Olga Wetzel ist mittlerweile 101 Jahre alt. Sie hat Jahrzehnte im Donaueschinger Rathaus gearbeitet. Helene Schneider, 97, ist gelernte Schneiderin. Sie waren ganz junge Frauen, als der Zweite Weltkrieg im Frühling 1945 zu Ende ging. Wenn sie sich an diese Tage vor 80 Jahren zurückerinnern, berichten sie vor allem von der Angst davor, was auf die Menschen in Donaueschingen zukommen würde.

Olga Wetzel hatte die letzten Kriegstage mit vielen anderen in einer Notunterkunft in einem Klassenzimmer der Feuersteinschule verbracht, bevor ihre Familie nach Beendigung der Kampfhandlungen wieder in die Wohnung in der Schulstrasse zurückkehren konnte.

Helene Schneider, die aus einer Landwirtsfamilie aus Hüfingen stammt, hatte tagsüber mit ihren Geschwistern außerhalb der Kernstadt in einem Unterstand auf einem Feld der Familie die letzten Kriegstage erlebt.

Wiederaufbau gestaltet sich schwierig

In den ersten Tagen der französischen Besatzung gab es nachts eine Ausgangssperre von 20 Uhr bis 8 Uhr und man sollte auch tagsüber möglichst nicht unterwegs sein.

Olga Wetzel trat schon Anfang Mai wieder ihren Dienst auf dem Rathaus an, wo der von den Franzosen eingesetzte Bürgermeister, der Malermeister Leopold Meßmer, seine Arbeit aufgenommen hatte.

Eine Zeichnung zeigt die Folgen eines Flugzeugangriffs auf die Stadt vom 22. Februar 1945. Hier dargestellt die Wasserstraße. Die ...
Eine Zeichnung zeigt die Folgen eines Flugzeugangriffs auf die Stadt vom 22. Februar 1945. Hier dargestellt die Wasserstraße. Die Zeichnung stammt von Walter Merz-Ziegler | Bild: Ernst Zimmermann/Stadtarchiv Donaueschingen

Leopold Meßmer war überzeugter Sozialdemokrat und war auch einige Wochen im Konzentrationslager Dachau inhaftiert gewesen. Sein Nazi-Vorgänger Eberhard Sedlmayer war geflohen und wurde später verhaftet.

„Wir hatten vor allem die Aufgabe, Lebensmittelmarken und andere Bezugsscheine auszustellen und dafür zu sorgen, dass die Bekanntmachungen des Militärkommandos befolgt wurden“, sagt Meßmer. „Dazu kam auch die Organisation von Arbeitskommandos, die für die Wiederherstellung von Brücken und Straßen zusammengestellt wurden.“

Allzu viele arbeitsfähige Männer waren jedoch nicht da. Für Notstandsarbeiten erfasste man rund 120 Personen, überwiegend Beamte und Angestellte, deren Dienststellen noch nicht wieder arbeiteten. Wer nicht arbeitete, bekam keine Lebensmittelkarte.

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Das Rathaus selbst war organisatorisch unterteilt: „Die Franzosen mit ihrer Verwaltung waren in den unteren Stockwerken und wir waren in den oberen Räumen untergebracht“, erinnert sich Olga Wetzel.

Zusammenleben mit französischen Soldaten

Anders war die Lage für Helene Schneider in Hüfingen. In ihrem großen Haus mit Landwirtschaft im Zentrum der Stadt quartierte sich französisches Militär ein. Die Familie verblieb im oberen Stockwerk, alles darunter war beschlagnahmt.

„In der Scheune wurde die Feldküche für die Versorgung der französischen Soldaten eingerichtet. Von unserem Viehbestand beschlagnahmte das Militär immer nur einen offiziell festgesetzten Anteil, sodass wir gut über die Runden kamen und auch noch die Nachbarschaft unterstützen konnten“, so Schneider.

„Auch das Gemüse aus dem eigenen Garten wurde partnerschaftlich geteilt. Wir hatten einen guten und respektvollen Umgang mit den einquartierten Soldaten.“

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Grundversorgung wird hergestellt

In Donaueschingen war die Versorgung mit Wasser, Gas und Licht zunächst unterbrochen. Olga Wetzel und ihre Geschwister gingen mit Eimern und Milchkannen zum Sennhof, wo eine Wasserausgabe eingerichtet war.

„Mit den Lebensmittelkarten konnten wir das Nötigste besorgen. Das waren Eier, Kartoffeln, Zucker, Mehl und Butter. Gehungert haben wir eigentlich nicht, es war nicht viel, aber genug“, erinnert sich Olga Wetzel. „Wir hatten auch einen kleinen Garten, der uns mit versorgte.“

Der Ehrenfriedhof dient als letzte Ruhestätte für Opfer des Kriegs in Donaueschingen
Der Ehrenfriedhof dient als letzte Ruhestätte für Opfer des Kriegs in Donaueschingen | Bild: Tobias Weißert

Auch Helene Schneider berichtet, dass sie als Bauernfamilie gut versorgt waren. Aufwendiger sei es gewesen, Feuerholz zu organisieren, da dazu das Militärkommando enge Auflagen mit strengen Strafen erlassen hatte.

Da viele Einwohner mit Holzöfen auch gekocht haben, war die Verteilung von Holzpaketen eine wichtige Aufgabe für das Rathaus-Personal. Die Beschaffung von Holz war, so Olga Wetzel, von den Franzosen organisiert. „Doch wir sind auch mit dem Wägili in den Wald, um selbst Holz zu sammeln oder Reiswellen zu machen“, sagt Helen Schneide.

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Auch bei den Deutschen gibt es nette Menschen

Waffen, Fotoapparate und auch Radiogeräte mussten sofort abgegeben werden. Sie füllten ganze Räume im Rathaus, so Olga Wetzel. „Wir mussten damals sehr viele Stunden arbeiten, um allen Anforderungen gerecht zu werden, da die Aufgaben für uns alle auch neu waren und täglich andere dazu kamen“.

Von Plünderungen in der Zeit des Kriegsendes haben sie damals immer wieder gehört, berichten beide. Diese sollen aber von ehemaligen Kriegsgefangenen begangen worden sein, die zum Teil auf dem ehemaligen Flugplatzgelände in Hüfingen untergebracht gewesen seien. Auch von Vergewaltigungen sei immer was zu hören gewesen. Sie und ihre Familien seien jedoch glücklicherweise nicht betroffen gewesen.

„Es war eine schlimme Zeit damals, die ich nicht nochmals erleben möchte und niemandem wünsche“, sagt Olga Wetzel. „Und unsere Eltern haben solche Zeiten sogar zweimal erlebt“, ergänzt Helene Schneider. „Einen Satz meiner Mutter habe ich nie vergessen, als sie sagte, dass ein französischer Offizier auf sie zukam und sagte, bei den Deutschen gibt es ja auch nette Menschen“.