Es klingt wie eine Bilderbuchgeschichte: Sevan und Alan Shikho haben ihren Abschluss entweder bereits in der Tasche oder sind kurz davor, ihre Eltern sind beide berufstätig. Die Familie hat eine Wohnung in der Donaueschinger Innenstadt gefunden und in der Quellstadt Fuß gefasst.

Doch dass Vater Mohammad einst eineinhalb Jahre seine Familie nicht in den Arm nehmen konnte, ist nicht vergessen. „Es war eine lange Zeit, die wir ohne unseren Vater auskommen mussten“, erinnert sich Tochter Sevan.

Rund 1,3 Millionen Menschen suchten im Jahr 2015 Asyl in der EU – mehr als doppelt so viele, wie in den Jahren zuvor. Diese Phase ist der Beginn dessen, was von einigen als „Flüchtlingskrise“ in Europa bezeichnet wird. Auch in Donaueschingen sind in der Zeit einige Geflüchtete angekommen – darunter die Familie Shikho.

Zehn Monate musste Mohammad Shikho bangen

„Es war eine große Verantwortung für mich“, sagt Sohn Alan. Gemeinsam mit seiner Schwester und seiner Mutter Fawzia Dahoud floh er aus Syrien illegal über die Grenze in die Türkei. Von dort gelang die Familie mit dem Flugzeug nach Deutschland.

Vater Mohammad hatte einen Familiennachzug beantragt, der jedoch erst im August 2016 bewilligt wurde. Schon vorher hätte er zehn Monate auf seinen Aufenthaltstitel warten müssen, erzählt er.

Die ehemalige Erstaufnahme-Einrichtung für Geflüchtete in der Friedhofstraße in Donaueschingen im Jahr 2018. (Archivbild)
Die ehemalige Erstaufnahme-Einrichtung für Geflüchtete in der Friedhofstraße in Donaueschingen im Jahr 2018. (Archivbild) | Bild: Simon, Guy

Nach zehn Tagen in der Erstaufnahmestelle in Karlsruhe wurde er in Meßstetten untergebracht, bevor es dann schließlich nach Donaueschingen ging. Dort harrte Mohammad Shikho aus, ehe dann auch seine Familie die ersten drei Monate in einer Unterkunft für Geflüchtete in der Quellstadt verbrachte.

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„Beide Kinder sind Beispiele gelungener Integration“

Dann fand die Familie eine Wohnung – und auch sonst konnten der Integrationshelfer Klaus Berblinger und der Donaueschinger Arbeitskreis Asyl bei den Shikhos beobachten, dass sie schnell heimisch wird. Deutschkurse fruchteten früh, in der Schule lief es für die Kinder gut.

Integrationshelfer Klaus Berblinger im Gespräch mit Geflüchteten. Der pensionierte Realschullehrer ist seit 2015 im Arbeitskreis Asyl aktiv.
Integrationshelfer Klaus Berblinger im Gespräch mit Geflüchteten. Der pensionierte Realschullehrer ist seit 2015 im Arbeitskreis Asyl aktiv. | Bild: Klaus Berblinger

„Beide Kinder sind Beispiele gelungener Integration“, lobt Berblinger, der seit Anbeginn der Flüchtlingskrise im Arbeitskreis tätig ist. Schon damals sei Alan in Mathematik so talentiert gewesen, dass er seine Hilfe als ehemaliger Realschullehrer nicht mehr gebraucht habe.

Erst hatte man den jüngeren der Geschwister in die vierte Grundschulklasse einsortiert. „Da waren aber nur Deutsche, was für mich sehr schwierig war“, berichtet Alan. Der Schritt in die dritte Klasse, in der auch ein anderer geflüchteter Junge war, sei der richtige gewesen, sagt auch Mutter Fawzia.

Auf dem Gymnasium glänzt der heute 19-Jährige vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern und den Sprachen. „So konnte ich das Fach Deutsch oft gut ausgleichen“, reflektiert Alan, der im kommenden Jahr sein Abitur ablegen wird.

