Die Bundestagskandidatur von Johannes Kretschmann für Bündnis 90/Die Grünen sorgte 2021 bundesweit für große mediale Aufmerksamkeit. Der älteste Sohn von Ministerpräsident Winfried Kretschmann erhielt im Wahlkreis 295 „Zollernalb-Sigmaringen“ respektable 16,7 Prozent der Erststimmen, allerdings blieb das Ergebnis seiner Partei mit 11,4 Prozent deutlich hinter den Erwartungen, und Kretschmann verfehlte das erhoffte Direktmandat.

Stattdessen zog Thomas Bareiß zum vierten Mal für die CDU in den Bundestag und auch Robin Mesarosch holte für die SPD ein Mandat in Berlin.

Unerwartete Situation ist eingetreten

In die Hauptstadt wird nun auch Johannes Kretschmann gehen, wenn auch nur für wenige Wochen. Der 46-Jährige sieht sich mit einer nie erwarteten Situation konfrontiert. Vor einigen Tagen verstarb völlig überraschend die grüne Bundestagsabgeordnete Stephanie Aeffner und nachdem die erste Nachrückerin auf die Übernahme des Mandats verzichete, stand Johannes Kretschmann auf der Liste. Und der in Sigmaringen-Laiz wohnhafte Kommunalpolitiker hat sich entschlossen, das Mandat anzunehmen, wohl wissend, dass er nur wenige Wochen Bundestagsabgeordneter sein wird, die er im Gespräch mit dem SÜDKURIER bestätigt.

Die Übernahme des vakanten Bundestagsmandats für seine Partei sei seiner staatspolitischen Verantwortung geschuldet. Der alte Bundestag müsse bis zur Konstituierung des neu gewählten Gremiums arbeits- und beschlussfähig sein. Wenn es beispielsweise nach der Amtsübernahme von US-Präsident Donald Trump akuten Unterstützungsbedarf für die Ukraine gebe, brauche es Mehrheiten im Bundestag. Und im Januar und Februar finden Sitzungswochen im Plenum mit Anwesenheitspflicht statt.

Trotz begrenzter Zeit wartet viel Arbeit

Das Nachrückverfahren ist nach seinen Angaben ein Automatismus, der nach dem Tod von Stephanie Aeffner in Gang komme. „Wenn ich ablehne, wird jemand anderes gefragt“, macht Kretschmann deutlich, dass trotz der begrenzten Zeit als Bundestagsabgeordneter dennoch viel Arbeit auf ihn wartet.

In den nächsten Tagen wird er nach Berlin reisen, wo er bei Freunden wohnen wird. Ob und wie er im Bundestag arbeiten kann und wird, ist derzeit noch völlig unklar. Zunächst müssen formale Prozeduren erledigt werden, wie die Aushändigung des Abgeordnetenausweises. Ob er womöglich das Büro der verstorbenen Parteikollegin nutzen kann, weiß Kretschmann nicht.

Verstorbene Kollegin gewürdigt

Im SÜDKURIER-Gespräch weist er auf deren Verdienste der engagierten Sozialpolitikerin hin, die viele Jahre auch Landesbehindertenbeauftragten in Baden-Württemberg war. „Die politische Lücke, die ihr Tod in die Partei und Fraktion gerissen hat, werde ich nicht füllen können. Aber ihr unermüdlicher Fleiß und ihre unbeugsame Autonomie sollen mir und jedem Abgeordneten Vorbild und Ansporn sein.“

Eine ebenso klare Antwort gibt es von dem grünen Kreispolitiker auf die Frage, ob er nicht befürchte, dass seine Mandatsübernahme für wenige Wochen von manchen Zeitgenossen als überflüssig oder mit Blick auf das Abgeordnetengehalt als „Geldmacherei“ betrachtet werden könnte. „Ich bin Anfeindungen gewohnt.“