Einblicke in eine vom Rechtsgutachter als psychotisch eingestufte Mutter-Sohn-Beziehung erhielten Beobachter bei einem Prozess vor dem Amtsgericht Sigmaringen. Fast zehn Minuten dauerte die Anklageverlesung gegen einen 29-Jährigen, der seine Mutter beschimpft, bedroht und mindestens zwei Mal geschlagen haben soll. Auch den Halbbruder sowie seinen Betreuer bedachte der Mann mit übelsten Schimpfwörtern inklusive der Drohung, sie umzubringen. Er ignorierte das richterlich verhängte Wohnungsbetretungsverbot, wobei er im März 2020 seine Mutter mit einem Messer bedroht haben soll.
Beschuldigter räumt mehrere Vorwürfe ein
Auf die Frage von Richterin Kristina Selig, ob denn die Vorwürfe stimmten, antwortete der Mann schier stereotyp: „Ja, aber. Kann schon sein.“ Dass er die Mutter im Juli 2019 zehn bis 15 Mal in den Arm geschlagen hat, räumte er ein: „Aber nicht so oft und kräftig.“ Es könne auch sein, dass er drohte, sie umzubringen. Ob er das Wohnungsbetretungsverbot nicht beachtet und sich trotzdem in der Wohnung aufgehalten habe, fragte Selig. „Kann schon sein“, gabs als Antwort, ergänzt mit der Feststellung: „Die Mutter hat mich auch in die Wohnung gelassen.“ Er habe keine Schlüssel, und deshalb könne er nur hinein, wenn sie ihm öffne, gab er als logische Erklärung zu Protokoll.
Keine Erinnerung an Bedrohung mit Messer
An den Vorwurf, seine Mutter mit dem Messer bedroht zu haben, könne er sich nicht erinnern. Richterin, Staatsanwaltschaft und Pflichtverteidiger Karl Abt einigten sich dann, dass von dem guten Dutzend Einzelvorwürfen letztlich drei Delikte übrig blieben. Aktuell sei das Verhältnis mit seiner Mutter wieder in Ordnung, bekräftigte der Beschuldigte.
Mutter sagt vor Gericht aus
„Jetzt ist er wie verwandelt, ganz anständig“, bestätigte die als Zeugin geladene Mutter, die sichtlich erschüttert und teilweise von der Gerichtssituation überfordert war. Auf die Belehrung von Richterin Selig, dass sie als Mutter keine Aussage machen müsse, erklärte sie zu Beginn, dass sie vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wolle. Nach längerem Überlegen korrigierte sie: „Ich sage das, was ich noch weiß.“
Mutter stellt nach Körperverletzung Strafanzeige
Bei der ersten körperlichen Attacke habe der Sohn ihr unvermittelt gegen den Arm geboxt, was blaue Flecken hinterließ, und auch mit dem Fuß habe er sie getreten. Die Verletzungen konnten die Prozessbeteiligten auf Fotos sehen, die angefertigt wurden, nachdem die damals 61-Jährige den Vorfall bei der Polizei Strafantrag gestellt hatte.
Seine Drohung „Ich bringe dich um“, habe sie hingegen nicht ernst genommen, bestätigte sie, dass auf ihren Antrag ein Wohnungsbetretungsverbot verhängt wurde. „Sie haben ihn aber wieder in die Wohnung gelassen. Warum?“, fragte Richterin Selig. „Ich glaube, ich habe es erlaubt. Er ist doch mein Sohn, mein Kind“, blickte die grauhaarige Frau Richtung Anklagebank.
Zeugin bestätigt, dass das Verhältnis zum Sohn jetzt normal ist
Sie betätigte den Vorfall mit dem Messer, allerdings in völlig anderer Richtung. Ihr Sohn habe ein Messer genommen und sich damit selbst die Arme aufgeritzt. Von einer Bedrohung gegen sie könne nicht die Rede sein. Lange Zeit habe sie Angst vor ihrem Sohn und seinen Ausrastern gehabt, gestand die Zeugin, aber jetzt sei er ganz normal. Tatsächlich war der Beschuldigte bereits in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht. Ihr Sohn erkläre immer wieder, dass er nicht alleine wohnen könne, deshalb sei er wieder bei ihr, sagte die Zeugin. Für seine Taten sollte er eine Strafe bekommen, aber nicht ins Gefängnis müssen, antwortet die Mutter auf die Frage von Verteidiger Abt, ob der Sohn bestraft werden sollte. Der beschimpfte und bedrohte Halbbruder nahm dann im Zeugenstand seinen damaligen Strafantrag zurück, auch weil er derzeit ein gutes Verhältnis zu dem Beschuldigten habe.
Gutachter attestiert Persönlichkeitsstörung
„Er will bei der Mutter bleiben“, attestierte der medizinische Gutachter dem 29-Jährigen, dass er keine alterstypische Biografie habe und an einer Persönlichkeitsstörung leide. Die Steuerungsfähigkeit sei eingeschränkt, was man auch an dessen monotonen Gerichtsauftritt sehe: „Er sitzt da wie eine Maske.“ Der Gutachter diagnostizierte Leibhalluzinationen und eine schizotype Störung.
Pflichtverteidiger hätte gerne eine Bewährungsstrafe
Für den Beschuldigten, der eine Ausbildung abgebrochen und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, schlug sein Pflichtverteidiger vor, eine Bewährungsstrafe zu verhängen, damit der Mann quasi unter Aufsicht sein Leben in den Griff bekommt. Die von der Staatsanwaltschaft geforderte Geldstrafe von 95 Tagessätzen à 15 Euro könne er nie bezahlen. „Ich entschuldige mich und mache es nicht mehr“, lautete der berühmte letzte Satz des Beschuldigten. Richterin Selig verhängte eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen a‘ 10 Euro. Obwohl ihr die von der Verteidigung geforderte Strafe durchaus sinnvoll erscheine, könne sie aufgrund der Rechtslage keine Freiheitsstrafe verhängen.