Die Frau ist hilflos. Sie ist mutlos. Ihr Neugeborenes trägt sie bei sich. Sie weiß nicht ein noch aus. Behalten will sie das Baby allerdings nicht. Für diese Fälle sind Babyklappen da.
In VS-Schwenningen wird jetzt am Freitag das sechste Kind in elf Jahren abgelegt. Sechs Mal tauchten verzweifelte Mütter vor der Schwenninger Einrichtung am Franziskusheim auf. Im Durchschnitt alle zwei Jahre einmal.
„Die Mutter hat sich zu keiner Kurzschlusshandlung hinreißen lassen.“Joachim Spitz, Stiftungsratvorsitzender Pro Kids
Erneut wurde ein junges Leben gerettet, berichtet der Schwenninger Unternehmer, Initiator und Vorsitzender des Pro-Kids-Stiftungsrats, Joachim Spitz, nach dem vorerst letzten Alarm am 21. April. Seine Reaktion: „Ich bin extrem froh. Die Mutter hat sich zu keiner Kurzschlusshandlung hinreißen lassen. Sie hat die richtige Entscheidung getroffen.“
Denn es könnte auch so sein: Die Mutter, für die noch nicht einmal eine anonyme Geburt direkt im Klinikum infrage gekommen ist, legt das Neugeborene irgendwo ab. Dort wird es womöglich nicht gleich gefunden und stirbt.
Schlimme Erfahrung prägt Engagement
Jemanden die Möglichkeit zu leben zu geben, sei Sinn und Zweck der Babyklappe. Ein Leben zu bewahren, das steht für Spitz an oberster Stelle. Wie unglaublich schwierig das sein kann, hat er mit seiner Frau schmerzhaft erfahren. Drei Fehlgeburten hatte sie, Spitz glaubte nicht, dass sie noch eine Familie gründen könnten. Doch dann klappte es doch noch, der Sohn entwickelte sich prächtig, ist heute U20-Eishockeyspieler.
Für Spitz war es eine einschneidende Zeit, er selbst ließ sich danach drei Sterne auf den Arm tätowieren, für drei Sternenkinder – und damit er nie vergisst, wie schmal der Grat zwischen Leben und Tod sein kann. Auch diese Erfahrung trug dazu bei, dass die Pro-Kids-Stiftung den Einbau einer Babyklappe so forcierte.
Wenn diese Babyklappe am Franziskusheim geöffnet wird, wird ein Mechanismus in Gang gesetzt. Die diensthabende Pflegefachkraft im Altenheim wird mit einem Klingelsignal alarmiert, sieht schon von ihrem Bereich aus, ob ein Kind abgelegt wird.
So auch am 21. April. Keine Zeit geht verloren: Schon während des Gangs zur Babyklappe werden Rotes Kreuz und Notärztin benachrichtigt.
Schnell wird nach der ersten Untersuchung klar: Dem Mädchen gehe es gut, es gab „keine Misshandlungen“. Aber es sei sehr, sehr klein, auf die Welt gebracht wurde es also vor nicht allzu langer Zeit.
Liebevolle Betreuung im Klinikum
Die weitere Beobachtung übernehmen Ärzte und Pflegepersonal in der Kinderklinik. Ganz elementar: der notwendige Körperkontakt. Es werde sehr oft und liebevoll getragen, berichtet Spitz. Später betreut eine Pflegefamilie das Kind, bis es, wenn sich die Mutter nicht doch noch meldet, zur Adoption freigegeben wird. Diese Möglichkeit soll den Frauen gegeben werden: In allen sechs Schwenninger Fällen wurde sie aber nicht genutzt.
Für Spitz entschwindet dann das Kind in der Anonymität. Und darüber ist er irgendwie froh. Er möchte gar nicht mehr wissen, außer dass der Beginn geglückt sei.
Unglaubliche Anfrage
Einmal sei er von einer überregional erscheinenden Boulevardzeitung angerufen worden, ob er gegen Honorar im Klinikum ein Bild eines Neugeborenen aus der Babyklappe besorgen könne. Spitz legte kopfschüttelnd auf. Das Gespräch endete abrupt.
Er stellt sich dabei nur ein Szenario vor. Das Kind, inzwischen älter geworden, findet zufällig oder weil es etwas ahnt, solch eine Aufnahme im Internet. Eine schreckliche Situation wäre dies, vor allem wenn die Adoptiveltern noch nichts gesagt hätten.
Nach einem schwierigen Start sollen Kinder aus der Babyklappe ein möglichst normales Leben führen, wünscht Spitz ihnen. Ihm sei nicht einmal bekannt, welche Pflege- und Adoptivfamilien sich um die Babys kümmern. Manchmal erfährt er es, aber eher aus Zufall. Beispielsweise als ein Lehrer seines Sohnes ihm einmal berichtete, dass eines der Neugeborenen zu ihm gekommen sei.
Chance auf eigenes Leben
Spitz geht davon aus, dass es all den sechs Kindern aus der Schwenninger Babyklappe gut gehe. „Wenn nicht, hätte ich es bestimmt erfahren.“ Diese Chance, dass sechs Menschen ein eigenes Leben führen können, sei schon Rechtfertigung genug für die Einrichtung.
Der Schwenninger Unternehmer will für die Babyklappe keine Werbung machen. Aber eines sei wichtig: dass sie bekannt sei, und eine Mutter, die für sich und ihr Kind keinen Ausweg finde, wisse, wohin sie sich im Fall des Falles wenden muss.