Oft beginnt der Tag mit schlechten Nachrichten. Vielleicht ist ein Patient gestorben, vielleicht haben sogar zwei die Nacht nicht überlebt. Wenn Antje Scholl um 6 Uhr ihre Frühschicht antritt, weiß sie nicht, was sie erwartet.

Blick auf die Station DS 22. Die Gänge sind leer, alle Patienten der Isolierstation in ihren Zimmern. 30 Covid-Patienten werden hier ...
Blick auf die Station DS 22. Die Gänge sind leer, alle Patienten der Isolierstation in ihren Zimmern. 30 Covid-Patienten werden hier behandelt. | Bild: Nathalie Göbel

Die 23-jährige Gesundheits-und Krankenpflegerin arbeitet auf der Corona-Isolierstation DS 22 am Schwarzwald-Baar-Klinikum in Donaueschingen. Viele Patienten sind wochenlang hier. Bestenfalls werden sie entlassen. Verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand, werden sie auf die IMC (Intermediate Care – eine Behandlungsstufe zwischen Normal- und Intensivstation) oder direkt auf die Intensivstation verlegt. Wenn sie ihre Covid-19-Erkrankung denn überleben.

Uli Roth mit einem Karton voller Schutzkittel. In den Zimmern arbeiten die Pflegekräfte unter Vollschutz. Dann kommen neben FFP2-Maske ...
Uli Roth mit einem Karton voller Schutzkittel. In den Zimmern arbeiten die Pflegekräfte unter Vollschutz. Dann kommen neben FFP2-Maske noch Schutzbrille, Handschuhe und OP-Haube dazu. | Bild: Nathalie Göbel

6 Uhr: Die Nachtschicht berichtet dem Frühdienst in der Übergabe über die vergangenen Stunden. Gab es Besonderheiten? Gab es Todesfälle? Bei welchen Patienten musste der Sauerstoff erhöht werden? Sauerstoff brauchen sie auf der Station fast alle. Eine Nasenbrille transportiert das Gas in die Atemwege und schafft Erleichterung. Nach der Übergabe beginnt die Arbeit an den 30 Patienten, komplett unter Vollschutz. Jeweils drei Fachkräfte sind für einen der zwei Gänge zuständig, in die sich Station DS 22 aufteilt. Als erstes werden die Vitalzeichen kontrolliert: Atemfrequenz, Puls, Blutdruck, Körpertemperatur. Drei Mal täglich wird so der Zustand der Patienten überprüft. Bei manchen steht außerdem eine Blutzuckerkontrolle an.

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„Viele Covid-Patienten brauchen Cortison, was aber den Blutzucker nach oben treibt“, erklärt Uli Roth. Die 56-Jährige ist Pflegerische Klinikleitung für den Bereich Unfallchirurgie und Orthopädie. Eigentlich. „Jetzt eben Covid“, sagt sie. 1983 hat sie im damaligen Donaueschinger Krankenhaus an der Sonnhalde gelernt und ist seitdem „zu 100 Prozent in der Pflege tätig“.

„Gerade für Demenzkranke ist die Situation noch schlimmer. Sie sehen ja nur noch vermummte Gesichter.“
Uli Roth, Pflegerische Klinikleitung

Zwei Tage pro Woche ist sie im Klinikum Donaueschingen, ansonsten in Villingen-Schwenningen. „Da, wo es gerade am meisten brennt“, sagt sie. Und es brennt oft. Nicht erst seit der ersten, zweiten, dritten und nun vierten Coronawelle. Die Pandemie hat den Pflegenotstand nur noch verschärft. Viele Mitarbeiter seien an der Belastungsgrenze, schon lange. Uli Roth ist dankbar für jeden, der bleibt.

