Immer mehr Menschen kehren den beiden großen Kirchen in Deutschland den Rücken. Auch in Villingen-Schwenningen und im gesamten Schwarzwald-Baar-Kreis verzeichnen sowohl Protestanten, als auch Katholiken sinkende Mitgliederzahlen – seit Jahren.

Wolfgang Rüter-Ebel ist Dekan der evangelischen Kirchengemeinde in Villingen. Er übt seinen Beruf seit fast 30 Jahren aus.
Wolfgang Rüter-Ebel ist Dekan der evangelischen Kirchengemeinde in Villingen. Er übt seinen Beruf seit fast 30 Jahren aus. | Bild: Wolfgang Rüter-Ebel

Wolfgang Rüter-Ebel ist Dekan des evangelischen Kirchenbezirks Villingen und seit fast 30 Jahren in seinem Beruf. „Früher waren wir oft die einzigen Anbieter, was die Suche nach Spiritualität angeht. Heute müssen wir uns eingestehen, dass wir nur einer von vielen auf dem Markt sind“, sagt er im SÜDKURIER-Gespräch.

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„Der Rückgang der Gemeindemitglieder hängt zum einen mit dem demografischen Wandel zusammen, zum anderen aber auch mit Austritten„, sagt Rüter-Ebel. Lange habe es die Meinung gegeben, dass man gegen den demographischen Wandel nichts machen könne. Nun sei aber die Freiburger Studie erschienen. Rüter-Ebel: „Die kommt zum Schluss, dass die Kirche doch einen größeren Einfluss auf die Menschen hat. Daraus folgt, dass es mehr aktiven Kontakt geben muss.“

Die Johannes-Kirche in der Villinger Gerberstraße. Rüter-Ebel ist Dekan und Pfarrer im Gemeindebezirk Johannes.
Die Johannes-Kirche in der Villinger Gerberstraße. Rüter-Ebel ist Dekan und Pfarrer im Gemeindebezirk Johannes. | Bild: Matthias Jundt

„Unabhängig davon ist den Gemeinden klar, dass sie nicht auf Interessenten warten können, sondern zu den Leuten hingehen müssen“, sagt der Dekan weiter. Man arbeite auch daran, kirchliche Angebote wie Gottesdienste zeitgemäßer zu gestalten. „Insgesamt lassen die Bindung, die Selbstverständlichkeit und auch die gesellschaftliche Prägung nach“, sagt Rüter-Ebel.

Das betrifft nicht nur die evangelische, sondern auch die katholische Kirche. Es gebe daher auch ökumenische Projekte. In diesem Jahr sollte es am 10. Oktober eigentlich die Nacht der offenen Kirchen geben. Die musste wegen der Corona-Pandemie aber auf das kommende Jahr verschoben werden.

Pfarrer Michael Schuhmacher bei seiner Rede anlässlich des Volkstrauertags auf dem Schwenninger Waldfriedhof im vergangenen November.
Pfarrer Michael Schuhmacher bei seiner Rede anlässlich des Volkstrauertags auf dem Schwenninger Waldfriedhof im vergangenen November. | Bild: Hans-Juergen Goetz

Wie bei in der evangelischen Gemeinde in Villingen, so verzeichnen auch die Schwenninger Katholiken einen steten Rückgang an Mitgliedern. Pfarrer Michael Schuhmacher, der zur Seelsorgeeinheit Neckar-Baar gehört, sagt: „Wir haben im Jahr etwa 80 Taufen, im vergangenen gab es dagegen 90 Austritte. Dazu kommen noch Todesfälle – zirka ein Prozent der Kirchengemeinde stirbt jährlich – und Menschen, die wegziehen.

Zwar seien das keine riesigen Zahlen, aber: „Jeder Austritt ist zu viel und jeder tut weh. Mich verletzt das“, sagt Schuhmacher, der seit 1994 Priester ist, weiter. Erst kürzlich habe er in der Sonntagsmesse über Kirchenaustritte gesprochen. Besonders bitter findet er, dass die Menschen einfach so gehen, ohne sich zu verabschieden. „Jeder Ausgetretene erhält dann einen persönlichen Brief von uns. Leider antworten die wenigsten darauf“, erzählt der Pfarrer.

