Für ihr Glück braucht es nicht viel: Ein paar aufmerksame, ein paar lächelnde Kunden. Und ein bisschen neue Ware. „Das ist das Wichtigste“, sagt Anja Trautwein.
Hinten im Cap-Supermarkt, wo sich die neue Ware stapelt, nimmt Trautwein ein Cuttermesser, schlitzt einen Karton auf – vollgepackt mit Zigaretten, schlitzt den nächsten Karton auf – mit ganz viel Küchenrollen, schnappt sich einen Einkaufswagen, packt die Ware hinein – und läuft los. Zum Verräumen.
Sehen wir Regalauffüller und Kassierer überhaupt?
Leicht sieht das aus, als ob es ihr einfach von der Hand geht. Auch wenn es natürlich harte Arbeit ist. Immer wieder die Regale aufzufüllen. Doch: „Das macht schon Spaß“, sagt sie.
Trautwein ist eine von sechs Mitarbeitern im Cap-Supermarkt mit Handicap. Aber auch eine Kassiererin und eine Regalauffüllerin wie es sie in jedem Supermarkt gibt.
Eine von jenen, die immer da sind – und doch fast unsichtbar. Denn: Wer schaut schon nach den kartonaufreißenden, lückenauffüllenden Menschen. Oder nach der Kassiererin, die sofort einspringt, wenn eine Schlange zu lang geworden ist?
Der Markt, in dem Menschen mit Handicap arbeiten
„Oh, so schlimm ist das nicht“, sagt Trautwein. Sie werde vielleicht nicht immer gesehen. Von Stammkunden dafür umso mehr geschätzt. „Die Leute, die in den Cap kommen, wissen ja, dass wir mit Handicap arbeiten“, meint sie – und will sagen: Vielleicht seien sie deshalb sogar aufmerksamer und rücksichtsvoller als in gewöhnlichen Supermärkten.
Seit fast zehn Jahren, seit 2013, arbeitet sie im Cap. Und hatte eigentlich mal einen ganz klassischen Bürojob. „Das ist aber lange her“, sagt Trautwein. „Ich bin psychisch erkrankt. Und habe irgendwann gemerkt, mit dem Bürojob komme ich nicht weiter und auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht klar.“
Also suchte sie nach einer anderen Chance. Und fand die 2008 bei der Lebenshilfe in Schwenningen – über ein Praktikum landete sie schließlich im Supermarkt. Und wird nicht müde zu betonen, „wie gern ich das mache.“
Wer die 36-Jährige bei der Arbeit beobachtet, glaubt ihr das sofort. „Hallo“, ruft Trautwein, als sie beim Verräumen der Waren auf Kunden trifft. Und: „Lassen Sie sich Zeit“, sagt sie, als ihr eine andere den Gang zu den Küchenrollen versperrt, die sie eigentlich einsortieren will.
Der Ärger an der Kasse
Überhaupt mag Anja Trautwein viel. Die Kunden. Die Ware. Doch vor allem ihre Kollegen. Über die sagt sie einen Satz, den wohl jeder gern hört. „Wir sind wirklich ein Team.“ Auch die Mitarbeiter mit Handicap würden sich ständig gegenseitig unterstützen.
Was Trautwein nicht mag: Ärger an der Kasse. Etwa, wenn es wegen Lieferengpässen Beschränkungen gibt – nur zwei Packungen Nudeln oder eine Flasche Öl pro Kunde mitzunehmen. Und manche Kunden natürlich wieder provozieren müssen.
„Es gab schon Leute, die meinten, dann stelle ich mich halt nochmal an“, sagt Trautwein. „Da brauchst du echt Fingerspitzengefühl.“
Die 32-Jährige stoppt mit ihrem Einkaufswagen, vollbepackt mit neuen Kartons, beim Öl, füllt es auf, sagt gerade noch, dass frische Ware drei Mal die Woche, das Trockensortiment einmal die Woche geliefert wird, da schrillt es durch den Laden: „Zweite Kasse bitte.“ Und ein Lächeln huscht über Trautweins Lippen. Sie wird gebraucht – und an der Kasse sitzt sie sowieso ganz gern.
„Der Kontakt zu Leuten ist schön.“
Die Unsichtbaren: Unsere Serie
Kassierer, Putzkräfte, Müllwerker, Techniker, Lastwagenfahrer: Viele Menschen, die unsere Infrastruktur am Laufen halten oder dafür sorgen, dass unser Leben schöner, einfacher wird, werden im Alltag kaum beachtet. Mit dieser Serie wollen wir ihre Arbeit sichtbar machen. Sie haben einen dieser Jobs? Oder kennen jemanden, dessen Arbeit wertvoll, aber viel zu unsichtbar ist? Dann schreiben Sie mir an daniela.biehl@suedkurier.de
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