Infektionswäsche wird in gelben Plastiksäcken verpackt.
Infektionswäsche wird in gelben Plastiksäcken verpackt. | Bild: Nathalie Göbel

6.30 Uhr: Bei den Patienten steht die Grundpflege an: Waschen, Kämmen, Zahnpflege. „Wir haben sehr viele Ältere hier, die Hilfe benötigen“, schildert Antje Scholl. Auch Demenzkranke sind darunter. Für die Pflegekräfte eine besondere Herausforderung. Oft seien die betagten Menschen ohne Maske auf der Station unterwegs, ziehen sich den Sauerstoffschlauch, schreien laut oder versuchen wegzulaufen. „Gerade für Demenzkranke ist die ganze Situation noch viel schlimmer“, sagt Uli Roth. „Sie sehen ja nur noch vermummte Gesichter.“ Nach Grundpflege und Frühstück steht die Blutgasanalyse (BGA)-Runde an. Eine aufwändige Prozedur, bei der am Ohr Blut entnommen und anschließend auf verschiedene Parameter hin untersucht wird.

„Ich sag‘ mal so: Die aktuelle Situation, in der man von der Politik einfach nicht gehört wird, macht es nicht gerade zum Traumberuf.“
Antje Scholl, Gesundheits- und Krankenpflegerin

Normalerweise ist die Station DS 22 eine orthopädische Station. Jetzt ist sie Isolierstation für Corona-Patienten. Vor den Zimmern auf dem Gang stehen Wagen mit Pflegeutensilien. Handschuhe, FFP2-Masken, Schutzbrillen. „Im Zimmer bleibt nur das Allernötigste“, sagt Antje Scholl. 2018 hat sie am Schwarzwald-Baar-Klinikum ihre Ausbildung abgeschlossen. Traumberuf Pflege?

Handschuhe sind im Klinikalltag ohnehin unverzichtbar – in Pandemiezeiten noch viel mehr.
Handschuhe sind im Klinikalltag ohnehin unverzichtbar – in Pandemiezeiten noch viel mehr. | Bild: Nathalie Göbel

„Ich sag‘ mal so: Die aktuelle Situation, in der man von der Politik einfach nicht gehört wird, macht es nicht gerade zum Traumberuf.“ Hätte sie einen Wunsch frei, es wäre mehr Personal. „Damit man nicht sonntags angerufen wird, um einzuspringen, oder Kollegen aus dem Urlaub holen muss.“ Auch Uli Roth ist nach fast zwei Jahren Pandemie ernüchtert. „Nach der ersten Welle hat man für das Pflegepersonal noch applaudiert. Getan hat man aber nichts.“

9.30 Uhr: Die Visite beginnt. Eine Pflegekraft geht zusammen mit den Ärzten von Zimmer zu Zimmer. Laborwerte werden begutachtet, Medikamente und Therapien wenn nötig angepasst, Verordnungen für zu Hause geschrieben. „Patienten mit wenig Sauerstoffbedarf beispielsweise bekommenein kleines Gerät für daheim verordnet“, nennt Antje Scholl ein Beispiel. Einmal pro Woche steht für jeden Patienten ein PCR-Test an. Nach der Visite geht es zur Röntgenrunde. Die Patienten werden mit Maske und Sauerstoffgerät in Rollstühle gesetzt. Der hauseigene Transportdienst bringt sie zur Röntgenabteilung und holt sie auch wieder ab. Zwischendurch werden bettlägerige Patienten umgelagert, irgendwann zwischendurch machen die Pflegekräfte ihre Pause.

Alle Mitarbeiter testen sich jeden Tag mit Antigentests – unabhängig vom Impfstatus.
Alle Mitarbeiter testen sich jeden Tag mit Antigentests – unabhängig vom Impfstatus. | Bild: Nathalie Göbel

Die Pausenzeiten variieren oft. Manchmal fällt die Pause auch nur kurz aus. Uli Roth ist es wichtig, dass dennoch alle sich kurz Zeit nehmen, um durchzuatmen. „Vieles ist schon belastend“, sagt Antje Scholl. Der Zustand eines Patienten könne sich sehr schnell ändern. „Einen Tag setzt man den Menschen noch auf die Bettkante, am nächsten Tag ist er Palliativpatient.“

