Die römisch-katholische Kirche steht vor epochalen Veränderungen, die ab 2025 auch im Dekanat Sigmaringen-Meßkirch greifen, wenn aus bislang 71 Pfarreien ein neuer pastroler Raum entsteht. In einem Pressegespräch erläuterten Stadtpfarrer Martinho Dias Mertola, Pastoralreferent Johannes Schramm und der Vorsitzende des Pfarrgemeinderates Oberer Linzgau, Manfred Heppeler, die neue Struktur mitsamt vielfacher Konsequenzen für Gläubige, Pfarrer, Mitarbeiter und Ehrenamtliche.
Aus 200 Seelsorgeeinheiten werden 40 “Pfarreien (neu)“
Erzbischof Stefan Burger hat den Umwälzungsprozess als „Kirchenentwicklung 2030“ vor zwei Jahren angestoßen, um die Kirche zukunftssicher zu machen. „Wie können wir auch künftig gewährleisten, dass das Evangelium in unserer Gesellschaft präsent ist und die Kirche als Gemeinschaft im Glauben lebt und wächst? Wie erfahren die Menschen, dass die frohe Botschaft für ihr eigenes Leben relevant ist?“, formulierte das Oberhaupt des Erzbistums als zentrale Zukunftsfragen. Die bisher 200 Seelsorgeeinheiten des Erzbistums Freiburg sollen zu 40 neuen Einheiten „Pfarrei (neu)“ zusammengefasst werden und künftig kirchenrechtlich für die Gemeinden auf ihrem Gebiet zuständig sein. Einheiten unterhalb der obersten Ebene, wie die derzeitigen Pfarreien, werden damit von Verwaltungsarbeit entlastet. Pastorale Mitarbeiter können so verstärkt Seelsorgeaufgaben wahrnehmen, um die ortsnahe Seelsorge auch in Zukunft zu gewährleisten.
Amtsinhaber von elf Seelsorgeeinheiten im Dekanat verlieren Leitungsfunktion

Die Leitung der neuen Struktur übernimmt ein Pfarrer, sodass im Dekanat Sigmaringen-Meßkirch die elf Amtsinhaber der Seelsorgeeinheiten ihre Leitungsfunktion verlieren. Sie können sich nun mit ganzer Kraft ihren pastoralen Aufgaben widmen, denn sie werden von organisatorischen Aufgaben entlastet. Wer als pastoraler Leiter die neue Pfarrei führt, wird Freiburg bestimmen. Ihm zur Seite steht ein Geschäftsführer oder eine Geschäftsführerin, der die organisatorisch-verwaltungstechnische Verantwortung übernimmt. Aufgrund des Kirchenrechts kann eine Pfarrei nur durch einen Priester geleitet werden. Weitere Formen der Leitung, die das Kirchenrecht vorsieht, sind letztlich keine Formen der Gemeindeleitung, sondern pastorale Notstandsregelungen.
Pastoralreferent: „Aber es wird nicht alles erhalten bleiben.“

„Diese organisatorische Neuausrichtung ist eine große Chance“, ist Pastoralreferent Johannes Schramm überzeugt, weil Seelsorger sich dann auf ihre pastorale Arbeit konzentrieren und so wieder näher an den Menschen sein könnten.
Die Pfarrbüros vor Ort sollen als Anlaufstellen bleiben, um die Verlässlichkeit der Kirche zu gewährleisten. „Aber es wird nicht alles erhalten bleiben“, ergänzt Schramm, dass man sich von Einrichtungen trennen wird. Dass diese Veränderungen durchaus Ängste hervorrufen ist dem Leitungsteam der Seelsorgeeinheit Oberer Linzgau mehr als bewusst, umso wichtiger sei es, die Menschen ausreichend zu informieren.
Stadtpfarrer fordert Gleichbehandlung von Frauen in der Kirche

