Das zweite Kilogramm Lasagne dreht sich in der Mikrowelle, als es Sascha Graf überkommt. Zu diesem Zeitpunkt wiegt er etwa 180 Kilogramm. Er ist schwer übergewichtig. Ein Kilogramm Supermarkt-Schichtpasta hatte er bereits vertilgt. Es hat Spuren hinterlassen. Ihm ist übel, er fühlt sich voll, er will, dass sich etwas ändert.
„Feiern, chillen, essen“
Die Geschichte dieser Veränderung ist körperlich. Sie ist gezeichnet von Fett, Haut, Schweiß, Operationen und Tätowierungen.
Seine Familie und seine Freunde wollten immer nur das Beste, beschreibt Graf seine Jugend. Letztlich war es zu viel des Guten: Gameboy, Super Nintendo, Zucker, Schokolade und Alkohol. „Feiern, chillen, essen“, fasst es Graf zusammen.

Die süßen Versuchungen waren Gift für seinen Körper. Trotzdem wollte er das Leben genießen. Um seinem Dasein eine Wende zu geben, kehrte er seinem hessischen Umfeld den Rücken.
Am 21. Oktober in die Zukunft
Um Gewicht zu verlieren, müsse man nicht die Symptome, sondern die Ursache angehen, sagt Graf: „Nur vom Fasten sieht du aus wie eine ausgedrückte Senftube.“ Obwohl er etwas Nachhaltiges suchte, überzeugte ihn die Vorstellung, in kurzer Zeit viel Gewicht zu verlieren.
Sein Umfeld war Teil dieser Ursache. Also entschied er an der Fernseh-Show „The Biggest Loser“ teilzunehmen. 20 adipöse Menschen, die im Wettstreit abnehmen wollen.
Am Abend des 21. Oktober 2015 isst Graf einen letzten Burger in Hessen. Ein sinnbildliches Datum. Es ist derselbe Tag, an dem auch Marty McFly aus dem Film „Zurück in die Zukunft“ in eben jener Zukunft ankommt.
50 Kilogramm Gewichtsverlust
Sechs Wochen verbrachte er 2015 zwischen Oktober und Dezember im spanischen Andalusien. 50 Kilogramm verlor er. Das entsprach 29 Prozent seines Ausgangsgewichts. Damit erreichte er den zehnten Platz. Ali, der Gewinner seiner Staffel verlor beinahe die Hälfte seines Gewichts.
Exemplarisch rechnet Graf eine Faustformel vor: Ein Kilogramm Fett wäre grob in 7000 Kalorien umzurechnen. Wollte er also einhundert Kilogramm Gewicht verlieren, ergäbe das ein Defizit von 700.000 Kalorien.
Emotionen vor Erfolg
Gewinnen wollte er ohnehin nie, so Graf. In ständiger Begleitung von Trainern, Ernährungsberatern und Kameras wollte er sein Leben in den Griff kriegen. Graf betont: „Es ist eine Show. Es geht um Quote.“ Deshalb seien die Emotionen der Kandidaten immer wichtiger als ihre Erfolge. Doch für Graf ergaben sich dutzende neue Bekanntschaften. Zu den meisten Kandidaten und Trainern seit seiner Teilnahme hat er Kontakt.
Die Entlohnung für die Strapazen ist gering. 200 Euro Aufwandsentschädigung bekommen die Kandidaten damals pro Woche. Das Machtgefüge ist dabei vertraglich festgelegt. Ein Schaubild zeigt Produzenten und Crew-Mitglieder über den Teilnehmern. Und wer etwas über den Verlauf der Show ausplaudert, bevor es im Fernsehen lief, muss einige tausend Euro Strafe zahlen.
Druck als Motivator
Grafs Schätzung nach hätten nur etwa zehn Kandidaten seit ihrer Teilnahme ihr Gewicht gehalten. 80 Prozent nähmen nach der Sendung wieder zu oder kehrten gar auf ihr Ausgangsgewicht zurück. Im Camp sei man von Trainern und dem Willen zum Sport umgeben, so Graf. Das sei schwer, in den heimischen Alltag zu integrieren.
Um diese Hürde zu überwinden, begann er seine eigene Motivationsshow zu moderieren. Auf Instagram sprach er offen über seinen Werdegang, seinen Körper und seine Ziele. So konnte er von dem äußeren Druck profitieren. Jeder Besuch im Fitnessstudio, jeder Lauf wurde so zum eingelösten Versprechen.
Die Operationen
Die Gewichtsabnahme und der Fettverlust offenbarten, dass ein Tumor in seinem Hals wucherte, der die Luftröhre zudrückte. Bei der Operation verlor er wieder Gewicht: 200 Gramm Geschwür wurden herausgeschnitten. Lebensrettung statt Training.

Außerdem kommen noch weitere sechs Kilogramm weg. Ein Berliner Schönheitschirurg schnitt zur Bauchendeckenstraffung leeres Fettgewebe ab. Seit seiner Gewichtsabnahme lappte Haut über seinen Hosenbund.
Alles dreht sich um die Balance
Sein Leben jetzt begreift er als zweite Chance. „Ich will mich auch noch im hohen Alter bewegen können.“ Was ihn antreibt, ist der Wille, das Leben genießen zu wollen. Dafür komme es auf die richtige Balance an. „Habe ich Lust zu feiern oder zu entspannen, muss ich auf der anderen Seite Sport und Bewegung auflegen“, zeichnet er das Bild einer Waage.
Inzwischen ist er sogar Fitnesstrainer. Zufälligerweise in dem Studio, in dem auch der aktuelle Villinger Kandidat Torsten Münch trainiert.
Was das Abnehmen angeht, habe er über die Zeit alles ausprobiert. Mit einem deutlichen Ergebnis: Es gebe keine Abkürzungen, keine Wundermittel. „Das Wunder steckt in einem selbst. Du musst es in dir finden“, klingt aus ihm der Motivationstrainer heraus. Man dürfe nicht zu euphorisch, aber auch nicht zu negativ in Bezug auf seinen Körper sein.
Fernsehen verliert seinen Reiz
Allerdings fügte seine Teilnahme an der Show seiner Beziehung zum Fernsehen empfindlichen Schaden zu. „Seit ich im Fernsehen war, habe ich keinen Fernseher mehr“, gibt Graf an.
Die Sendung verfolge er trotzdem weiterhin. Das Fernsehen habe durch die Teilnahme seinen Zauber verloren, sagt er. Hinter jeder Einstellung, jedem Statement sehe er die Redakteure, die Kameraleute und ihre Überlegungen.
Graf hat eine Vollzeitstelle als Optiker und Hörgeräteakustiker in Villingen. Nebenbei arbeitet er in einem Fitnessstudio in Villingen.
Das Ziel, selbst einmal Trainer der Show zu werden, ließ er fallen. Sein eigenes Training und seine Freunde ausgewogen zu verbinden, waren ihm wichtiger. Wieder geht es um die Balance.
Das hält er vom Fernseh-Konzept
„Ich brauchte einen Arschtritt. Den habe ich dort bekommen“, fasst Graf die Essenz seiner Teilnahme bei der Show zusammen. „Ohne sie wäre ich nicht mehr am Leben.“ Was pathetisch klingt, ist ein prägender Teil seiner Biographie.
Rückblickend kann er in Anbetracht des Wissens um die ehemaligen Kandidaten die Sendung kaum als Methode zur nachhaltigen Gewichtsverlust bezeichnen. Doch sie hat ihm ein Leben geschenkt – ein zweites.