Sehr zufrieden zeigen sich die Macher eines deutschlandweit einmaligen Projekts – im Energiepark Hahnennest wurde jüngst eine neuartige Dampfaufschlussanlage in Betrieb genommen, die ein Substrat für die Papierherstellung produziert, und zwar aus den Fasern der Blühpflanze „Durchwachsene Silphie“, die für die Vergärung in dortiger Biogasanlage eingesetzt wird. In Lenningen im Landkreis Esslingen wird das Material am Standort der ehemaligen Papierfabrik Scheufelen zu Papier für biobasierte Verpackungen weiter verarbeitet. Dort hat zum 1. Juli 2020 die Firma Silphie Paper den Betrieb aufgenommen. Als Partner der Hahnennester fungiert die Firma Greencycle, die zur Schwarz-Gruppe gehört, wie auch Lidl und Kaufland. gehört. Die Vermarktung des Papiers übernimmt eine weitere Tochterfirma des 110-Milliarden-Konzerns Schwarz, die Outnature GmbH.
Beteiligte
Bruch weltweiter Lieferketten
Michail Ginsburg ist Prokurist bei Outnature und Ansprechpartner für die Hahnennester. Der 35-jährige Ingenieur ist vom dem Projekt ebenso begeistert wie von der Innovationskraft seiner Partner und im SÜDKURIER-Gespräch erklärt er die Motivation und das Engagement des Global-Players im Weiler Hahnennest, das durch die aktuelle Corona-Pandemie bestätigt werde. Durch die nicht für möglich gehaltenen Brüche weltweiter Lieferketten werde die Notwendigkeit regionaler Wertschöpfungsketten mit kurzen Wegen offensichtlich, erklärt Ginsburg.
Lange Fasern können anstelle von Holz in der Herzstellung von Papierprodukten genutzt werden
Die Energiepflanze Silphie hinterlässt in der Biogasanlage als Rest die Faser, die von den Bakterien beim Vergärungsprozess fast nicht verwertet werden, und deshalb als Gärrest auf die Felder ausgebracht werden. Diese sehr langen Fasern können aber vor dem Eintrag in die Biogasanlage herausgelöst und als Frischfaserersatz anstelle von Holz in der Herstellung von Papierprodukten eingesetzt werden, nennt der Ingenieur die Grundidee: „Und im Labor hat es funktioniert.“ Nachdem man eine Papierfabrik gefunden hatte, die das Substrat nutzen wollte, entschloss sich Greencyle, in Hahnennest eine Modellanlage zu installieren, die jährlich bis zu 20 000 Tonnen Jahreskapazität hat.
Verpackungen auf Papierbasis wird im Lebensmittelhandel bereits erfolgreich eingesetzt
Der primäre Rohstoff für Papier ist Zellstoff. Dieser wird überwiegend durch die industrielle Bewirtschaftung von Wäldern als Frischfaser gewonnen, wobei Deutschland die 2,5fache Menge der hergestellten Zellulose benötigt, was weite Transportwege und einen hohen CO2-Ausstoß bedeutet. Auch im weiteren Verlauf benötigt die Holzaufbereitung einen hohen Einsatz an Energie und Chemikalien. „Gleichzeitig wächst der Bedarf, denn immer mehr werden Verpackungen auf Papierbasis als Alternative für Kunststoffverpackungen genutzt und im Lebensmittelhandel bereits erfolgreich eingesetzt“, erläutert Michail Ginsburg.
