Seit einigen Jahren stehen sie in gefühlt jedem zweiten Garten und sind die Attraktion bei jedem Kindergeburtstag: Gartentrampoline. Der Spaß hat jedoch auch seine Schattenseiten. In der Kinderklinik des Schwarzwald-Baar-Klinikums bekommen Ärztinnen und Ärzte diejenigen Kinder zu sehen, bei denen ein Sprung daneben gegangen ist.

„Wichtig ist, dass immer unter Aufsicht gehüpft wird. Also nicht den Grill anwerfen und sich freuen, dass die Kinder beschäftigt sind.“
Avraam Mastorakis, Facharzt für Kinderchirurgie
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„Die Zahl der Verletzungen hat in den vergangenen Jahren definitiv signifikant zugenommen“, sagt Avraam Mastorakis, Direktor der Abteilung Kinder- und Jugendchirurgie am Klinikum. Lange Zeit habe der 1. Mai in der Kinderklinik die Saison für typische Sprungverletzungen eröffnet: Nämlich, sobald Maifeste gefeiert wurden, bei denen Hüpfburgen aufgebaut waren. Inzwischen geht die Saison schon früher los – sobald die Gartentrampoline aus Garage und Keller geholt werden.

Avraam Mastorakis (50) ist Chef der Kinderchirurgie am Schwarzwald-Baar-Klinikum. Er hat schon viele Kinder nach Trampolin-Unfällen ...
Avraam Mastorakis (50) ist Chef der Kinderchirurgie am Schwarzwald-Baar-Klinikum. Er hat schon viele Kinder nach Trampolin-Unfällen behandelt. Er sagt aber auch: Das Hüpfen schult Motorik und Koordination, woran es vielen Kindern fehle – vor allem nach zwei Jahren Pandemie. | Bild: Schwarzwald-Baar-Klinikum
  • Typische Verletzungen: Schnittwunden, Prellungen, Platzwunden und vor allem Knochenbrüche, so lässt sich das Verletzungs-Portfolio der Trampoline zusammenfassen. Am häufigsten betroffen sind Oberarme und Ellbogen, Unterarme und Unterschenkel, Sprunggelenke und mitunter auch die Wirbelsäule, berichtet Avraam Mastorakis aus der Praxis. Der Mediziner, selbst Trampolinbesitzer und Vater von vier Kindern, will die Geräte jedoch nicht verteufeln: „In erster Linie sind sie etwas sehr Schönes für die Kinder.“ Auch seien die meisten Verletzungen glücklicherweise harmlos. Mastorakis ist nach 28 Jahren Berufserfahrung sicher: „Kinder haben einen Schutzengel.“ Oft habe er erlebt, dass Stürze aus mehreren Metern Höhe glimpflich ausgingen, bei denen Erwachsene mindestens schwere Knochenbrüche davongetragen hätten. Den Kindern komme außerdem zugute, dass ihr Körper in der Entwicklungsphase viel selbst reparieren könne, beispielsweise eine Achsenfehlstellung am Bein. „Bei Erwachsenen bleibt das ohne Behandlung so.“
Im freien Fall: Helena landet auf dem Rücken.
Im freien Fall: Helena landet auf dem Rücken. | Bild: Silke Weidmann
  • Knackpunkt Wirbelsäule: Die Wirbelsäule kann bei Trampolin-Unfällen schnell gestaucht oder geprellt werden. Schlimmstenfalls bricht sie. „Das passiert entweder durch Saltos, wenn die Kinder dabei unglücklich landen, beispielsweise auf dem harten Rand der Sprungfläche“, erklärt Avraam Mastorakis. Auch bei Zusammenstößen mit anderen Kindern komme es oft zu Wirbelsäulenverletzungen. Diese seien nicht so harmlos wie beispielsweise eine Platzwunde am Kopf. Die sieht zwar meistens schlimm aus, weil sie stark blutet, aber: „Wichtig ist, dass das Blut abfließt. Gefährlich sind Blutungen im Inneren des Kopfes, die man nicht sieht“, sagt der Chirurg.
