Es war am 29. Januar 2019, als rund 30 Ermittler von Polizei, Landeskriminalamt und der Staatsanwaltschaft das Schwarzwald-Baar-Klinikum aufsuchten, die Abteilung Kardiologie und Intensivmedizin ansteuerten, dort den damals verantwortlichen Chefarzt unter Bewachung stellten sowie Unterlagen und Computer abtransportierten. Das Klinikum bestätigte damals: „Es gibt ein Ermittlungsverfahren gegen einen leitenden Mitarbeiter.“

Die Razzia war die Reaktion der staatlichen Organe auf eine anonyme Anzeige beim Landeskriminalamt (LKA) durch vier damalige Mitarbeiter des Klinikums. Über das anonyme Hinweisgeber-Portal des LKA hatten die „Whistleblower“ die Polizei mit zahlreichen Informationen und hunderten von Unterlagen versorgt.

Diese sollten beweisen, dass der Chefarzt über viele Jahre hinweg bis zu seiner Abmahnung im Jahr 2018 bei der Abrechnung von Privatpatienten gegenüber den Krankenkassen betrogen haben soll. In der Kardiologie habe der Chefarzt ein System betrieben, so die Zeugen und Klinik-Beschäftigten, „um Privatpatienten maximal auszumelken“.

Vier Jahre lange Ermittlungen

Nach der Razzia war jahrelang von dem Fall nichts mehr zu hören. Die Ermittlungen des Landeskriminalamtes zogen sich hin. Der SÜDKURIER hat nachrecherchiert und festgestellt: Nach dem Paukenschlag der Razzia von 2019 sollte der Prozess gegen den Chefarzt im Sommer 2023 eröffnet werden. Doch dann: Das Ermittlungsverfahren wurde vor wenigen Wochen still und leise eingestellt.

Tatvorwurf: Betrug in 92 Fällen

Zuvor hatten Polizei und Staatsanwaltschaft über vier Jahre lang ermittelt. Der Leitende Oberstaatsanwalt Hans-Georg Roth bestätigt auf SÜDKURIER-Nachfrage den Tatverdacht gegen einen „verantwortlichen Arzt des Klinikums auf Betrug in 92 Fällen mit einer zur Last gelegten Schadenssumme von 160.000 Euro.“

Gegenstand des Verfahrens, so Roth weiter, „waren komplexe Abrechnungsvorgänge, beginnend ab dem Jahr 2013, mit einer Vielzahl von Beteiligten, die schwierige und wegen des Zeitablaufs oft nur schwer fassbare medizinische Sachverhalte betrafen“.

Aufwändige Ermittlungsarbeit geltend gemacht

Patienten musste nach Darstellung des Staatsanwaltes „soweit möglich, vernommen, medizinische Fragen mussten sachverständig beurteilt werden“. Ausgehend von den medizinischen Sachverhalten galt es in einem zweiten Schritt, Abrechnungsvorgänge bei zahlreichen Krankenkassen, soweit möglich, zu rekonstruieren. Roth: „Dies verlangte in jedem Einzelfall neben medizinischem Sachverstand auch eine krankenversicherungsrechtliche Einschätzung. Vor allem aber musste eine große Menge medizinischer und versicherungstechnischer Daten gesichtet und aufbereitet und mussten komplexe Abrechnungen ärztlicher Leistungen beurteilt werden.“

Der Leitende Staatsanwalt Johannes-Georg Roth.
Der Leitende Staatsanwalt Johannes-Georg Roth. | Bild: Trippl, Norbert

Im Sommer 2023, so der Leitende Oberstaatsanwalt Roth, habe die Staatsanwaltschaft einen „hinreichenden Tatverdacht“ gegen den Chefarzt bejaht und im Juni 2023 Anklage wegen Betrugs beim Amtsgericht Villingen gestellt.

Doch zu einer Prozesseröffnung kam es nicht. Denn das Verfahren sei am 20. Juni auf Antrag der Verteidigung des Chefarztes nach Paragraph 153a der Strafprozessordnung gegen Zahlung eines sechsstelligen Geldbetrages eingestellt worden. Staatsanwalt und Richter hatten ebenfalls zugestimmt.

