Seit Dezember sind die Schulen im Schwarzwald-Baar-Kreis praktisch ununterbrochen geschlossen. Nach einigen wenigen Tagen Wechselunterricht, die mit Sinken der Inzidenzzahlen im März eingeläutet wurden, trat am 23. April die Bundes-Notbremse in Kraft. Mit ihr schlossen sich die Schultüren erneut.

Bildungsgleichheit? Schön wär‘s

Schon im Februar hatte eine Studie bestätigt, was viele vermuten: Die Bildungsungleichheit in Deutschland wird durch den Distanzunterricht und Homeschooling verschärft. Sprich: Bildungsstand und Geldbeutel der Eltern haben einen großen Einfluss darauf, wie erfolgreich sich das Lernen zu Hause gestaltet.

Kein Tablet, kein PC

Während der Untersuchung zufolge 60 Prozent der Gymnasiasten über digitale Endgeräte wie Tablets verfügen, waren es bei Haupt- und Realschülern gerade einmal 30 Prozent. Und selbst wenn die ganze Klasse zumindest auf dem Smartphone die entsprechenden Apps installiert hat, erreicht der Distanzunterricht längst nicht alle.

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In der Klasse von Anna Müller beispielsweise. Anna Müller heißt in Wirklichkeit anders und unterrichtet an einer Hauptschule im Schwarzwald-Baar-Kreis eine achte Klasse. Weil sie Repressalien von Eltern und Vorgesetzten fürchtet, hat sich der SÜDKURIER dazu entschieden, ihren Namen zu ändern.

Zehn erledigen die Aufgaben

„Im Grunde“, sagt die Pädagogin, „ist ein Drittel meiner Klasse abgetaucht.“ Knapp über 20 Schüler hat ihre Klasse. Zehn davon würden die täglichen Aufgaben immer abliefern. In den täglichen Videounterricht schaffen es immerhin zwölf bis 14. Der Rest bleibt: verschwunden.

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„Man kann ihnen nur Brücken bauen“, sagt Anna Müller. „Rübergehen müssen sie selbst.“ Brücken bauen, das heißt: Jedem einzelnen dabei helfen, die für den Unterricht benötigte Software auf dem Smartphone zu installieren. Die meisten Schüler dieser Klasse erledigen alle Aufgaben am Handy, weil zu Hause Tablet oder Computer fehlen. Brücken bauen heißt auch: Täglich auch nach dem Videounterricht für Fragen, Sorgen und Nöte ansprechbar sein.

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Den Eltern gilt es, E-Mails zu schreiben, die jedoch meist unbeantwortet blieben oder bei denen erst gar keine Lesebestätigung erfolgt. Und Brücken bauen heißt auch, die Schulsozialarbeiterin mit ins Boot holen. Diese ruft dann beispielsweise die Dauer-Abwesenden an, fragt nach, ob alles okay ist, und erfährt zum Beispiel: Ja, mir geht‘s gut. Hausaufgaben? „Konnte ich nicht machen, das W-Lan ging nicht.“

„Der Akku war leer“

Anna Müller stellt schon gar keine Aufgaben, für die etwas ausgedruckt werden muss, weil die meisten ihrer Schüler zu Hause keinen Drucker haben. Oft telefoniert sie den Schülern auch selbst hinterher. Etwa, um von der Mutter zu erfahren, dass sie ihre Tochter gerade zum Einkaufen geschickt habe. In diesem Fall habe sich im Nachhinein herausgestellt, dass das Mädchen bei einer Freundin übernachtet hatte. Zurückrufen habe sie nicht können, weil der Handy-Akku leer gewesen sei.

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„Mehr“, sagt Anna Müller, „geht einfach nicht.“ Der traurige Rekordhalter in ihrer Klasse: „Ein Schüler hat seit Jahresanfang knapp 50 unentschuldigte Fehltage angehäuft.“ Das sind zusammengerechnet mehr als acht Wochen, an denen der Achtklässler nicht am Unterricht teilgenommen hat. Der nächste Schritt werde ein Bußgeldbescheid sein, sagt die Klassenlehrerin, die selbst schulpflichtige Kinder zu Hause hat. Schulschwänzen ist eine Ordnungswidrigkeit.

Corona bringt‘s ans Licht

An manchen Tagen ist Anna Müller frustriert, obwohl sie ihren Beruf liebt. „Ich schicke ja nicht nur Wochenpläne und sage: Mach mal. Ich bin jeden Tag erreich- und ansprechbar.“ Diejenigen, die am täglichen Unterricht teilnehmen, würden sich engagiert beteiligen und sehr profitieren. „Im Digitalunterricht machen wir viel Gruppenarbeit, das klappt sehr gut.“

Das Problem an sich sei nicht die Pandemie, sagt sie. „Die Probleme gab es schon vorher. Corona hat sie allerdings gnadenlos offenbart.“