Herr Schwarz, Sie wechseln aus Magdeburg nach Villingen-Schwenningen in den Schwarzwald. Wie bereiten Sie sich inhaltlich auf Ihre neue Aufgabe als Leiter des Kulturamts vor?

Zurzeit befasse ich mich mit drei Themenbereichen: Erstens studiere ich, was kann und soll das Kulturamt heute mit Rücksicht auf die Entwicklung seit Entstehen in den 1950er Jahren leisten, sowohl vor allem in Villingen-Schwenningen, als auch in der Region und im Land Baden-Württemberg. Zweitens schaue ich mir an, was in VS insbesondere in den letzten Jahren stattgefunden hat, was ist also der Status quo und was wird erwartet, gewünscht, gehofft. Dazu studiere ich die Programme und nicht zuletzt die Haushaltsplane der Stadt. Drittens sammle ich die Ideen und Überlegungen, die durch den Filter meiner Wahrnehmung in Zukunft in VS verwirklicht werden könnten und was dabei zum Beispiel die Inthega (Interessengemeinschaft der Städte mit Gastspieltheater) und die freie Kulturlandschaft in dieser Region in diesen Krisenzeiten anbieten.

Ist es schwierig oder einfach, in ein Jahr wie 2022 in Villingen-Schwenningen mit einem fixierten Jubiläumsjahr-Programm zu starten?

Ich freue mich sehr auf dieses Jubiläumsjahr, das mir Gelegenheit geben wird, die Menschen und das Leben in VS auf vielseitige Weise kennenzulernen. Mich in die Planungen der Stadtverwaltung unter Mitwirkung der Vereine, Institutionen, Kirchen und anderen Veranstaltern einzuarbeiten, die ja bereits ab Januar in die Dürchfuhrung gehen, wird spannend.

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Ab wann wird Ihr Programm in VS überhaupt erlebbar sein?

Andreas Dobmeier plant noch die Spielzeit 2022 bis 2023. Ich plane für die Zeit ab 2023-24. Mein Vertrag beginnt im Januar 2022. Ab April 2022 bin ich als Kulturamtsleiter dann allein am Start.

Die Neckarhalle in Schwenningen: Wie soll diese Bühne bespielt werden?
Die Neckarhalle in Schwenningen: Wie soll diese Bühne bespielt werden? | Bild: Hahne, Jochen

Wie lautet Ihre Analyse des vorhandenen VS-Kulturbetriebs?

Für eine Analyse ist es zu früh, da ich noch nicht im Amt bin. In meinen Vorbereitungen auf das Bewerbungsverfahren bemerkte ich, was sich dann auch in dem dreistufigen Auswahlverfahren vor dem Oberbürgermeister, dem Verwaltungs- und Kulturausschuss und dem Gemeinderat zeigte, nämlich, dass der Wille zur Kultur und Vielfalt im kulturellen Angebot vielfältige Chancen ermöglicht. Das Theater am Ring, die zwei Stadthallen, das Franziskaner-Konzerthaus, die Museen, die Stadtfeste, die Vereine – allein 36 Musikvereine. Dann die Schwenninger Kulturnacht, die Fasnet, das Orchester, der urbane Raum insgesamt bieten eine ganze Menge an Möglichkeiten. Das ist schon großartig!

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Wie bewerten Sie die Möglichkeiten angesichts des Budgets und der Herausforderungen?

Es sind Limits gesetzt, die durch die Wirtschaft 4.0, Migration, demografischen Wandel und nicht zuletzt durch die Pandemie beeinflusst werden. Aber da müssen wir alle durch. In diesen Limits müssen wir durch kluge und gemeinschaftliche Planung, Freiheit und Vielfalt der kulturellen Ausdrucksformen entwickeln.

Was wollen Sie ändern?

Ändern? Ja, wie Brecht es sagte, „den Spaß an der Veränderung der Wirklichkeit organisieren“. Das wird sich in allen Projekten wünschen lassen, die Welt verändert zu sehen. Ich bringe ein paar Ideen mit, wie zum Beispiel Begegnungen zwischen den Generationen zu organisieren, wo sich Kinder und Jugendliche und Senioren in Theater-, Musik- oder Malworkshops begegnen könnten, um sich über das Leben auszutauschen.

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Die Jungen erzählen den Älteren von ihrer Perspektive und die Älteren den Jüngeren und tauschen dann ihre jeweilige Perspektive, das heißt der Jüngere erzählt dem Älteren aus der Perspektive des Älteren die Welt und umgekehrt. Oder Konzertprojekte des Orchesters, in denen interkulturelle, also auch musikalische Begegnungen stattfinden konnten, wie zum Beispiel Instrumente im Konzertprogramm aus anderen in VS lebenden Kulturen zu integrieren. Ich freue mich da auf die Gespräche mit den möglichen Beteiligten.

Woran wollen Sie sich später einmal messen lassen?