Staatsanwalt rechtfertigt Einstellung

Dafür gesprochen hätten, so Roth, die langen Ermittlungen, die schwierige Beweislage und die drohende Verjährungsfrist einiger Vorwürfe nach fünf Jahren. Außerdem liege die festgesetzte Geldzahlung von 250.000 Euro höher als die in den Ermittlungsakten festgestellte Schadenssumme von 160.000 Euro.

In dieser Situation habe der Betroffene „durch die Zahlung einer empfindlichen Geldauflage ein langwieriges, kostenintensives und auf drei Instanzen angelegtes Strafverfahren entbehrlich gemacht und damit einen relevanten Beitrag geleistet“.

Richter Bäumler sieht schwierige Beweislage

Der zuständige Richter am Amtsgericht VS, Christian Bäumler, bestätigte gegenüber dem SÜDKURIER, dass er das Verfahren eingestellt habe. Er begründete diese Entscheidung vor allem mit einer schwierigen Beweislage. „Es ist häufig schwer, nach acht bis zehn Jahren noch eine erfolgreiche Beweisführung zu erreichen. Die Frage ist, was man nach so langer Zeit noch beweisen kann.“

Amtsrichter Christian Bäumler.
Amtsrichter Christian Bäumler. | Bild: Gottfried Schmidt CDA-Kreisvorsitzender

Bäumler bestätigte, dass der zu zahlende Geldbetrag vom Gericht auf 250.000 Euro festgelegt worden sei. Ende August habe der Beschuldigte den Geldbetrag in einer Summe bezahlt. Damit sei das Verfahren endgültig eingestellt. Die Geldzahlung sei juristisch kein Schuldeingeständnis. Für den Arzt gelte damit die Unschuldsvermutung.

Das heißt: Der Chefarzt ist nicht vorbestraft und kann nun unbescholten seinen Ruhestand genießen, in den er zum Jahresende verabschiedet worden war.

So äußert sich das Klinikum

Der SÜDKURIER hat auch den Chefarzt und die Klinikleitung aufgefordert, sich zu den Vorgängen und Vorwürfen zu äußern. Die Klinikleitung, die den Chefarzt kürzlich mit Glanz und Gloria in den Ruhestand verabschiedet hatte, meldete sich daraufhin in einer dürren schriftlichen Stellungnahme zu Wort gemeldet.

Darin heißt es: „Das Klinikum selbst ist nicht Verfahrensbeteiligte. Die Staatsanwaltschaft hat sich mehr als vier Jahre lang gründlich mit der Sache befasst. Dem Vernehmen nach wurde das Verfahren vom Amtsgericht Villingen-Schwenningen mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft inzwischen eingestellt. Insofern gilt für den leitenden Mitarbeiter weiterhin die Unschuldsvermutung.“

Auf die inhaltlichen Vorwürfe der polizeilichen Hinweisgeber zum Thema Abrechnungsbetrug bei Privatpatienten zu Lasten der Krankenkassen ging das Klinikum unter Verweis auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht ein. Damit blieb auch die Frage unbeantwortet, ob die Klinik-Geschäftsführung Maßnahmen getroffen hat, um eine Wiederholung der im Raum stehenden Vorwürfe künftig auszuschließen.

Chefarzt äußert sich nicht

Was den „leitenden Mitarbeiter“ angeht, teilte das Klinikum mit, dass dieser sich nicht äußern werde: „Er selbst steht für weitere Informationen nicht zur Verfügung.“

Die damaligen vier Klinik-Mitarbeiter und Informanten der Polizei, die mit ihren Recherchen und der Anzeige einiges riskiert haben, sind zutiefst enttäuscht von der Justiz. „Die Geschichte ist ein einziger Skandal, und wie es jetzt von der Staatsanwaltschaft heruntergespielt wird, ebenfalls“, urteilt einer der Informanten gegenüber dem SÜDKURIER.

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