Manuela Seiferts Fruchtblase platzt in der 34. Schwangerschaftswoche. Kaiserschnitt. Zwillinge. Beide sind gesund. Müssen aber eine Woche in Brutkästen aufgepäppelt werden.
„Die wurden rausgeschnitten, mir kurz ins Gesicht gehalten und dann waren sie weg.“ So hat sie das empfunden.
Immer noch unerträglich
Wenn Manuela Seifert heute in Podcasts hört, wie wichtig es doch ist, dass die Kinder gleich nach der Geburt bei der Mama sind, dann schaltet sie aus. Zu sehr berührt sie das noch heute. Sieben Jahre später.

Mit ihren Freundinnen konnte sie damals nicht darüber reden. „Ach jetzt komm, sei doch glücklich“, haben sie gesagt. Und: „Ist doch alles gut. Die Kinder sind gesund.“ Seifert sagte nichts. Die Worte waren für sie ein Stich ins Herz. Am liebsten würde sie weinen.
Sie schweigt. Sechs Jahre lang. Dann kommt sie das erste Mal zu Christina Knöbel in die Beratung. Und hat das erste Mal das Gefühl, sich nicht mehr schämen zu müssen. Für ihre Tränen, ihre fehlende Freude, ihre Enttäuschung über sich selbst, ihren Schmerz, immer wenn sie daran denkt, dass die Kinder die erste Zeit nicht bei ihr waren.
Noch heute weint sie, wenn sie über die Geburt und die Wochen danach spricht. Sieben Jahre später.
Seifert ist 41 Jahre alt, arbeitet als Akademikerin im Schwarzwald-Baar-Kreis. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen, sie fürchtet die Stigmatisierung.
Gelitten wird heimlich
Sie hat funktioniert, abgepumpt, gestillt, getröstet, kaum geschlafen. Und sie hat gelitten. Still und heimlich.
Christina Knöbel weiß, was das mit den Frauen macht. Sie ist 35 Jahre alt, hat als Hebamme im Schwarzwald-Baar-Klinikum knapp 700 Geburten begleitet. Seit vier Jahren ist sie bei Pro Familia als Sozialpädagogin tätig.
Und seit zwei Jahren kommen immer mehr Frauen zu ihr in die Beratung zum Thema Traumatische Geburtserfahrung. Ein Tabuthema, das immer mehr in den Fokus rückt. Nicht zuletzt dank Social Media.
Aktuell betreut Knöbel vier Frauen. Manche kommen gleich nach der Geburt, andere Jahre später. Die meisten sind um die 30 Jahre alt.
Die Gründe sind vielfältig
Trauma ist dabei ein schwerer Begriff. Knöbel mag ihn nicht. Sie spricht lieber von schwierigen oder belastenden Geburtserfahrungen. Die können ausgelöst werden durch Komplikationen im Geburtsverlauf, die plötzlich einen Kaiserschnitt oder den Einsatz einer Saugglocke nötig machen. Oder wenn die Geburt total schnell geht.
Notsituationen erfordern ein schnelles Handeln. Zeit für Erklärungen bleibt da oft nicht. Rückblickend, sagt Knöbel, kann das von Frauen so empfunden werden, als hätte man gegen ihren Willen gehandelt.
Knöbel fordert in solchen Fällen dann oft den Geburtsbericht an. Das kann helfen zu verstehen, warum die Ärzte oder die Hebamme so gehandelt haben.
Ziel ihrer Beratung ist es, den Frauen Hilfestellung zu geben, damit sie das, was passiert ist, akzeptieren können. Und, dass sie den Mut finden, darüber offen und klar zu sprechen. „Es ist keine therapeutische Aufarbeitung. Aber es ist ein erster Schritt.“
Manuela Seifert ist diesen Schritt gegangen. Sechs Jahre später. Den Ärzten oder der Klinik macht sie keinen Vorwurf. Das Gefühl, das sie so lange bedrückt hat und das sie noch heute zum Weinen bringt, war vielmehr Schuld. „Man hat es nicht geschafft, man hat sich geschämt.“
Heute weiß sie: „Man ist ja auch so verbunden.“ Auch ohne direkten Hautkontakt zwischen Mutter oder Vater und Kind nach der Geburt. „Das hat mir gutgetan, mir das klar zu machen.“

Auch Seifert hat sich lange eine natürliche Geburt vorgestellt. Wie man es halt so liest. Das Problem dabei: Eine Geburt wird häufig romantisiert. „Wenn es dann nicht so ist, denkt man, bei allen anderen ist es toll gewesen, nur bei mir nicht“, sagt Knöbel. „Dabei war es bei anderen vielleicht auch nicht so toll. Man redet nur nicht darüber.“
Es müsste viel mehr zur Normalität werden. Findet Knöbel. In manchen Schweizer Kliniken beispielsweise werden Frauen in zeitlichem Abstand zur Geburt angerufen und gefragt, ob noch Redebedarf besteht und ob alles in Ordnung ist.
Was Knöbel auch noch wichtig ist zu betonen: „Der Geburtsort spielt keine Rolle, wenn es darum geht, ob ich die Geburt für mich als angenehm empfinde.“ Auch Frauen, die außerklinisch geboren haben, sitzen bei ihr in der Beratung.
Manuela Seifert hat jedenfalls gelernt zu akzeptieren. Und darüber zu sprechen. „Mittlerweile denke ich, das ist mein Weg. Und wenn ich damit noch jemand anderem helfen kann, dann umso besser. Dann soll es so sein.“

Heute schafft sie es, sich auch an die schönen Dinge zu erinnern. Als sie noch im Krankenhaus waren und eines der Mädchen plötzlich zu schnarchen anfing in ihrem Arm. Da musste sie lachen. Auch heute lacht sie noch bei dem Gedanken daran. Sieben Jahre später.