Ein Drittel der Stimmen für Kandidaten, die nicht einmal auf dem Wahlzettel stehen: Dieses Teilergebnis der Tengener Bürgermeisterwahl vom Sonntag ist in jeder Hinsicht außergewöhnlich – und lässt schon fast vergessen, dass Kandidat Sven Müller im ersten Wahlgang nur knapp an der absoluten Mehrheit von mehr als 50 Prozent der Stimmen vorbeigeschrammt ist. In der Regel machen praktisch alle Wähler ihr Kreuz bei den offiziellen Kandidaten, die das Amt auch tatsächlich anstreben. „721 Stimmen auf der freien Zeile, das ist schon außergewöhnlich“, sagt Tengens scheidender Bürgermeister Marian Schreier, der auch Vorsitzender des Gemeindewahlausschusses ist.

Zum Vergleich: Bei der Bürgermeisterwahl in Rielasingen-Worblingen, die ebenfalls am Sonntag, 5. März, stattfand, entfielen 0,84 Prozent der Stimmen auf sonstige Personen. Bei der Oberbürgermeisterwahl in Singen 2021 waren es 0,59 Prozent, in Gottmadingen im Jahr davor 1,36 Prozent, in Hilzingen, ebenfalls 2020, waren es 0,13 Prozent und in Volkertshausen im Jahr 2019 waren es 0,2 Prozent.

Kopfschütteln auch beim Bundespolitiker

In aller Regel sind die Wähler also zufrieden mit dem Personaltableau, das offiziell zur Verfügung steht. In Tengen war das offenbar nicht der Fall. Dass so viele Stimmen auf Menschen entfielen, die gar nicht zur Wahl stehen, sorgte auch bei Andreas Jung, CDU-Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Konstanz und stellvertretender Vorsitzender der Bundespartei, für Kopfschütteln, als er am Sonntagabend so wie mehrere Bürgermeister der Region in der Randenhalle vorbeischaute.

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Dabei kann man die Stimmen für André Schmal noch hinzuzählen: Denn der stand zwar auf dem Stimmzettel, hat seine Kandidatur aber aus persönlichen Gründen zurückgezogen. Dann kommt man auf etwa 43 Prozent Stimmen für Menschen, die gar nicht gewählt werden wollten.

Erster Wahlgang zur Bürgermeisterwahl in Tengen: Zahlreiche Menschen verfolgen die Bekanntgabe der Ergebnisse im geöffneten ...
Erster Wahlgang zur Bürgermeisterwahl in Tengen: Zahlreiche Menschen verfolgen die Bekanntgabe der Ergebnisse im geöffneten Gymnastikraum der Randenhalle. | Bild: Freißmann, Stephan

Wer in der freien Zeile genannt wird

Wer ist nun auf der freien Zeile, die übrigens jeder Stimmzettel bei einer Bürgermeisterwahl hat, gelandet? 721 der 2164 gültigen Stimmen kamen über diese Zeile zustande. Den höchsten Anteil daran hat laut dem vom Gemeindewahlausschuss bestätigten Ergebnis der amtierende Bürgermeister Schreier, der schon Anfang 2022 angekündigt hat, nicht noch einmal antreten zu wollen. 158 Stimmen entfielen auf ihn. „Es ehrt mich, dass so viele Bürgerinnen und Bürger mir ihre Stimme gegeben haben“, lautet Schreiers Stellungnahme dazu.

Auf Platz zwei der Liste mit 68 Stimmen kam Jochen Hock, Hauptamtsleiter in Engen, der in Engen-Welschingen lebt. Hock selbst sagt, er habe eine Kandidatur für das Amt des Tengener Bürgermeisters schon vor Ende der Bewerbungsfrist für sich ausgeschlossen. Und er wolle auch weiterhin nicht antreten. Damit liegen Schreier und Hock noch vor den beiden offiziellen Kandidaten Heiko Strauß (44 Stimmen) und Markus Bauermeister (acht Stimmen).

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Auf den weiteren Plätzen in der freien Zeile folgen die frühere Gemeinderätin Gertrud Homburger (CDU, 37 Stimmen) sowie die Gemeinderäte Thorsten Frank (CDU, 37 Stimmen) und Thomas Wezstein (Freie Wähler, 30 Stimmen). Auf den weiteren Plätzen finden sich hauptsächlich weitere Gemeinderäte.

Die Stimmung in der Kommunalpolitik

Wie ist die Stimmung nun in der Tengener Kommunalpolitik? Für Thomas Wezstein, Fraktionschef der Freien Wähler, war vor allem die Wahlbeteiligung von etwa 58 Prozent enttäuschend: „Da muss beim zweiten Wahlgang mehr Dampf her.“ Es sei ernüchternd, wenn sich nur knapp mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten dafür interessieren, wer Tengen auf einem guten Weg halten soll.

Er selbst und seine Fraktion seien überrascht gewesen über den hohen Stimmenanteil für Sven Müller, sagt Wezstein und deutet dies als Ergebnis von Müllers aktivem Wahlkampf. Er macht deutlich, dass die Spitzenposition einer Verwaltung für ihn sehr entscheidend sei. Aus der Verwaltung müsse saubere Arbeit kommen, „sonst steht Tengen für acht Jahre still“, so Wezstein.

Viele Menschen angesprochen, aber keiner wollte es wagen

Für Michael Grambau, Fraktionschef der Liste Freie Bürger/SPD, ist es ein Ergebnis, das Möglichkeiten eröffne. Denn einerseits habe Sven Müller nun in den nächsten beiden Wochen die Möglichkeit, noch mehr Wähler zu überzeugen und fundierter aufzutreten. Gleichzeitig könnten aber noch weitere Bewerber in den Wahlkampf einsteigen. Grambau gewährt auch einen kleinen Einblick in die bisherige Kandidatensuche. Man habe nämlich durchaus einige interessante Personen angesprochen. Und es habe doch sehr verwundert, dass niemand bereit gewesen sei, das Amt zu übernehmen.

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CDU-Fraktionschef Albrecht Finsler sagt: „Jeder hat die Dramatik mitbekommen.“ In Tengen habe es wirklich eine Wahl gegeben. Und das Ergebnis des ersten Wahlgangs zeige die Stimmung bei den Bürgern. Finsler erwartet nun noch zwei wilde Wochen, bis der zweite Wahlgang auch beendet ist.

Neue Runde mit neuen Kandidaten?

Alle drei Fraktionsvorsitzenden sagen, dass hinter den Kulissen eifrig nach neuen Bewerbern gesucht werde, die nun im zweiten Wahlgang ins Rennen um den Chefposten im Tengener Rathaus einsteigen wollen. Um Namen zu nennen, sei es jedoch noch zu früh. Die Bewerbungsfrist dafür endet am Mittwoch, 8. März, um 18 Uhr.

Finsler gibt zu bedenken, dass eine Bürgermeister-Kandidatur ein Leben verändere: „Da muss man den Leuten auch ein oder zwei Tage zum Überlegen lassen.“ Am Montag sei bis 18 Uhr jedenfalls noch keine weitere Bewerbung im Tengener Rathaus eingegangen, erklärt Marian Schreier.