Manchmal scheint Danna ihre Gedanken zu lesen. Wenn es Laura Schillfahrt nicht gut geht, wenn ihre Gedanken wie in einem Karussell kreisen, dann sucht Danna ihre Nähe. Legt sich neben sie. Stupst sie an.

Und wenn sich Schillfahrt von Menschenansammlungen erdrückt fühlt, zieht ihre Hündin sie sanft zur Seite, führt sie aus der Menge heraus. „Sie hat ein feines Gespür dafür“, sagt die 29-Jährige und vergräbt ihre Finger tief in Dannas Fell. Schillfahrt ist auf den ersten Blick keine unscheinbare Erscheinung. Robust. Unverwüstlich. So denkt man. Doch: Der Eindruck täuscht.

Depressionen und Stimmungsschwankungen

Die 29-Jährige leidet unter starken Depressionen und hat eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung. Sie kämpft also mit Stimmungsschwankungen, ist impulsiv.

Zu viele Menschen auf einem Haufen erträgt sie nicht. Ganz alltägliche Dinge sind für Schillfahrt mit Stress verbunden. Und in besonders depressiven Phasen zieht sich die 29-Jährige in sich zurück. „Früher“, sagt Schillfahrt. „Bin ich dann auch nicht rausgegangen. Habe Freundschaften schleifen lassen.“

Die unterschätzten Superhelden

Früher, das war vor Danna. Vor einem Jahr. Seitdem ist die Assistenzhündin – in Ausbildung – nämlich an ihrer Seite. Und seitdem hilft sie ihr durch den Alltag.

Danna hilft Laura Schillfahrt, den Alltag zu bewältigen.
Danna hilft Laura Schillfahrt, den Alltag zu bewältigen. | Bild: Daniela Biehl

Denn: Assistenzhunde sind so etwas wie die unterschätzten Superhelden in unserem Leben. Sie warnen Diabetiker vor Unterzuckerung, Epileptiker vor Krampfanfällen, führen blinde Menschen durch die Straßen. Und sie helfen anderen – wie Laura Schillfahrt – wieder Vertrauen zu fassen. Geben ihnen Sicherheit und Ruhe.

Ja, ausgerechnet diese kleine tapsige Hündin hat sich in Schillfahrts Leben geschlichen. Nach einer Behandlung in einer psychiatrischen Klinik – wo der Schwenningerin nahegelegt wurde, sich eine Freizeitbeschäftigung, einen Halt, eine Aufgabe zu suchen – informiert sich die 29-Jährige über Assistenzhunde. Und denkt: „So kann ich Verantwortung übernehmen.“ So ist aber auch jemand an ihrer Seite.

Fokussiert bleiben, sich nicht ablenken lassen

In einem Tierheim in Spanien wird sie fündig. Und entdeckt eine Hündin, die ist wie sie. Etwas ängstlich, etwas mutig. Danna. Dreieinhalb Jahre, eine Ratonero-Bodeguero-Andaluz-Hündin.

„Danna“, flüstert Laura Schillfahrt. „Sitz.“ Sie stehen auf einer Wiese unweit der Schwenninger Innenstadt– und trainieren. Ein paar Übungen jeden Tag, damit Danna am Ende ihrer Ausbildung offiziell als Assistenzhund durchgeht.

Laura Schillfahrt mit ihrer Assistenzhündin Danna.
Laura Schillfahrt mit ihrer Assistenzhündin Danna. | Bild: Daniela Biehl

Bei dieser Übung muss sie liegen bleiben. Fokussiert bleiben. Sich nicht ablenken lassen. Schließlich soll sie auf Schillfahrt Acht geben.

Die Hündin lässt sich auch nicht ablenken. Egal, wie weit sich Schillfahrt von ihr entfernt, während sie dem „Sitz“ Folge leistet – ihre Augen und Ohren folgen der 29-Jährigen bei jedem Tritt.

Nicht alle Hunde eignen sich als Assistenz

Dass sich einige Hunderassen so gut als Assistenz eigenen, hat mit ihrem feinen Gespür zu tun, sagt Kathrin Riedy, die in Brigachtal Assistenzhunde ausbildet und Schillfahrt und Danna seit einem Jahr begleitet. Alle zwei Wochen trainiert sie die beiden in der assistierten Selbstausbildung.