Bis zu 80 Prozent der Biogasanlagen werden in den kommenden Jahren womöglich stillgelegt
Die Silphie-Papierherstellung könnte sich deutschlandweit auch für Biogasbetreiber als existenzsichernde Alternative erweisen. Im Jahr 2022 endet für die ersten Biogaser die durch das EEG-Gesetz garantierte Einspeisevergütung, und angesichts des rapiden Verfalls der Strom- und Gaspreise ist ein Weiterbetrieb nicht wirtschaftlich und deshalb erwarten Experten in den Folgejahren, dass bis zu 80 Prozent der Anlagen stillgelegt werden. Schon jetzt werden in Deutschland fast keine neuen Biogasanlagen gebaut. „Für den Betrieb einer solchen Dampfaufschlussanlage benötigen wir etwa 600 bis 800 Hektar Silphie-Anbaufläche“, erklärt Michail Ginsburg. Und bundesweit steigt bei Landwirten das Interesse an Silphie. In Hahnennest werden derzeit 20 Tonnen Substrat pro Tag hergestellt und in die Papierfabrik transportiert, wobei man bis zu 1200 Tonnen monatlich produzieren könnte. Eine entsprechende Genehmigung beim Land ist beantragt.
Weltweit werden jährlich 370 Millionen Tonnen Plastik hergestellt
Die ersten einfachen Verpackungsmaterialien wurden schon entwickelt, mit einem 50-prozentigen Silphiefaseranteil. Robust und äußerst reißfest ist dieses Papier, dessen möglicher Einsatz in den Regalen von Lidl oder Kaufland an strenge Hygienvorschriften gebunden ist. Es geht um Haltbarkeit, Feuchtigkeit oder Wärme und deshalb sind Verpackungen für Nahrungsmittel immer beschichtet. „Es darf keinen Kontakt zwischen Lebensmittel und Papier geben“, erklärt Ingenieur Ginsburg. Plastiksparende Verpackungen sind oft erst auf den zweiten Blick zu erkennen, dafür wirken sie: So wurde bei Lidl der Kunststoffanteil bei Nussverpackungen um 20 Prozent reduziert, was jährlich 150 Tonnen weniger Plastik bedeutet. Angesichts der weltweiten Plastikproduktion von 370 Millionen Tonnen ist diese Reduktion verschwindend klein, aber sie spiegelt den Anspruch von Outnature wieder: anfangen, testen, prüfen und letztlich eine nachhaltige regional geprägte Kreislaufwirtschaft in Gang bringen.
„Donau-Silphie“ aus Hahnennest
Unter dem Markennamen „Donau-Silphie“ hat die Metzler & Brodmann KG in Zusammenarbeit mit dem Energiepark Hahnennest die „Durchwachsene Silphie“ deutschlandweit bekannt gemacht und bei Landwirten, Biogaserzeugern und Imkern großes Interesse für die Pflanze geweckt. In der Dampfaufschlussanlage wird die Silphie gekocht, gewaschen, die Faser getrennt und für die Papierherstellung nutzbar gemacht. Mit dem übrigen Gärsubstrat wird die Biogasanlage beschickt.
Deutschlandweit beträgt die Silphieanbaufläche aktuell rund 6500 Hektar, mit steigender Tendenz. Die Staudenpflanze kann bis zu 30 Jahre alt werden, und diese lange andauernde Bodendeckung wirkt sich positiv auf Bodenleben, Erosionsschutz, Humusaufbau und Wasserhaltevermögen aus. Ab dem zweiten Standjahr sind keine Bodenbearbeitung und Pflanzenschutzmaßnahmen (Herbizide) mehr nötig, informieren die Hahnennester Landwirte auf ihrer Homepage. Die Kultur eignet sich nach ihren Angaben hervorragend für Kleinflächen, Waldrandlagen, Wasserschutzgebiete, Gewässerstreifen, Hanglagen und ungünstig zugeschnittene Feldformen.
Der Silphieanbau verstärkt das Wasserhaltevermögen des Bodens und erhöht dessen Wasseraufnahmefähigkeit. Der Stickstoffgehalt im Boden wird reduziert und die Silphiefelder bieten Lebensraum für viele Insekten und andere Tierarten. Beliebt ist von Ende Juni bis September blühende Pflanze bei Imkern. Aktuell haben Imker mehr als 1000 Bienenstände an Silphiefeldern platziert. Die nachhaltige und komplette Verwertung der Silphie soll weiter gesteigert werden. So laufen Untersuchungen, ob es Möglichkeiten gibt, das gespeicherte Protein in den Blüten zu gewinnen und als Viehfutter zu verwenden.