Neues Jahr, neue Gebührendiskussion: Eltern in Villingen-Schwenningen sollen künftig deutlich mehr für die Betreuung ihrer Kinder bezahlen. Die Haushaltsstrukturkommission schlägt eine Anhebung der Gebühren über die kommenden fünf Jahre vor.
345 statt 185 Euro
Noch ist das Papier nicht öffentlich zugänglich. Nach Informationen des SÜDKURIER soll jedoch bei den Verlängerten Öffnungszeiten (VÖ), eine besonders häufig genutzte Form der Betreuung, besonders kräftig an der Gebührenschraube gedreht werden: Für Kinder unter drei Jahren sollen die Gebühren schrittweise von derzeit 185 Euro auf 345 Euro im Monat steigen, was einer Erhöhung um satte 86 Prozent entspricht.
Bei einem Kind zwischen drei und sechs Jahren soll die Erhöhung 49 Prozent betragen, die Gebühr von derzeit 98 Euro monatlich auf 146 Euro steigen.
Knappe Kassen
Klar ist: Die Stadt muss ihren Haushalt konsolidieren, das hatte sich bereits seit Längerem abgezeichnet. Auch, dass die Corona-Krise den finanziellen Druck auf Städte und Gemeinde weiter erhöht hat, zeichnete sich schon bald nach Beginn der Pandemie ab.
Klar ist ebenso, dass das Thema die Familien auf die Barrikaden bringt – vor allem in Zeiten, in denen viele nach wie vor durch Kurzarbeit mit teils deutlichen Gehaltseinbußen zu kämpfen haben. Wir haben uns umgehört, was Betroffene und der Gesamtelternbeirat zu dem Thema meinen.
- Srdjan Zivkovic: „Mir war klar, dass das Thema nicht vom Tisch ist, wenngleich es durch Corona erst einmal auf Eis gelegt wurde“, sagt Srdjan Zivkovic, Vorsitzender des Gesamtelternbeirats der Kitas in VS. Er bezieht klar Position: „Ich verstehe ja, dass die Kassen durch Corona noch leerer sind als vorher, aber ich verstehe nicht, warum das nur die Eltern bezahlen sollen.“ Deutlich höhere Gebühren würden einen Rattenschwanz nach sich ziehen: „Da geht es nicht nur um die frühkindliche Bildung, sondern auch um Arbeitsplätze und um Rentenbeiträge.“

- Er bringt eine andere Erhöhung ins Spiel: „Warum passt man nicht die Grundsteuer an? Wenn es der Stadt schlecht geht, sollten alle dafür gerade stehen. Eine Grundsteuererhöhung beträfe alle und würde somit auch von allen mitgetragen.“ Der GEB will sich auch diesmal wehren. Demonstrationen wie im vergangenen Jahr, als die Gebühren-Diskussion erstmals aufkam, seien zwar theoretisch möglich, angesichts der Coronakrise jedoch zu riskant. Der GEB hat deshalb auf der Seite petitionen.com eine Online-Petition gestartet, damit möglichst viele Eltern gegen die Pläne protestieren können. „Wir geben uns nicht geschlagen“, sagt Srdjan Zivkovic.
- Kerstin Ebner: Die 37-Jährige Mutter einer vierjährigen Tochter ist als Beisitzerin im GEB engagiert. Die Gebührendiskussion betrifft sie nicht nur persönlich: „Mich macht das aus sozialer und bildungspolitischer Sicht und nicht zuletzt als Frau wütend. Ich finde da keine positiven Worte“, sagt sie. „Aus Frauenperspektive fühle mich dabei extrem angegriffen. Wenn man sich künftig überlegen muss, ob man es sich leisten kann, das Kind in Kita zu bringen: Das ist doch ein absoluter Rückschritt.“ Meist verdiene der Mann – selbst in gleicher beruflicher Position – mehr als die Frau, so dass rein rechnerisch schon klar sei, wer zu Hause bleibe oder die Stunden reduziere und damit Rentenansprüche verliere. „Die Frau ist die Gelackmeierte.“ Dass Bildung überhaupt noch etwas koste, ist für die Sozialpädagogin „ein Armutszeugnis“.
- Ein Kindergarten sei keine Betreuungsanstalt, sondern vielmehr eine Bildungseinrichtung, in der Fachkräfte tätig seien, die entweder eine vierjährige Ausbildung oder ein Studium absolviert hätten. Nicht ohne Grund gebe es den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab einem Jahr, gerade, weil die Politik erkannt habe, welchen Stellenwert frühkindliche Bildung habe. „Warum orientieren wir uns in VS nicht an Kommunen und Bundesländern, in denen die Gebühren frei sind? So fördern wir eine zwei-Klassen-Gesellschaft“, sagt Kerstin Ebner. Bildung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, so wie andere Bereiche des Lebens auch. So lange man in VS nicht einmal die Betreuungsform bekomme, die man eigentlich benötige, sei eine so drastische Gebührenerhöhung ein Unding. Sie selbst arbeitet derzeit 50 Prozent. „Ich würde gerne aufstocken, aber das geht nicht, weil wir keinen entsprechenden Platz bekommen haben.“
- Franziska Haschke: „Da wir demnächst wieder zwei Kita-Kinder haben werden, frage ich mich schon, wie das normal arbeitende Eltern finanziell schaffen sollen, wenn die Gebühren tatsächlich massiv steigen“, sagt die Villingerin. Ihr ältester Sohn (8) geht in die Grundschule, der mittlere (5) in den Kindergarten. „Als noch beide Jungs in der Kita waren, haben wir pro Monat 550 Euro bezahlt. Das muss man erstmal verdienen.“ Die jüngste, die einjährige Laura, soll mit zwei Jahren in die Kita gehen. „Das haben wir uns vorher schon genau durchgerechnet. Wenn da großartige Gebührenerhöhungen kommen, gerät unser Konstrukt ins Wanken“, sagt die Krankenschwester. Ihre Familie ist auf Ganztagsplätze angewiesen: Die Großeltern leben weit weg und können nicht einspringen, wenn es eng wird. „Und als Krankenschwester kann ich nicht über Mittag mal eben nach Hause gehen.“ Franziska Haschke ist in den neuen Bundesländern aufgewachsen. Aus ihrer eigenen Kindheit kennt sie derartige Nöte nicht. „Wir sind auch schon mit einem Jahr in die Kita gegangen und unsere Eltern haben gearbeitet. Ganztagsbetreuung war völlig selbstverständlich.“ Die Ernüchterung kam mit dem Umzug nach Baden-Württemberg. Als ihr heute fünfjähriger Sohn mit zwei in die Kita kam, gab es noch kein Ganztagsangebot in der Einrichtung. „Mein Mann und ich haben ein Jahr lang Gegenschichten gearbeitet, um den Alltag zu managen. Das bedeutete Familienleben gleich Null.“