Das habe ich die Gremien auch gefragt, woran man die Arbeit eines Kulturamtsleiters misst. Kultur ist für mich soziales Leben. Wenn ich, und ich nicht allein, sondern im Team, mit der Stadt und der Bevölkerung, ein kulturell vielfaltiges und kontrastreiches Angebot organisiere, moderiere und vermittle, das auch angenommen wird und dabei Lebensfreude in VS aufkommt oder erhalten bleibt, dann werde ich sehr viel erreicht haben.

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Was muss eine gute kommunale Kulturarbeit im Jahr 2022 in Villingen-Schwenningen leisten?

Ihre Frage weist bereits auf den Zusammenhang von Kommune, also Gemeinde, und Kulturarbeit hin. Die Eigenschaft des Guten ist ein weites Feld, will aber sicher immer möglichst viele Menschen erreichen. Die Bevölkerung muss sich angesprochen fühlen. Die Kulturarbeit ist ein Gemeinschaftsprojekt aller und für alle Menschen in VS.

Baustelle Theater am Ring im Jahr 2019: Wird auch das Programm neu ausgerichtet?
Baustelle Theater am Ring im Jahr 2019: Wird auch das Programm neu ausgerichtet? | Bild: Fröhlich, Jens

Was kann Kulturarbeit aus Ihrer Sicht nicht leisten angesichts der auch finanziellen Rahmenbedingungen?

So gerne ich mit dem Dirigenten Zubin Mehta am Maggio Musicale in Florenz gearbeitet habe, oder mit dem wunderbaren Regisseur Calixto Bieito in Nurnberg und Toulouse, es müssen nicht die Stars der Musik- und Theaterwelt kommen. Aber vielleicht finden wir ja ein paar Stars von morgen. Wir können mit der Kulturarbeit die Ungerechtigkeiten der Welt nicht auflösen, aber wir können Freude am Erleben der vielfaltigen Gemeinschaft schaffen.

Wie bewerten Sie die Herausforderung der Buhnen in den zwei großen Stadtbezirken V und S?

Die Buhnen sind Resonanzraume für Sinnsuche, Verstehenwollen und Unterhaltung, sind Dialograume für alle Villinger und Schwenninger und legitimieren sich dadurch, dass man sich darin kulturell austauscht. Jeder zahlt und jeder ist wichtig.

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Es sollte dabei nicht darauf ankommen, wer aus welchem Bezirk kommt. Wir müssen auf der einen Seite unser klassisches, konservativ geprägtes Publikum bewahren und ihm eine Heimat bieten, gleichzeitig aber auch junge und neue Zielgruppen erreichen. Wir leben zusammen in unterschiedlichsten Lebensrealitäten und brauchen Perspektivwechsel und eine stetige Weiterentwicklung des Denkens und Handelns der Kultureinrichtungen.

Wollen Sie das besonders entwickeln, etwa dergestalt, Kulturangebote für eher Jüngere am Hochschulstandort Schwenningen und klassisches Programm in Villingen? Wie gehen Sie hier vor.

Es ist mein Ziel, alle Bürger zu erreichen mit einem Programm, das vielfaltig, kontrastreich, intergenerationell und interkulturell orientiert sein wird. In den nächsten Monaten werde ich mich mit den Menschen hier und ihren Erwartungen vertrauter machen, das Gespräch suchen und daraus weitere Schritte entwickeln. Natürlich gehören da auch zielgruppenorientierte Angebote dazu. Außerdem interessiert mich die sogenannte Nicht-Besucher-Forschung, die versucht zu verstehen, warum circa 90 Prozent der Bevölkerung in Deutschland nie ins Theater, Konzert oder Ausstellung gehen. Da für mich jeder zählt, liegt darin ein spannendes Aufgabenfeld.

Sind Sie ein Kulturmacher, der gerne Trends folgt und diese auch präsentiert oder haben Sie eine eigene, programmatische Haltung zu einem städtischen Jahres-Kulturkalender?

Welcher Kulturmacher würde wohl zugeben, dass er Trends folgen würde? Man will doch immer Trendsetter sein. Wenn es Trends geben sollte, die zu VS passen, will ich diese gerne aufgreifen und anbieten und schauen, ob sie den Bürgern gefallen. Ansonsten gilt Vielfalt, Kontrast, kulturelle Bildung und das bereits erwähnte.

Wie gehen Sie mit den kulturtreibenden Vereinen in Villingen-Schwenningen um? Bleiben diese auf sich selbst gestellt oder wollen Sie hier integrieren, zusammenwirken und wenn ja, wie genau?

Das Kulturamt soll verwalten, gestalten und moderieren. Ich verstehe das Kulturamt dabei als Mittler zwischen städtischen Ämtern, Kulturinstituten, Initiativen und Vereinen, sowie den Bürgern. Es verantwortet die Forderung von künstlerischen und kulturellen Projekten und kann ebenso Institutionen in freier Trägerschaft unterstutzen. Es richtet das kulturelle Angebot an alle.