Eine klare Forderung stellt Stadtpfarrer Mertola für die ehrenamtlich Tätigen, ohne die die Kirchenarbeit nicht machbar wäre: „Diese Wertschätzung muss sich auch finanziell bemerkbar machen“, nennt er beispielhaft die Übungsleiterpauschale bei Vereinen. Für den Stadtpfarrer ist es unausweichlich, dass die Kirche den Frauen ihren gebührenden, sprich gleichberechtigten Platz einräumen muss. Wie bei seiner Neujahrsansprache vor zwei Jahren wiederholte er die Forderung nach Weiheämtern für Frauen, die von der Weltkirche nicht weiter als „Befehlsempfängerinnen“ behandelt werden dürften. Der Papst habe keine Herrscherrolle inne und in der modernen Welt sei die aus dem Mittelalter stammende kirchliche Macht-, Männer- und Traditionswelt absolut deplatziert. Mertola plädiert auch dafür, dass die Kirche in Deutschland sich an der Lebenswirklichkeit der heimischen Bevölkerung orientiert und bei Fragen wie der Abschaffung des Zölibates durchaus eigene Wege gehen kann. „Einheit in Vielfalt“, bringt Pastoralreferent Schramm diese Überzeugung auf den Punkt.

Umsetzung ab 2025
Die „Pfarrei (neu)“ soll im Erzbistum Freiburg und damit auch im Dekanat Meßkirch-Sigmaringen ab 2025 umgesetzt werden, wobei der Standort für das zentrale Pfarramt noch unklar ist, aber Sigmaringen als derzeitiger Dekanatssitz wäre vorstellbar. Wo die sogenannten geistlichen Zentren entstehen, ist gleichfalls noch ungewiss, aber große Einheiten wie Pfullendorf haben gute Chancen eine solche Einrichtung zu bekommen.
Projekt „Kirchenentwicklung 2030“
Die Kirche muss sich den gesellschaftlichen Herausforderungen der modernen Zeit stellen, der von zunehmender Pluralität und Individualität von Lebensentwürfen, der steigenden Vielfalt von Kulturen und Religionen, der Neubestimmung der Geschlechterverhältnisse, der Digitalisierung vieler Lebensbereiche und den Folgen weltweiter Migrationsbewegungen geprägt ist. Man erlebe schmerzhaft, dass viele Antworten der Kirche auf diesen Wandel die Menschen nicht mehr überzeugen, erklärt Erzbischof Stephan Burger, warum mit dem Projekt „Kirchenentwicklung 2030“ ein fundamentaler Umbau gestartet werden soll.
Die christliche Botschaft neu zu entdecken und zu beleben, bleibe Auftrag der Kirchen und mit den diözesanen Leitlinien habe sich die Erzdiözese Freiburg auf den Weg gemacht, und stelle sich den Herausforderungen der Zukunft: „Leben ist Bewegung und Gott ist mit uns auf dem Weg. Wir nehmen die sich verändernden Rahmenbedingungen in Kirche und Gesellschaft bewusst an und finden Möglichkeiten, sie aktiv mitzugestalten“, erklärt der Erzbischof. Mit dem Projekt Kirchenentwicklung 2030 werde dieser Weg nun konkret beschritten.
Betroffen von diesem Prozess, und in diese Veränderung einbezogen, werden alle vor Ort tätigen Einheiten: Das sind Pfarreien und Gemeinden, kategoriale Dienste wie die Gefängnisseelsorge, Bildungseinrichtungen, karitativ tätige Einrichtungen und Dienste, Verbände, Projekte und Initiativen. Dazu gehören auch die Organisationseinheiten auf gesamt-diözesaner und mittlerer Ebene. Also alle, die das kirchliche Handeln in Pfarreien, Einrichtungen und Diensten ermöglichen, so wie die erzbischöfliche Kurie Ordinariat, Dekanate, Verrechnungsstellen oder Bauämter. (siv)