Mit Herzklopfen schließt Marisa Faißt an einem Morgen Anfang Januar 2011 die Tür zur einer Zweizimmerwohnung auf. Sie ist aufgeregt. Gleich wird die kleine Lorena gebracht und Marisa Faißts erster Arbeitstag als Tagesmutter im neuen Wohngebiet Welvert beginnt. Neben Lorena wird sie auch ihren eigenen, vier Monate alten Sohn Fynn betreuen.

2000 Euro Startkapital

Aus der Not heraus hat die staatlich anerkannte Erzieherin mit Unterstützung der Stadt eine Tagespflegestelle gegründet. Denn nach Fynns Geburt will die damals 27-Jährige zwar schnell wieder zurück in ihren Beruf, findet aber keinen Betreuungsplatz. Mit geliehenen 2000 Euro Startkapital gründet sie kurzerhand ihre eigene Tagespflegestelle namens Kikripp.

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„Mädle, ob des was wird?“

Wenige Wochen zuvor hat sie die Zimmer eingerichtet und die Wände gestrichen, neben sich in der Babyschale den schlafenden Fynn. „Mädle, ob des was wird?“ hat ihre Mutter, die gelernte Bankkauffrau, noch kurz vor der Eröffnung gesagt.

Gruppe 6 geht an den Start

Wenn Marisa Faißt-Neininger heute die Tür zu „ihrer“ Kinderbetreuung aufschließt, erwartet sie ein Arbeitstag mit 36 Angestellten und bald 80 Kindern zwischen null und sechs Jahren in der ehemaligen Saba-Villa in der Hermann-Schwer-Straße. Fynn und Lorena sind mittlerweile Schulkinder und Lorenas Mutter Patricia Röhrl, gelernte Heilerziehungspflegerin, ist die stellvertretende Leiterin der Kikripp.

Hier werden demnächst Kinderhände gewaschen: Ein Blick ins neue Bad im Anbau der Kikripp.
Hier werden demnächst Kinderhände gewaschen: Ein Blick ins neue Bad im Anbau der Kikripp. | Bild: Nathalie Göbel

Fünf Gruppen – die sechste wird in den nächsten Tagen eröffnet – gehören jetzt zur Kikripp, zwei Kindergartengruppen für Kinder ab drei Jahren und demnächst vier Krippengruppen. Schon 2018 hat sich die Kita vergrößert: Mit Gruppe 5 wurde eine zweite Kindergartengruppe für Kinder ab drei in Betrieb genommen.

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Berufsziel Mikrobiologin

Von der Tagespflege zur Großtagespflege zur Kita – und das in wenigen Jahren. „Niemals“, sagt die heute 36-Jährige, „hätte ich gedacht, dass ich einmal das hier mache.“ Mit 16 Jahren begann sie auf Anraten ihrer Eltern die Ausbildung zur Erzieherin in ihrem Heimatort Zell am Harmersbach. „Eigentlich wollte ich Mikrobiologin oder Flugbegleiterin werden“, erinnert sie sich. Auch eigene Kinder habe sie sich früher nicht vorstellen können. Heute hat sie drei: Fynn hat mit Rosalie (5) und Hermine (3) zwei Schwestern bekommen.

Von der Nachfrage überrannt

Mit ihrem Tagespflegeangebot traf Marisa Faißt-Neininger im Frühjahr 2011 ganz offensichtlich einen Nerv. „Wir wurden von der Nachfrage regelrecht überrannt.“ Schon im März 2011 betreute sie fünf Kinder – die maximale Zahl für eine Tagesmutter – sodass sie eine weitere Erzieherin und eine Anerkennungspraktikantin mit ins Boot holte. „Ende des ersten Jahres hatten wir zwölf Kids in der Betreuung.“

Zufrieden nach Hause

Eine lehrreiche, aber auch anstrengende Zeit sie es gewesen. „Ich weiß nicht, ob ich das heute noch einmal schaffen würde“, sagt Marisa Faißt-Neininger. „Wir hatten von 7 bis 18 Uhr geöffnet, ich habe selbst gekocht, oft bis spätnachts die Räume geputzt, das war schon stressig. Trotzdem: Ich bin jeden Abend so zufrieden nach Hause gegangen wie nie zuvor. Das erste Mal in meinem Berufsleben hatte ich das Gefühl, dass alles passt.“

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Noch wenige Monate zuvor hatte sie bezweifelt, dass es eine gute Idee sei, sich mit Kinderbetreuung selbstständig zu machen. „Wenn du keinen Job findest, machst du eben was eigenes auf“, hatte ihr heutiger Ehemann Marius Neininger vorgeschlagen.

Skepsis und das Bauchgefühl

Sie war zunächst skeptisch. „Wochenlang hat er an mich hingeredet. Jeden Abend war das Thema“, erinnert sie sich. Für ihren Mann, Geschäftsführer der Spedition Bächle mit abgeschlossenem Studium der Betriebswirtschaftslehre, war es hingegen keine Frage, ob der Sprung in die Selbstständigkeit funktionieren könnte. „Mein Bauchgefühl sagte mir: Mach das. Gleichzeitig war ich so unsicher, weil ich ja keine Ahnung von nichts hatte.“

Stephan Eckermann baut im neuen Speisesaal der Kikripp eine elektrische Türe ein. Im Anbau, der in wenigen Tagen in Betrieb genommen ...
Stephan Eckermann baut im neuen Speisesaal der Kikripp eine elektrische Türe ein. Im Anbau, der in wenigen Tagen in Betrieb genommen wird, entstehen ein zusätzlicher Gruppenraum, ein Schlafraum und eine große Küche. | Bild: Nathalie Göbel

Schnell zeigte sich, dass der Platz in der Welvert-Wohnung knapp werden würde. Bei einem Sonntagsspaziergang entdeckte das Paar die leer stehende Villa an der Brigach, die „Saba-Mutter“ Gretel Scherb bis zu ihrem Tod 1983 bewohnt hatte. „Das Haus hat mich regelrecht gerufen“, sagt Marisa Faißt-Neininger. „Ich wusste vorher nicht einmal, dass dort etwas steht.“ Der Villinger Architekt Joachim Müller, der das Gebäude gekauft hatte, erklärte sich schnell bereit, an die Kikripp zu vermieten.

