Das Thema Ortsumfahrung schwelt in Stockach schon seit Längerem. Denn wer versucht, mit dem Auto durch die Radolfzeller Straße, die Heinrich-Fahr-Straße oder die Meßkircher Straße zu fahren, steht oft im Stau. Hierunter leiden neben den Fahrern besonders die Anwohner, die unmittelbar mit dem Lärm und der Luftverschmutzung der Fahrzeuge konfrontiert sind.

Um eine Entlastung zu schaffen, gibt es seit zehn Jahren die Überlegung, eine Umgehungsstraße um Stockach zu bauen. Viel war in der Vergangenheit auf mehreren Ebenen und in verschiedenen Gremien, zum Beispiel im Gemeinde und beim Regierungspräsidium Freiburg, darüber diskutiert worden – bis jetzt allerdings ohne ein richtiges Ergebnis.

Straßenplaner Bernd Rüffer kritisiert bisherigen Kosten-Nutzen-Rechnungen zu Westumfahrung und deren Sinn scharf.
Straßenplaner Bernd Rüffer kritisiert bisherigen Kosten-Nutzen-Rechnungen zu Westumfahrung und deren Sinn scharf. | Bild: Dominique Hahn

Um das Thema im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf den Tisch zu bringen, fand nun im Rahmen des Formats „Runder Tisch Mobilität“ ein Diskussionsabend über die Stockacher Westumfahrung statt. Dem Ruf folgten rund 30 Personen, die sich im Umweltzentrum in der Stockacher Oberstadt einfanden.

Kosten-Nutzungen-Abwägung fällt negativ aus

Moderiert von Hans Steißlinger, dem Leiter der BUND-Ortsgruppe Bodman-Ludwigshafen, referierte der Stockacher Straßenplaner Bernd Rüffer und brachte erstaunliche Erkenntnisse auf den Tisch, die den gesamtwirtschaftlichen Nutzen der Umgehungsstraße in Frage stellten. Sie zeigten zumindest laut den beiden Vortragenden, wie Ergebnisse der Verkehrsuntersuchung der Stadt durch das Unternehmen Modus Consult innerhalb der prognostizierten Entlastungswirkung im Bundesverkehrswegeplan „schön gerechnet“ worden seien, um den eigentlichen Nutzen-Kosten-Faktor zu verschleiern.

„Betrachtet man die Nutzen-Kosten-Analyse der von allen Parteien favorisierten Umgehungsstraßen-Variante 1b, also mit einer Querverbindung von der B14 zur B313, so ergibt sich nach neuesten Erkenntnissen nur noch ein sehr niedriger Faktor, bei dem der Nutzen geringer ist als die Kosten“, erläuterte Bernd Rüffer seine Einschätzung den Anwesenden.

Im Klartext bedeute die Straßenvariante 1b für Personenwagen demnach lediglich eine zeitliche Ersparnis von zwei Minuten, während Lastwagen eine 7,2-prozentige Steigung hochfahren müssten, um die Talbrücke oben am Hang zu erreichen. Der derzeitig vorliegende Entwurf für die Straße sei jedoch nur zweispurig, weshalb die Steigung auch für alle Autos, die hinter einem Lastwagen festhängen, Verzögerungen bedeute. Dreispurig müsste die Straße laut Rüffer schon sein, damit der Verkehr dort überhaupt fließen könne. Den geplanten, zweispurigen Querschnitt könne man so nicht bauen, behauptete er.

Kritik von einigen Diskussionsteilnehmern

Danach zeigte Rüffer dann in seiner Präsentation ein virtuelles Bild der Trasse mit Talbrücke am Nellenburger Hang – und welche optischen Folgen die Umfahrung hätte. „Was man sehen kann, kann man auch hören“, sagte eine Diskussionsteilnehmerin, deren Schlafzimmerfenster laut eigener Aussage genau in Richtung der Talbrücke zeigt.

Hier sieht man die ortsnahe Variante der Stockacher Westumfahrung (Variante 1b), die mit einer Talbrücke am Nellenburger Hang entlang ...
Hier sieht man die ortsnahe Variante der Stockacher Westumfahrung (Variante 1b), die mit einer Talbrücke am Nellenburger Hang entlang führen soll. Das Bild stammt aus dem Projektinformationssystem (PRINS) des Bundesverkehrswegeplans 2030 des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr. | Bild: Bundesministeriums für Digitales und Verkehr

Ein anderer, entrüsteter Teilnehmer stand auf, zeigte auf ein kleines Häuschen direkt unterhalb der Talbrücke und sagte: „Nur als kleiner Fun-Fact: Hier wohne ich.“ Ein anderer Diskussionsteilnehmer, der Stockacher Mediziner Tobias Bösing, formulierte es so: „Die Kosten, die die Stadt Stockach für diese Umgehungsstraße tragen würde, wären die Umweltbelastung, weiterer Verkehrslärm und auch Prestigeverlust. Von wegen Stockach – das Tor zum Bodensee: Das wäre dann romantische Vergangenheit.“

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BUND-Leiter wünsch mehr Engagement der Bürger

Der Bau der Umgehungsstraße würde, so Rüffer, frühestens im Jahr 2033 beginnen. Denn die Vorplanung brauche gut zwei Jahre, ein Jahr der Vorentwurf, zwei Jahre das Planfeststellungsverfahren und mindestens zwei Jahre die Ausführungsplanung, die sich zeitlich auch noch verzögern würde, falls gegen den Plan geklagt werden würde. „Aber kann man solche eine Entwurfsplanung überhaupt machen ohne den Willen der Bevölkerung?“, fragte Hans Steißlinger vom BUND.

Er hoffe, dass sich die Stockacher Bevölkerung mehr für dieses Thema interessiert und dagegen engagiert. Denn schließlich sei die Bevölkerung laut Steißlinger im gesamten Verlauf der bisherigen Überlegungen, welche zumeist im Stockacher Gemeinderat stattgefunden hätten, überhaupt nie befragt worden. „Die Zeiten sind vorbei, in denen wir, wie vor 50 Jahren, einfach eine Umgehungsstraße in Wald und Wiese bauen“, so Steißlinger.

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Welche Alternativen gäbe es?

Er bestätigt aber, dass man natürlich auch Alternativen bringen müsse. Diese könnte zum Beispiel ein drastischer Ausbau des ÖPNV mit Verlängerung der Ablachtalbahn und einem ausgeweiteten Fahrplan am Abend und am Wochenende sein. Zudem schlug Steißlinger durchgängiges Tempo 30 in Stockach vor, denn eine Halbierung der Geschwindigkeit brächte auch eine Halbierung des Lärmpegels.

Als weitere Ideen kamen auch eine Tieferlegung des Bahnübergangs an der Schießer-Kreuzung, Fahrverbote für Lastwagen zu Stoßzeiten und eine Optimierung der Radwege in Stockach ins Gespräch. In jedem Fall müsse man das Thema komplett neu über- und durchdenken, gerne und hoffentlich auch mit Unterstützung von Bürgermeisterin Susen Katter. Darin waren sich alle Anwesenden einig.

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Hans Steißlinger zog das Fazit, dass offenbar jahrelang die seiner Meinung nach schöngerechneten Zahlen dazu verwendet worden waren, um ein Prestigeprojekt voranzutreiben, das der „dumm verkauften“ Stockacher Bevölkerung außer noch mehr Lärm und einer Verschandelung der Umwelt nichts brächte. Er sagte: „Ohne Offenheit und Wahrheitsliebe werden wir buchstäblich unsere Biosphäre und damit die Lebensgrundlagen zerstören.“