer Schusswaffe in der Hand auf dem Waldweg am Freibad zu Fuß unterwegs sei. Sie solle vom Eisweiher in Richtung Sportplatz gehen. Die Frau habe weiter gesagt, sie könne sehen, wie die Person die Waffe dann in die Hosentasche steckt. Die besagte Person ist Klaus Krombholz.

Ging der 85-Jährige, der seit 25 Jahren in Stockach lebt und sich nichts zu Schulden hat kommen lassen, tatsächlich mit einer Schusswaffe spazieren? „Nein, natürlich nicht“, sagt er. Die vermeintliche Pistole sei in Wahrheit ein Unterarm- und Fingertrainer, den Krombholz seit zwei Jahren immer bei Spazierengehen benutzt. Die Polizei bestätigt das auf SÜDKURIER-Nachfrage. Hätte sie also überhaupt so reagieren dürfen?
85-Jähriger muss sich bäuchlings auf den Boden legen
Klaus Krombholz schildert den Vorfall jedenfalls so weiter: Als die bewaffneten Beamten auf ihn zukommen seien, habe er das Trainingsgerät sofort weggeworfen. Er habe die Hände gehoben und die Anweisungen der Beamten befolgt, sich hinzulegen. Dann habe er sich bäuchlings auf dem Boden gelegt, alle Viere von sich gestreckt und die vermeintliche Waffe fünf Meter entfernt.
Spätestens da hätten die Beamten doch erkennen müssen, dass er harmlos sei, findet er. Doch eigentlich hätten sie auch schon zuvor per Fernglas schauen können, ob er tatsächlich eine Waffe bei sich habe, wirft Krombholz den Einsatzkräften vor.
Polizei: Beamte handelten nach den Vorschriften
Katrin Rosenthal erklärt, dass bei Einsätzen, bei denen eine Schusswaffe gemeldet wird, höchste Vorsicht geboten sei. Die Kollegen hätten daher, wie üblich und auch vorgeschrieben, die Zusatzausstattung mit Helm angelegt. „Durch diese zusätzliche Schutzausstattung sehen und wirken die eingesetzten Beamten bedrohlicher und befremdlicher aus, als nur in normaler Uniform mit Schutzweste“, zeigt Rosenthal Verständnis für Krombholz Schock.
Doch bei einer solchen Meldung müsse die Polizei immer von einem Ernstfall ausgehen, egal welches Alter der Betroffene hat. Zwar könne per Fernglas vielleicht der Gegenstand in der Hand als ungefährlich identifiziert werden. „Gleichwohl bleibt die Aussage der Anruferin, dass der Mann die Waffe in die Hosentasche gesteckt hätte“, sagt Rosenthal. Es sei nicht auszuschließen gewesen, dass die Person eine weitere Waffe bei sich trägt.
Rosenthal berichtet weiter: „Beim Antreffen hielt der Mann einen Gegenstand in der Hand, der von den Beamten als „pistolenähnlich“ wahrgenommen wurde.“ Sie hätten ihn dennoch nicht zu Boden gebracht, sondern verbal dazu aufgefordert, sich selbst hinzulegen.
Betroffener spricht von Unverhältnismäßigkeit
Doch warum das weiterhin rabiate Vorgehen, als der 85-Jährige bereits am Boden ist? Denn laut Krombholz hätten die Polizisten „das ganze Programm durchgezogen“. Sie sollen sein Gesicht in den Kies des Parkplatzes gedrückt, seine Arme „ruppig auf den Rücken gezerrt“ und ihm Handschellen angelegt haben. Und das, obwohl er bereits 85 Jahre alt und offensichtlich harmlos sei. Er spricht daher von einer Unverhältnismäßigkeit.
Rosenthal erklärt: „Der Betroffene hatte zwar den Gegenstand in seiner Hand abgelegt, es ist jedoch stets davon auszugehen, dass eine Person bis zu deren abgeschlossener Durchsuchung noch gefährlich sein kann und weitere Waffen bei sich trägt.“ Deshalb bleibe ein Verdächtiger bis zum Ende der Durchsuchung immer gefesselt. Die Beamten hätten Krombholz auch jede Maßnahme und deren Grund erklärt, was dieser jedoch bestreitet.
Polizei zieht Trainingsgerät ein und lassen 85-Jährigen auf Parkplatz zurück
Aber auch was nach dem Vorfall passiert ist, entsetzt Klaus Krombholz. „Eine Entschuldigung und das Angebot, einen physisch und psychisch angeschlagenen Senior nach Hause zu bringen, wäre eine Möglichkeit gewesen, die Sache zu beenden“, findet er. Stattdessen hätten die Beamten jedoch sein Trainingsgerät mit dem Hinweis eingezogen, er könne es auf dem Revier abholen. Sie hätten ihn allein auf dem Parkplatz zurückgelassen. Später habe Krombholz an sich „zahlreiche Hämatome, Schocksymptome und Kreislaufattacken“ bemerkt.

Mit diesem Vorwurf konfrontiert, antwortet Katrin Rosenthal, Klaus Krombholz habe sich im weiteren Gespräch „den Beamten gegenüber völlig uneinsichtig gezeigt, das betreffende Handtrainingsgerät künftig nicht mehr so zu tragen, dass Missverständnisse entstehen können.“ Sie hätten es deshalb einbehalten und an das Revier Stockach übergeben. Der 85-Jährige sagt hingegen, es habe keine solche Diskussion gegeben. Seine Frage, ob er das Gerät zurückhaben könne, habe einer der Beamten verneint und es ohne Begründung eingezogen.
Laut Katrin Rosenthal habe Krombholz zudem den Einsatzkräften gegenüber keine gesundheitlichen Probleme oder den Wunsch nach Hilfe geäußert. Ansonsten hätten sie sich „selbstverständlich um ihn gekümmert.“ Außerdem stünden die Türen des Reviers jederzeit für eine persönliche Kontaktaufnahme Betroffener offen, um Unstimmigkeiten auszuräumen. Ein Wort des Bedauerns über die Umstände für den unschuldigen 85-Jährigen oder eine Entschuldigung äußerte die Polizei auf SÜDKURIER-Nachfrage jedoch nicht.