Kathrin Riedy im Dezember 2019 mit den beiden Assistenzhunden Apolle (links) und Barneby, zwei Labradore.
Kathrin Riedy im Dezember 2019 mit den beiden Assistenzhunden Apolle (links) und Barneby, zwei Labradore. | Bild: Niederberger, Holger (Archiv)

Und Riedy sagt: „Es gibt Hunde, die registrieren minimale Körperveränderungen und können dann unterstützend reagieren.“

Assistenzhunde: Was es zu beachten gibt

Schillfahrt hat Danna inzwischen ein Assistenzhunde-Geschirr umgeschnallt. Der Hündin signalisiert es: Jetzt wird gearbeitet. Jetzt muss sie aufmerksam bleiben – gerade jetzt, wo sich die 29-Jährige im Straßenverkehr bewegt.

Wenn sie abdriftet, kann es gefährlich werden

Denn für Schillfahrt kann das gefährlich werden. Wenn sie dissoziiert, also in Gedanken abdriftet, hat sie keine Kontrolle mehr über ihren Körper. Ein Schutzmechanismus eigentlich, der mit traumatischen Erlebnissen und psychischen Krankheiten einhergeht. Aber ein gefährlicher.

„Ich konnte nicht mehr vor, nicht mehr zurück“

Einmal habe Schillfahrt spät abends die Sirenen eines Krankenwagens gehört, ihn vorbeifahren sehen – und sei mitten auf der Straße eingefroren. „Ich konnte nicht mehr vor, nicht mehr zurück“, sagt sie.

Und das hat seinen Grund: Vor drei Jahren starb ihre Mutter. Wurde mit dem Krankenwagen in die Klinik gefahren. Und seither überkommen Schillfahrt manchmal mulmige Gefühle, wenn sie einen Krankenwagen hört.

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Damals sei nichts passiert, sagt sie. Die Straße war leer. „Und irgendwann bin ich wieder zu mir gekommen.“ Driftet sie heute ab, soll Danna sie möglichst schnell wieder zurückholen. „Sie kann mich anspringen oder anstupsen.“ Eigentlich egal. Hauptsache Danna reißt sie aus ihrem Gedankenkarussell.

„Das Gefühl, liebenswert zu sein“

„Seit Danna da ist, bin ich ruhiger und verantwortungsvoller geworden“, sagt Schillfahrt. Bei depressiven Schüben verkrieche sie sich nicht mehr unter der Bettdecke. Irgendwer müsse ja mit der Hündin raus. „Und sie gibt mir das Gefühl, liebenswert zu sein“, sagt die 29-Jährige.

Driftet Laura Schillfahrt in Gedanken ab, soll Danna sie anstupsen oder – wie hier – anspringen.
Driftet Laura Schillfahrt in Gedanken ab, soll Danna sie anstupsen oder – wie hier – anspringen. | Bild: Daniela Biehl

Nur eins trübt den Alltag: Danna darf längst nicht überall hin, wo Schillfahrt sie bräuchte. In Supermärkten und Arztpraxen, wo Hunde generell nicht erlaubt sind, muss sie oft draußen bleiben. Obwohl Schillfahrt auch dort abdriften, obwohl sie sich auch dort von Menschenmengen erdrückt fühlen könnte.

Nachdem die 29-Jährige extra angefragt hat, darf sie Danna zumindest in einen Supermarkt in Schwenningen mitnehmen. „Wenn ich woanders unterwegs bin und schnell etwas einkaufen will, geht das schon wieder nicht.“ Weil das Personal oft nicht damit umzugehen wisse.

Laura Schillfahrt mit ihrer Assistenzhündin Danna.
Laura Schillfahrt mit ihrer Assistenzhündin Danna. | Bild: Daniela Biehl

Schillfahrt wünscht sich deshalb, dass Assistenzhunde in der Gesellschaft mehr wahrgenommen „und dass psychische Erkrankungen nicht klein geredet werden“. Nur weil sie von außen nicht sichtbar sind.