Die Tagesration Medikamente eines Patienten auf der Isolierstation.
Die Tagesration Medikamente eines Patienten auf der Isolierstation. | Bild: Nathalie Göbel

11.30 Uhr: Bevor das Mittagessen kommt, werden neue Infusionen angehängt, die Blutzuckerwerte kontrolliert und Medikamente für den restlichen Tag nach dem Vier-Augen-Prinzip gerichtet. „Unsere Patienten bekommen Unmengen Medikamente. Die älteren Menschen brauchen ja schon von Haus aus einiges“, sagt Antje Scholl. Im Dienstzimmer steht auf einem großen Tablett die Wochenration der Station: Hustenstiller steht neben Cortison, aber auch Vitamin D3 oder Zink zur Stärkung der Immunabwehr sind dabei. Viele der älteren Patienten brauchen Hilfe beim Essen, hinzu kommen Demenzkranke, die zwar selbst essen, die aber mitunter eine halbe Stunde dazu animiert werden müssen.

„Die Panik und Hilflosigkeit von Patienten mit akuter Luftnot ist nur schwer zu ertragen.“
Uli Roth

„Klar sind alle echt müde“, sagt Uli Roth. Sie fürchtet, dass viele dem Pflegeberuf über kurz oder lang den Rücken kehren werden. Denkt sie an die Äußerung des bisherigen Gesundheitsministers Jens Spahn, wonach Pflegekräfte streiken und ihr Geld einklagen sollten, kann sie nur den Kopf schütteln.

Die Wochenration Medikamente für die Isolierstation. Hustenstiller und Cortisonpräparate sind dabei, aber auch Vitamin D3 und Zink, um ...
Die Wochenration Medikamente für die Isolierstation. Hustenstiller und Cortisonpräparate sind dabei, aber auch Vitamin D3 und Zink, um die Immunabwehr zu stärken. | Bild: Nathalie Göbel

„Streiken“, sagt sie. „Wie denn?“ Würden die einen streiken, müsse eine Notbesetzung den Stationsbetrieb am Laufen halten. „Und nach dem Streik können wir dann alles nacharbeiten, was liegen geblieben ist und eingenässte Patienten versorgen.“

Kein Verständnis für Leugner

Für Corona-Leugner hat die 56-Jährige nach fast zwei Jahren Pandemie keinerlei Verständnis mehr. „Die sollten alle mal bei uns vorbeikommen und sich anschauen, wie die Leute versuchen, gesund zu werden und wie sie keine Luft bekommen.“ Die Panik und Hilflosigkeit von Patienten mit akuter Luftnot sei nur schwer zu ertragen. Manche benötigen 30 Liter Sauerstoff die Minute. „Sieben, acht Liter sind eigentlich schon kritisch“, sagt Uli Roth. Und wenn alles nichts hilft? „Dann kann man noch Morphium geben.“

Vor jedem Patientenzimmer steht ein Wagen mit den wichtigsten Utensilien – darunter Schutzbrillen und FFP2-Masken.
Vor jedem Patientenzimmer steht ein Wagen mit den wichtigsten Utensilien – darunter Schutzbrillen und FFP2-Masken. | Bild: Nathalie Göbel

11.45 Uhr: Der Spätdienst trifft ein. Vor der Übergabe wird abgearbeitet, was bisher warten musste. Die Spätschicht beginnt mit der erneuten Kontrolle der Vitalzeichen: Atemfrequenz, Puls, Blutdruck, Körpertemperatur.

Als Uli Roth den Beruf 1983 lernte, habe sie die Arbeit noch in Ruhe erledigen können. „Heute geben wir nur noch Vollgas.“

14.18 Uhr: Feierabend für Antje Scholl. Die „krumme“ Uhrzeit ergibt sich durch eine Fünf-Tage-Woche mit 39 Arbeitsstunden. Familie, Freunde und Sport, vor allem Fußballspielen, sind ihr Ausgleich.