Der nachmittägliche Notruf am 10. Mai klang alarmierend. Mehrere Personen seien auf dem Karlsplatz in Sigmaringen in eine Prügelei verwickelt und schnell war die Polizei mit zwei Einsatzfahrzeugen vor Ort. Dort entdeckten sie zwei streitende Männer, trennte die Beiden und dann fing der Ärger für einen 34-Jährigen, der auf seinen Kumpel eingeschlagen hatte, im Prinzip richtig an und dafür musste sich der Mann vor dem Amtsgericht Sigmaringen verantworten. Kernpunkt der Anklage war der Vorwurf der versuchten und gefährlichen Körperverletzung gegen zwei Polizisten. Er sei schreiend und aggressiv auf die Beamten losgegangen, habe sich mit Schlägen gegen die nötig gewordene Anlegung der Handschellen gewehrt, listete Staatsanwalt Matthias Buck auf. Sein Mandat habe keine Erinnerung, da er zum Tatzeitpunkt Medikamente, LSD und Schnaps zu sich genommen hatte, gab der Verteidiger des ruhig auf dem Stuhl sitzenden Beschuldigten an. Sollten sich die Vorwürfe als richtig erweisen, täte es ihm aber leid.

Opfer erscheint nicht vor Gericht

Der Mann, der seit einem schweren Autounfall vor 15 Jahren körperlich und geistig beeinträchtigt ist, gab an, dass er sich bruchstückhaft an den Karlsplatz erinnere, wie ihn die Polizisten auf den Boden drängten, dann an das Polizeirevier, bevor er wieder heimging. Mit dem damaligen Opfer seiner Schlagattacke habe er sich wieder ausgesöhnt: „Wir vertragen uns wieder“, allerdings habe man keinen Kontakt. Der als Zeuge geladene Ex-Kumpel ignorierte die Vorladung des Gerichts. Offen bekannte der Beschuldigte, dass er regelmäßig Drogen nehme, auch wegen seinen Depressionen. Er versuche, die Kreisstadt zu meiden, denn wenn er in Sigmaringen sei, dann „passiert immer ein Scheiß“.

Ruhige Stimmung wird zunehmend aggressiver

Eine junge Frau hatte die Szenerie beobachtet und bestätigte als Zeugin, dass der Beschuldigte seinen Kontrahenten gewürgt habe. Beide Männer seien aggressiv und nervös gewesen, sodass sie vermutete, dass sie betrunken waren. Die Zeugin konnte sich nur an das Opfer erinnern, den Beschuldigten erkannte sie als Tatbeteiligten nicht, auch nicht, als sie sich im Gerichtssaal umsah. „Die Stimmung war zunächst ruhig“, schilderte dann der erste beteiligte Polizist den Vorfall. Später sei der Beschuldigte gegenüber den Beamten aggressiver aufgetreten und schreiend auf ihn und seinen Kollegen zugegangen. Dann habe der Mann plötzlich eine Ausholbewegung mit dem rechten Arm gemacht, was die Polizisten als mutmaßlichen Angriff interpretierten und deshalb beschlossen, ihm Handschellen anzulegen. Dazu fixierten sie ihn auf dem Bauch, unter dem der Beschuldigte seine Hände festhielt und mit den Beinen nach den Polizisten schlug. Sein Kollege bestätigte die Aussagen und ergänzte, dass er weder „alkoholbedingtes Verhalten“ registriert oder einen Drogenverdacht hatte.

Beschuldigter hat schon dreijährige Bewährungsstrafe hinter sich

Richterin Kristina Selig hörte dann die Lebensgeschichte eines Mannes, der aktuell unterhalb des Existenzminimums lebt, keinen Beruf gelernt hat (“Nach dem Abbruch der Lehre bin ich abgestürzt.“), sich mit Jobs über Wasser hält, keinen Kontakt zu Angehörigen oder seinem Sohn hat und seit dem schweren Autounfall unter erheblichen Einschränkungen leidet. „Ich komme mit meinem Leben nicht klar“, gab er unumwunden zu. Hilfe erhält er von einer rechtlichen Betreuerin.

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„Ich will selber hochkommen“, antwortete er Selig auf die Frage, ob er schon mal die Unterstützung der Suchtberatung in Anspruch genommen habe. Dann verlas sie das umfangreiche Vorstrafenregister des Beschuldigte, der immer wieder wegen Beleidigungen und Körperverletzungen vor Gericht stand, ebenso wegen unerlaubtem Waffenbesitz und Verwenden von verfassungswidrigen Kennzeichen. Eine dreijährige Bewährungsstrafe hatte er ohne Komplikationen bewältigt.

Verteidiger konstatiert, dass sein Mandant einen „Ausraster“ hatte

„Sie waren noch Herr ihrer Sinne“, konstatierte Staatsanwalt Matthias Buck, der deshalb keine absolute Schuldunfähigkeit erkennen konnte. Die Taten an sich hätten keine gravierenden Folgen für die Betroffenen gehabt, aber angesichts der desolaten Finanzlage des Beschuldigen käme nur eine Freiheitsstrafe in Betracht, die er auf zehn Monate ansetzte. Sein Mandat hatte einen „Ausraster“, erklärte der Verteidiger, der zudem bekannte, ein grundsätzliches Problem mit dem Anlegen von Handschellen zu haben, wobei Betroffene noch gute Miene zum bösen Spiel machen sollten. Im Großen und Ganzen sei der Polizeieinsatz doch glatt durchgegangen und deshalb sollte man den Vorfall nicht mit der Schärfe der Strafjustiz sanktionieren. Eine sechsmonatige Haftstrafe, zur Bewährung ausgesetzt, halte er für angemessen. „Es tut mir leid“, erklärte schließlich der Beschuldigte im berühmten letzten Wort. Richterin Selig wählte den Mittelweg, verhängte eine achtmonatige Haftstrafe, die drei Jahre zu Bewährung ausgesetzt wird. Zudem muss der Mann mindestens einen Termin mit der Suchtberatung vereinbaren und die Verfahrenskosten übernehmen.