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Neben finanziellen Gründen oder dem Wechsel zur Konfession des Partner, sei der Kindesmissbrauch innerhalb der Kirche ein Grund für die Austritte. „Was passiert ist, ist sehr schlimm. Das ist aber leider auch ein gesellschaftliches Problem. Ich finde es gut, dass das Thema so hochgekommen ist“, sagt Schuhmacher. Die Kirche sei immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. „Das rechtfertigt die Taten aber natürlich nicht“, so der Pfarrer, aber: „Vertrauen in die Kirche ist verloren gegangen. Seit 2010 haben die Austritte merklich zugenommen.“

Quo vadis, Kirche?
Quo vadis, Kirche? | Bild: Matthias Jundt

Ein Versuch, das Sinken der Mitgliederzahlen zu stoppen, ist die Initiative 2020. Im Rahmen dieser sollen Fragen des Glauben und der Bibel thematisiert werden. An jedem 20. eines Monats um 20 Uhr sollten hierzu Treffen stattfinden. Wegen Corona mussten die vorerst abgesagt werden.

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Zu sehr ändern sollte sich die katholische Kirche aus Schuhmachers Sicht allerdings nicht. Die evangelische Kirche, sagt er, habe viele Forderungen zum Wandel umgesetzt. Schuhmacher: „Die evangelische Kirche hat aber die gleichen Probleme wie wir. Die Antwort kann also nicht beispielsweise in der Aufhebung des Zölibats liegen.“ Er findet, dass die Verlässlichkeit der katholischen Kirche im Ritus liege. Es sei nicht gut aus Gottesdiensten Events zu machen. Den Versuch, Kirchenaustritte zu verhindern, bezeichnet Schuhmacher als „Kampf gegen Windmühlen“.

Dorothea Hofmann vom katholischen Dekanat Schwarzwald-Baar.
Dorothea Hofmann vom katholischen Dekanat Schwarzwald-Baar. | Bild: Greiner, Anja

Das kennt auch Dorothea Hofmann. Sie ist Dekanatsreferentin bei der katholischen Kirche im Schwarzwald-Baar-Kreis und weiß um den Mitgliederschwund in der Gemeinde.“Die Kirchenaustrittszahlen sind auf einem historischen Höchststand“, sagt sie.

Die Villinger Münsterkirche ist Anlaufpunkt für Katholiken.
Die Villinger Münsterkirche ist Anlaufpunkt für Katholiken. | Bild: privat

Die Gründe dafür seien etwa der Missbrauchsskandal 2010 oder auch die Missbrauchsstudie 2018. Aber auch die veränderte Art, wie die Kirchensteuer eingezogen wird. „Warum die Austrittszahlen für 2019 so hoch sind, lässt sich allerdings nicht durch ein signifikantes Ereignis erklären“, sagt Hofmann weiter. Auch Themen wie die kirchlich vertretene Sexualmoral, die Rolle der Frau und der Zölibat seien Themen, die die Menschen uneinig werden lassen mit der katholischen Kirche. Am Ende eines Austritts stehe meist ein langer Entfremdungsprozess.

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Mit dem syndonalen Weg versucht die katholische Kirche dem Mitgliederschwund entgegenzuwirken. „Dieser ist eine gemeinsame Aktion der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken“, erläutert Hofmann. Dabei solle verlorenes Vertrauen in die Kirche zurückgewonnen werden. Denn: Die Zahlen bei den Jugendlichen, die zur Firmung gehen, sei noch immer noch. Außerdem habe man mehr Taufen und Beerdigungen.

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Die Frage ist, wie die Kirche es schafft, die vielen Jugendlichen dauerhaft an sich zu binden. Für Hofmann, die sich auch mit Dekan Josef Fischer abgesprochen hat, halten die Menschen eher zur Kirche, wenn die Gemeinschaft vor Ort gelebt und tragend ist.

Klar ist: Die großen Kirchen in Villingen-Schwenningen und dem Kreis wissen, dass ihnen die Mitglieder wegrennen. Auf der Dekenatskonferenz kommende Woche wird das auch das große Thema sein. Denn die Frage bleibt: Quo vadis, Kirche?