Für Aurelia kann es nicht wild genug sein.
Für Aurelia kann es nicht wild genug sein. | Bild: Silke Weidmann
  • Tipps zum sicheren Hüpfen: Es macht Spaß, ist aber riskant – mehrere Kinder im Trampolin. „In erster Linie ist ein Trampolin ein Sport- und kein Freizeitgerät“, sagt der Mediziner. Bei mehreren Kindern komme es oft zum Katapulteffekt. Springt ein schwereres Kind wird ein leichteres von der federnden Sprungfläche hochkatapultiert. Bestenfalls landet ein Kind dann nur unsanft, schlimmstenfalls bricht es sich die Knochen. Damit sei das Trampolin auch weitaus gefährlicher als Hüpfburgen, bei denen der Katapulteffekt nicht auftritt. Auch für Kinder unter drei Jahren sei das Trampolin tabu. Sechs Jahre gelten Empfehlungen als Mindestalter. Dass Trampoline aber auch Jüngere magisch anziehen, weiß der vierfache Vater aus Erfahrung. „Ich verstehe die Kinder total. Wichtig ist, dass immer unter Aufsicht gehüpft wird. Also nicht den Grill anwerfen und sich freuen, dass die Kinder beschäftigt sind.“ Gerade bei unter Sechsjährigen seien sowohl Koordination als auch Motorik noch nicht so weit entwickelt. Die Folge: Die Kinder treffen den Punkt, an dem sie landen wollen, nicht genau. Bemerke man, dass ein Kind vom Hüpfen motorisch überfordert sei, müsse es raus. Auch Gegenstände wie Äste und vor allem Bälle haben aufgrund der Verletzungsgefahr im Trampolin nichts zu suchen. Nicht zuletzt sollte das Hüpfgerät gut in Schuss sein: Der Herausfallschutz sollte intakt sein, Stangen und Gerüst nicht verrostet und der Reißverschluss am Einstieg sollte bei Benutzung immer geschlossen sein.
Für manche Sprünge braucht Aurelia mehr Platz.
Für manche Sprünge braucht Aurelia mehr Platz. | Bild: Silke Weidmann
  • Unfallvorsorge durch Bewegung: Kinder, die über eine schlechte Koordination verfügen, verletzen sich häufiger als Kinder, die viel toben, klettern, springen – kurz: die sich viel bewegen. „Der Trend geht ohnehin zu weniger Bewegung, was die Pandemie bei vielen Kindern noch verschärft hat“, beobachtet Avraam Mastorakis. Zu viele Konsolenspiele, zu wenig Gelegenheiten zum Toben, Übergewicht – in den Sprechstunden des Mediziners häufig Thema. Bei vielen Kindern erkenne man schon an der unkoordinierten Art zu rennen, dass sie sich nicht genügend austoben. „Manchmal sehe ich mich da auch ein bisschen als Erzieher“, sagt Avraam Mastorakis. Er beobachtet mit Sorge die Widersprüchlichkeit, die in vielen Familien herrsche: „Man will supertolle Kinder, aber keinen Aufwand. Man möchte super trainierte Kinder, ist aber nicht bereit, dafür etwas zu tun.“ Stattdessen bekämen oft schon die Kleinsten das Handy in die Hand gedrückt. „In Maßen“, sagt der Arzt, „in Maßen ist ja alles okay. Und Gott sei Dank haben wir heute technische Errungenschaften.“ Doch die Dosis müsse stimmen – beim Trampolin wie bei der Spielekonsole.
Helena, Aurelia und Laetitia nehmen Rücksicht und halten Abstand.
Helena, Aurelia und Laetitia nehmen Rücksicht und halten Abstand. | Bild: Silke Weidmann