Die drei gut gelaunten Damen bringen ihre schicken Kleidungen nochmals kurz in Form. Sie erwarten den Tengener Bürgermeister vor dem Rathaus. „Der ist doch schon in seiner zweiten Amtszeit tätig, so viel, wie er bisher gemacht hat“, rätselt die frühere Bundestagsabgeordnete Birgit Homburger aus Hilzingen. Ihre FDP-Kollegin und regionale Bundestagskandidatin Kollegin Ann-Veruschka Jurisch will da nicht widersprechen. Auch nicht Nicola Beer, die Vizepräsidentin des EU-Parlaments in Brüssel.
Mit elanvollen Schritten gesellt sich Schreier zum FDP-Frauentrio, lässig und ganz in schwarz gekleidet. Der Mann mit dem roten SPD-Parteibuch wirkt fast noch jünger als seine 31 Jahre. So wird auch schnell klar, dass Schreier, der bei der Stuttgarter OB-Wahl nur knapp hinter dem Sieger lag, erst im siebten Jahr seiner ersten Amtszeit die Geschicke von Tengen leitet. Es herrscht launige Stimmung. Schreier findet schnell klare Worte für das, was die Tengener umtreibt. Er artikuliert gewohnt präzise – und er kann Raritäten vorzeigen.

Das neue Ärztehaus samt Einrichtungen, wie eine Kindertagesstätte und direkt nebenan befindlicher Tagespflege, bezeichnet Schreier als einmalig in Baden-Württemberg. Denn: Mit einer von 400 Mitgliedern getragenen Genossenschaft sei der 3,5 Millionen teure Bau des Ärztehauses vor allem ein Gemeinschaftswerk der Bürger. „Die Bürger wollen die ärztliche Versorgung auf dem Land und die Infrastruktur selbst sichern“, erklärt Schreier.
Die EU-Vizepräsidentin gibt sich wie ihre Parteifreundinnen beeindruckt. Auch beim Rundgang durch das Gebäude. Dabei fallen Themen wie Personalmangel bei der Kinderbetreuung und der Pflege. Kooperationen bei den beiden Bereichen könnten ein künftiger Lösungsansatz werden, vor allem, wenn sie räumlich wie im Tengener Ärztehaus so nah beieinander liegen. Schreiers Ideen finden Diskussionsstoff. Genauso wie die digitale Versorgung von Tengen.

Ansinnen ist es, alle 1200 Haushalte von Tengen und den acht Stadtteilen mit schnellem Internet zu versorgen. „Die finanziellen Mittel durch die 90-prozentige Förderung von Bund und Land würden ausreichen. Es gibt aber große bürokratische Hürden, vor allem durch die komplizierten Ausschreibungen“, erklärt der Bürgermeister und gibt den Ball direkt an den Hauptgast, Nicola Beer, weiter. Die Ausschreibungen laufen EU-weit.
Vorgaben sorgen für Konfliktpotential
„Ich traue Ihnen zu, dass Sie mit Durchsetzungsvermögen auch andere Bürgermeister mit eigenen Ideen überzeugen. Gemeinsam sollten schon im Vorfeld durch eine gute Kommunikation Vorschläge für Förderprogramme gemacht werden, bevor solche zur Verabschiedung kommen“, ermutigt Nicola Beer den Tengener Rathauschef. Sie wertet als gutes Beispiel, dass Tengen und sechs weitere Gemeinden des Hegaus im Schulterschluss ihren wichtigen Beitrag zum Klimaziel erreichen wollen. Etliche Vorgaben von Bund und Land müssten aber die Kommunen selbst austragen, so Schreier. Es gebe oft großes Konfliktpotential, wie beim Ausbau der Windkraft durch Einsprüche des Tier- und Naturschutzes. Im Tengener Stadtteil Wiechs stehen drei Windkraftanlagen, weitere sollen in der Nähe von Watterdingen folgen.

An Grenzen stoßen die Tengener buchstäblich bei den Beziehungen zu den Schweizer Nachbarn. Der Grenzverlauf beträgt auf der Gemarkung von Tengen und den Stadtteilen gut 30 Kilometer. Sorge bereitet, dass die Schweizer Landwirte immer mehr private Fläche in Pacht oder Eigentum bringen. Dies erfolge vor allem wegen der wesentlich besseren wirtschaftlichen Bedingungen für Schweizer Bauern gegenüber den deutschen Landwirten. Selbst die EU-Flächen-Prämie können Schweizer Landwirte beziehen. Ein Umstand, den Ann-Veruschka Jurisch nicht nachvollziehen kann.
Probleme in der Grenzregion
„Das große Dilemma begründet sich darin, dass die Schweizer Regierung das geplante neue Rahmenabkommen zu den bilateralen Beziehungen nach siebenjähriger Verhandlung platzen ließ“, sagt Nicola Beer. Dran bleiben müsse das Ziel sein, sind sich die EU-Vertreterin und der Bürgermeister einig. Erfreut zeigt sich die Liberale, dass die Stadt Tengen aus einem EU-Fördertopf besondere Internet-Dienstleistungen für Bürger, wie für die Müllabfuhr, eingerichtet hat. „Ich sehe bei den Internet-Auftritten bei den Gemeinden große Unterschiede, einige sind schlecht aufgestellt“, sagt Birgit Homburger.
Ihren Spaß haben die drei FDP-Frauen, als sie vor dem Stein und der Tafel stehen, welche die vielen prominenten Redner der Schätzelemarkt-Kundgebungen ausweist. „Da fehlen noch ein paar Gelbe“, sind sie sich süffisant einig. „Der nächste Redner könnte Olaf Scholz sein – als Bundeskanzler“, hält Schreier dagegen. Beim regen Austausch waren aber keine zwischenparteilichen Differenzen auszumachen, es herrschte eher Einmütigkeit.