Die Bräunlinger Rechtsanwaltskanzlei Lützow beschäftigt sich mit einem Thema, bei dem die meisten abwinken, wenn sie mitbekommen, was es damit auf sich hat. Zu detailliert, zu bürokratisch, zu aufwendig. Allerdings nur, bis genau erklärt wird, worum es dabei genau geht. Denn im Endeffekt geht es um Geld.
In der Zeit zurück
Um das zu verstehen, muss man allerdings in der Zeit etwas zurückgehen. Genauer: ins Jahr 2011. Damals hat die Stadt Bräunlingen etwa 70 Grundstückseigentümer zu Wasserversorgungsbeiträgen herangezogen. Teilweise jedoch für Fälle Jahrzehnte zurückliegender Grundstücksanschlüsse an die Wasserversorgung. Bei Heranziehungen zu Abwasserbeiträgen war man in gleicher Weise vorgegangen. „In der Masse dürfte es sich dabei um bebaute Grundstücke handeln“, erklärt die Kanzlei. In diesem einen Fall allerdings nicht.
Beiträge sind fällig
Bei der Erschließung dieses Gebietes wurden in der Straße vor dem Grundstück in den 1980er-Jahren eine Wasserversorgungsleitung und schließlich eine Anschlussleitung in das unbebaute Grundstück gelegt. Letztere wurde allerdings verschlossen, es handelt sich dabei um einen sogenannten Blindanschluss. Sind Leitungen vorhanden, dann muss auch bezahlt werden. In diesem Fall dann sogenannte Anschlussbeiträge. Sie werden fällig, wenn die Leitung potenziell genutzt werden könnte.
20 Jahre zurück
„Als 2011 der Beitragsbescheid kam, lag die Sache damals schon 20 Jahre zurück“, so die Kanzlei. Hier haben die Behörden jedoch einen Trick benutzt: „In dem Jahr, in dem die Leitungen verlegt wurden, war das privat-rechtlich geregelt. Eine öffentlich-rechtliche Verjährung lief also nicht, weil die Sache nicht über eine Satzung geregelt war. Das wurde nachträglich gemacht.“ Als das passierte, habe man bemerkt, „dass man wieder abkassieren kann.“
Nicht mehr nachweisbar
Der Anschluss wurde Anfang der 1980er-Jahre verlegt. „Der Betroffene sagt, dass er damals eine Rechnung bekommen und bezahlt hätte. Die Stadt sagt, sie hätte keine geschickt. Nach 20 Jahren ist das alles jedoch nicht mehr nachweisbar.“ Dass zwischen der Schaffung der Anschlussmöglichkeit und der Heranziehung zu den entsprechenden Beiträgen ein Zeitraum von mehreren Jahrzehnten verstrichen sei, berühre die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung nicht.
Es geht vor Gericht
Das will der betroffene Bräunlinger aber so nicht hinnehmen. Er liegt Widerspruch beim Landratsamt ein, schließlich geht es vor Gericht. Über das Verwaltungsgericht geht es schließlich bis zum Bundesverfassungsgericht. Und dort kommt es schließlich am 7. April zu einem entsprechenden Beschluss. Dauer der Angelegenheit: Über neun Jahre. Aber was sagt der Beschluss nun? „Die Stadt muss den Beitrag zurückzahlen“, heißt es von der Kanzlei. Sie hofft, dass jetzt auch Konsequenzen folgen: „Wir haben Recht, aber noch keine Gerechtigkeit.“ Es gehe nicht um Schuldzuweisungen, sondern die Frage, was aus der Situation jetzt gemacht werde.
„Historische Entscheidung“
Den Beschluss des Verfassungsgerichtes bezeichnet sie als „historische Entscheidung für ganz Baden-Württemberg.“ Hinzu komme noch eine entsprechende Entscheidung vom Dezember 2020. Im Kommunalabgabengesetz wurde festgelegt, dass die Festsetzung eines Beitrages oder einer sonstigen Abgabe spätestens 20 Jahre „nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist.“ 20 Jahre nach dem Verlegen der Wasserleitungen also. Und das erfolgte 1983. „Das bedeutet, dass wir da drüber sind“, heißt es aus der Kanzlei. „Der Verwaltungsgerichtshof hat hier bereits 40 Jahre lang gegen Grundrecht entschieden.“ Mit dem Thema ist die Kanzlei quer durch die Republik vernetzt: „Im Moment scheinen die Behörden in Schockstarre.“
Jahre zurück
„Das Thema geht bereits Jahre zurück und der Gerichtsentscheid hat lange auf sich warten lassen“, sagt Bräunlingens Bürgermeister Micha Bächle. Grundlage der Entscheidung sei die Änderung des kommunalen Abgabengesetzes gewesen: „Es hat eben jemand einen Bescheid bekommen und ist dagegen vorgegangen.“ Das Gericht habe eine Entscheidung hier jedoch lange liegen gelassen, bis das Gesetz kam. „Wir müssen akzeptieren, dass der Bescheid nichtig ist“, so der Bürgermeister.
Normalbürger klagt hier nicht
Warum nicht schon andere gegen entsprechende Bescheide Klage eingereicht haben? „Ein Normalbürger klagt hier nicht, weil die Kalkulation das bedingt. Der Streitwert ist relativ gering.“ Gehe man zum Fachanwalt, dann werde eine Gebühr festgelegt. „Das überlegt sich jeder wirtschaftlich und macht dann meistens einen Knopf drauf.“
Dennoch zeige sich jetzt eine wohl weniger erfreuliche Situation für die Behörden und Verwaltungsgerichte. Es stellt sich die Frage: „Was geschieht nun zu den Fällen, die eine Anfechtung ihrer Beitragsbescheide – aus welchen Gründen auch immer – unterlassen oder frühzeitig abgebrochen haben?“