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Von der Sprachklasse zum Studium

Auch seine Schwester Sevan war motiviert, schnell viel zu lernen: „In Syrien war ich bis zur dritten Klasse in der Schule. Aber dadurch, dass dort auch oft der Unterricht ausgefallen ist, haben mir die Grundlagen gefehlt.“ Nach einem Jahr in der Sprachklasse machte sie ihren Realschulabschluss an der Eichendorffschule.

Es folgte erst eine Ausbildung zur Biologisch-technischen Assistentin, die sie jedoch abbrach. Schließlich sattelte sie auf Jugend- und Heimerziehung um. „Darin habe ich 2024 mein Fachabi gemacht und die Ausbildung in diesem Jahr abgeschlossen“, erzählt die heute 22-Jährige.

Im spanischen Bilbao hatte sie zwischendurch sechs Monate lang in einer Grundschule gearbeitet, nun kümmert sie sich bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) um die Integration von Jugendlichen. Ab Oktober möchte Sevan dann Wirtschaftsingenieurwesen oder Medizintechnik studieren.

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Familie steht zwischen zwei Identitäten

Auch ihre deutsche Staatsbürgerschaft haben die Shikhos inzwischen erhalten. Alan hat auch eine kleine Anekdote dazu: „Ich war damals gar nicht vorbereitet auf den Test. Ich wusste nicht, dass wir Fragen beantworten müssen. Zum Glück hatten wir vieles, was dort abgefragt wurde, in Gemeinschaftskunde behandelt.“

Somit stehen die Syrer indessen auch zwischen zwei Identitäten, was Sevan nachdenklich stimmt: „Das ist ein komisches Gefühl. Der deutsche Pass hat uns viele Türen geöffnet: Reisen, den Aufenthaltstitel. Aber irgendwo sind wir natürlich trotzdem noch syrisch.“

„Es gibt kein Rezept für gelungene Integration“

Außer ihren Großvater, der noch in der alten Heimat lebt, vermissen sie jedoch niemanden, betont Sevan: „Wir haben hier Fuß gefasst und Freunde gefunden. Donaueschingen ist jetzt unsere Heimat.“

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Es gebe kein Rezept für gelungene Integration, meint Alan Shikho: „Man muss die richtigen Leute und Eltern haben, die einen unterstützen. Und hart arbeiten – ein wenig Glück gehört aber auch dazu.“

Auch für Mutter Fawzia Dahoud hat sich vieles zum Guten gewendet: Als ehemalige Grundschullehrerin arbeitet sie heute als Kinderpflegerin. Vater Mohammad Shikho wiederum ist als Taxifahrer tätig.

Gutes Angebot für Flüchtende

Integrationshelfer Klaus Berblinger, der heute vor allem für die Sprachlerngruppe zuständig ist, ist stolz auf den Donaueschinger Weg: „Heute haben wir auch aus den umliegenden Ortschaften viele Menschen, die zu uns kommen, weil unsere Angebote so gut sind.“

Das bestätigt auch die Flüchtlingsfamilie aus Syrien, die Berblinger von Tag eins an betreut hat. Er ist sich sicher, dass die Familie ihren Weg weitergehen wird: „Sevan ist ehrgeizig und wird das Studium schaffen. Sie hat klare Ziele.“ Auch dass Alan das Abitur locker bestehen wird, steht für den Donaueschinger außer Frage.

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Unterstützung bei Migration hat spürbar abgenommen

Dennoch schaut Berblinger mir Sorge auf die Entwicklung seit 2015. Die Unterstützung in der Migrationspolitik sei weniger geworden: „2015 hatten wir noch einen riesigen Helferkreis. Doch die Stimmung in der Gesellschaft hat sich seither verändert, die Politik reagiert zunehmend – Integration wird so erschwert.“

Auch Familie Shikho macht diese Feststellung. Sevan, die beruflich oft mit Abschiebungen zu tun hat, meint: „Jede Woche bekommt jemand einen Bescheid, der für denjenigen den Weltuntergang bedeutet.“

Alan hat bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht. „Seit 2015 gab es viele Vorfälle mit Geflüchteten. Ich kann verstehen, wenn die Menschen dann etwas zurückhaltender sind.“ Allerdings würden vermeintlich einfache Lösungen und Schubladendenken die Gesellschaft auch nicht voranbringen.