Auf dem Wohnzimmertisch in einem gemütlichen Haus in Hindelwangen mit dem wohlklingenden Namen „Haus Postillon“ stapeln sich mehr als ein Dutzend Alben. Davor sitzt Helmut Dietz, lächelt zufrieden und erklärt: „Alles von La Paloma.“ Seine hellblauen Augen strahlen glücklich, während seine Hände beinahe liebevoll über die Albendeckel streichen. Hier und da, wenn eine Seite aufgeblättert wird, eröffnen sich dem Betrachtenden alte Zeiten und eine nostalgisch anmutende Welt von früher.
Der Stockacher Helmut Dietz ist im Januar 90 Jahre alt geworden. Viel Leben liegt schon hinter ihm, mit allen möglichen Höhen und Tiefen und auch mit einem erfüllten Beruf als Post-Obersekretär. Was jedoch neben der innigen Liebe zu seiner Ehefrau Ellenruth den allergrößten Stellenwert in Dietz Leben einnimmt, ist die Musik – so ist es noch heute und so ist es schon immer gewesen.
Mit Tanzkapelle ständig auf Tour
Als Akkordeonist leitete Helmut Dietz 25 Jahre lang seit dem Jahr 1958 die Stockacher Tanz- und Stimmungskapelle „La Paloma“ und widmete ihr nahezu all seine Freizeit. Die Band sei ständig „auf Tour“ gewesen, weiß Ehefrau Ellenruth zu berichten. Gespielt habe „La Paloma“ nicht nur in Stockach, den Stockacher Ortsteilen und der nahen Umgebung. Nein, die Fahrten seien hoch bis Sigmaringen gegangen, über Meßkirch, Krauchenwies oder Göggingen.
Die Ehefrau saß an der Konzertkasse
„Als junge Frau war ich oft unzufrieden, weil Helmut immer so viel unterwegs war“, erzählt Ellenruth Dietz. Sie fügt aber hinzu, dass auch sie dadurch viel herumgekommen sei. Zusammen mit Franz Ströhle aus Deutwang habe sie bei den Veranstaltungen die Kasse gemacht und so auch immer viel erlebt. „Geschichten erzählen, kann man da viele“, sagt sie und erwähnt eine spontane Schlacht unter den Konzertbesuchern mit Fallobst vor dem Mühlinger Gasthaus Kreuz.
Und ein Mal sei Helmut Dietz rückwärts von einer Bühne gestürzt, weil er sich vertrauensvoll und ins Spiel vertieft an die Kulisse gelehnt hatte. Getan habe er sich dabei nichts, habe aber für gute Lacher gesorgt – denn mit zerrissenem Ärmel habe er ganz professionell seine Musik weitergespielt, als sei nichts gewesen.

Musik spiele in der ganzen Familie eine große Rolle – früher beim Vater, beim Schwiegervater, dem Paten-Neffen Bernhard Muffler oder eben bei ihrem Mann, so Ellenruth Dietz. Ihr Mann habe stets die neuesten Platten gekauft, die Stücke dann frei einstudiert und mit der Band eingeübt. „Tanzmusik nach Noten spielen – das ist nicht akzeptabel“, mahnt Helmut Dietz, der immer alles nach Gehör spielte.
Ellenruth Dietz selbst spiele lediglich die Mundharmonika, habe aber damals 1945 auf der Flucht aus Westpreußen so einige mit ihren Melodien zum Weinen gebracht. Auf einem Umweg über Thüringen sei Ellenruth Dietz dann 1955 nach Stockach gelangt, wo sie schließlich Helmut Dietz begegnet sei: Im Postgebäude in Stockach, wo sie oben als Telefonvermittlerin gearbeitet habe und er unten als Post-Obersekretär.

Band war auch bei Groupies begehrt
„Dass ich den Mann im Laufe der Jahre durchaus auch an eine andere hätte verlieren können, wurde mir erst später klar“, sagt Ellenruth Dietz. Denn unter den vielen Fans von „La Paloma“, die der Band zu allen Konzerten und der Familie bis in den Urlaub hinterher reisten, waren auch so einige treue Anhängerinnen, heute würde man sie als „Groupies“ bezeichnen. Diese verehrten vermutlich nicht nur die musikalischen Darbietungen, sondern auch die Interpreten.
Fanpost habe es jedenfalls stetig en masse gegeben, auch von den Damen. „Aber ich hätte sicherlich auch hier und da Chancen gehabt“, fügt Ellenruth Dietz schelmisch hinzu.

Sie erzählt, wie zurückhaltend und brav es bei den damaligen Tanzabenden zugegangen sei, aber dass der wöchentliche Tanzabend im Leben vieler Leute einen wichtigen Stellenwert gehabt habe: „Als die Discokugeln aufkamen, wurden die Männer ganz kirre im Kopf, weil man da nämlich bei den Damen plötzlich so viel durch die Blusen durchscheinen sehen konnte.“ Und besonders spannend sei es ja immer geworden, wenn dann „Damenwahl“ dran war. Da seien öfters mal Verbindungen oder Beziehungen entstanden, die in eine Hochzeit gemündet hätten, bei der „La Paloma“ dann wieder gespielt habe.
Dieses Jahr steht die eiserne Hochzeit an
Manche dieser Ehen haben bis zum heutigen Tage gehalten. So auch die Ehe von Ellenruth und Helmut Dietz, die im Jahr 1959 geheiratet hatten. In diesem Jahr wird im Hindelwanger „Haus Postillon“ die eiserne Hochzeit (65 Jahre Ehe) gefeiert. Die große Liebe, die beide immer noch verbindet, merkt man ihnen an, wenn sie sich sanft aneinander lehnen und ihre Hände sich berühren.