Umzug in die Villa

Mit drei Gruppen, wenig später vier, zogen die junge Chefin und ihr Team im Mai 2012 vom Welvert in die Hermann-Schwer-Straße. Mit zunehmender Größe der Kikripp kamen jedoch auch die Probleme. Weil jede Gruppe für sich als Tagespflegestelle galt, waren sie zusammen eigentlich zu groß, um noch in den rechtlich abgesteckten Rahmen der Tagespflege zu passen.

Hoher Verwaltungsaufwand

Zugleich stellte sich die Finanzierung als zunehmend schwierig dar. Bei Urlaub oder Krankheit eines Kindes verdienen Tagesmütter kein Geld; die monatliche Abrechnung der Betreuungsstunden mit dem Jugendamt wurde zum immer größeren Verwaltungsaufwand.

„Es war goldrichtig von der Stadt, uns zu raten, Kita zu werden“, blickt Marisa Faißt-Neininger zurück. Damit wurde die Kikripp ab Februar 2017 in die städtische Bedarfsplanung aufgenommen; die Stadt trägt seitdem die Betriebskosten. Was sich einfach anhört, sei rückblickend ein bürokratischer Kraftakt gewesen. „Da sollte man manchmal nicht meinen, dass Deutschland dringend Kitas braucht“, sagt Marisa Faißt-Neininger.

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Viele Ämter reden mit

Zumal bei der Erteilung einer Betriebserlaubnis viele Ämter mitreden. „Man muss sehr viel berücksichtigen“, sagt Kristina Reisinger, Pressesprecherin beim Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS). Im Moment würden Genehmigungen vor allem durch den Fachkräftemangel häufig erschwert. „Wenn die Einrichtungen nicht genug Personal haben, können wir beispielsweise keine Genehmigung für vier, sondern nur für drei Gruppen erteilen.“

 

Kinderbetreuung in VS im Überblick

Im September hat das neue Kindergartenjahr begonnen. Wie in vielen Städten und Gemeinden fehlen auch in Villingen-Schwenningen Betreuungsplätze, auch wenn bis Jahresende 761 Kinder neu in den Einrichtungen der Stadt und der freien Träger aufgenommen werden.

  • Kitas im Überblick: In Villingen-Schwenningen gibt es 19 städtische Kindertagesstätten und 38 Einrichtungen unter der Regie freier Träger wie beispielsweise der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Stand März 2019 wurden 3797 Kinder betreut, 331 davon in der Kindertagespflege. In den städtischen Kitas gibt es 337 Vollzeitstellen, von denen aktuell 22 nicht besetzt sind.
  • Tagespflege: Von Tagesmüttern- oder Vätern werden meist Kinder unter drei Jahren betreut. Dafür ist ein Qualifizierungslehrgang nötig, der 160 Unterrichtseinheiten umfasst. Vergütet wird die Betreuung mit 6,50 Euro pro Kind und Stunde. Die Stadt bietet jährlich ein bis zwei Qualifizierungskurse an. Informationen dazu gibt es bei Martina Bruhn, Telefon: 07721/82 21 62.
  • Fehlende Plätze: 226 Kinder haben nach Worten von Stefan Assfalg, Leiter des Amtes für Jugend, Bildung, Integration und Sport, keinen Platz bekommen. Hinzu kommen im Laufe des Kindergartenjahres noch weitere. Der Statistik zufolge werden im gesamten Kindergartenjahr 510 Kinder in VS keinen Platz bekommen. Um die Situation kurzzeitig zu entschärfen, wurden an zwei Kindergärten Container angebaut: Dadurch entstehen am Kindergarten Ziegelbach in Villingen und am Kindergarten Deutenberg in Schwenningen jeweils 44 Plätze.
  • Ausbau in den kommenden Jahren: Neben den erwähnten Containerbauten werden in mehreren Kita-Einrichtungen durch die Auflösung der ehemaligen Kinderhorte neue Betreuungsplätze für Kinder ab drei Jahren geschaffen: 20 im Kindergarten Kopsbühl, 20 im Kindergarten Hammerstatt in Schwenningen, 14 im Kindergarten in der Au, ebenfalls Schwenningen. Durch Neubauten und Erweiterungen sind 2020 folgende neuen Kapazitäten (U3 und Ü3) vorgesehen: 42 zusätzliche Plätze im Kindergarten St. Elisabeth im Schwenninger Westen und 30 Plätze in der Erweiterung des Klinik-Kindergartens. Mit den Containern sind damit 2020 insgesamt 234 neue Plätze zu erwarten. 2021 sollen in der Kindertagesstätte der Polizei-Hochschule weitere 30 Plätze entstehen. „Darüber hinaus gibt es von uns eine ganze Reihe noch nicht spruchreifer Überlegungen, die 2019 und 2020 beschlossen werden sollen“, sagt Stefan Assfalg.