Um für alle passende Angebote zu machen, suche ich den Austausch und die Zusammenarbeit mit allen Interessierten, Interessengruppen, Vereinen und Institutionen. Das reiche Vereinsleben in VS ist konstitutiv für das Kulturleben und ich zahle es deshalb zu den Kräften, die zusammenwirken mit den anderen Bereichen. Wie genau das Kulturamt hierbei zukünftig aktiv wird, muss ich in den nächsten Monaten herausfinden.

Ein großes Thema von Teilhabe bei Kulturangeboten ist der Eintrittspreis. Für viele ist der Besuch von Theater oder Konzerten finanziell kaum mehr leistbar. Wie stehen Sie dazu, was muss aus Ihrer Sicht geschehen und was bedeutet diese Entwicklung für einen Bühnenangebot in VS? Fuhrt das alles nicht dazu, dass noch weniger hochwertiges Programm aufgeführt werden kann, ganz einfach, weil das nicht mehr bezahlbar für Veranstalter und Kundschaft ist?

Die Höhe der Eintrittspreise, die die nicht ausschließbare soziale Teilhabe ermöglichen soll, wird auf Basis der Zielgruppenanalyse, Marktanalyse und der Berechnung der Kosten in der Stadtverwaltung vorgenommen. Die Herausforderung für das öffentlich geforderte Kulturangebot ist dabei nicht, möglichst viel einzunehmen, sondern im richtigen Maß und an den richtigen Stellen. Die Devise konnte lauten: Einnahmen erhöhen, ohne Besucher auszuschließen. Diese Berechnungen und Entscheidungen sind prozesshaft, entwickeln sich stetig weiter und bedürfen immer wieder der Anpassung. Als Kulturamtsleiter ist es mein Ziel, für alle in VS die Partizipation zu ermöglichen, also auch neue Zielgruppen zu erschließen und dabei eine Teilhabegerechtigkeit und Chancengleichheit zu sichern.

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Was wird Ihre Kulturarbeit in VS beinhalten und was wird gezielt außen vor bleiben: Zahlen Sie beispielsweise die Pflege von Traditionskultur zu Ihrem Wirkungsbereich, Fastnacht, Blasmusik, Trachten, und wollen Sie solche Bereiche in Ihr Wirken integrieren?

Geben Sie mir noch ein bisschen Zeit, meine Ideen zu entwickeln und mit den möglichen Beteiligten zu diskutieren. Die Liste ist lang. Ganz sicher gehört die Brauchtumskultur als wichtiger Kulturbereich dazu. Ich freue mich sehr darauf. Es wird weiterhin eine Kulturarbeit füreinander und miteinander sein.

Kann es einem städtischen Kulturamt gelingen, für junge Menschen ein Angebot zu schaffen, das ehrlich begeistert oder sagen Sie, kommunale Kulturarbeit hat eine Zielgruppe beispielsweise ab 40 plus? In VS gab es zuletzt mehrere schlecht nachgefragte Angebote für junges Publikum in der Neckarhalle, um ein Beispiel zu nennen?

Musik, Theater, Kunst können alle begeistern, von Jung bis Alt. Natürlich ist dies immer auch ein Abenteuer und kann auch mal scheitern. Aber im Scheitern liegt auch eine Chance fürs Besserwerden.

Viele interessieren sich auch dafür, wie der neue Amtsleiter Kultur selbst so tickt: Was hören Sie denn für Musik, welche Buhnenangebote begeistern Sie und wie sehr beeinflusst Sie auch der Umstand, dass Sie mit einer Frau aus Japan verheiratet sind?

Ich liebe Musik, Theater und Film und höre, sehe und lese vieles sehr unterschiedliches. Mich begeistern immer wieder Johann Sebastian Bach, Mozart, Brahms, Schostakowitsch, aber auch Filmmusiker wie Hans Zimmer, oder Eric Clapton, Sting, Khaled, Gronemeyer, die Opernsängerinnen Rene Fleming oder Elsa Dreisig. Mich inspirieren die Filme wie Interstellar von Christoper Nolan, die Serie Weissensee von Friedemann Fromm, Miyazakis Kinderfilme, Maria Schraders Unorthodox oder Peter Morgans The Crown, die Bucher Wer bin ich und wenn ja wie viele? von Richard David Precht, Erich Fromms Haben oder Sein, Beau Lottos Anders Sehen, oder Stefans Zweigs Erinnerungen eines Europäers, die Stücke von Shakespeare und Moliere bis Bertold Brecht oder Yasmin Reza, die Bilder von Rene Magritte oder meines Freundes Georg Voss oder von Ai Weiwei, der Humor von Matthias Rilling, Claus von Wagner, Volker Pispers, Ephraim Kishon als unverzichtbare Chronisten, ... das Leben mit meiner Frau ist eine permanente Horizonterweiterung.

Zuletzt, was erhoffen Sie sich von Ihrem Publikum, brauchen Sie Zeit zum Ankommen oder haben Sie eine offene Tür für Vorschlage und Input?

Ich erhoffe mir Neugier. Ja, lassen Sie mir etwas Zeit zum Ankommen in VS, im Schwarzwald, dieser besonderen und schonen Region. Das schließt keineswegs aus, dass ich immer eine offene Tür für Vorschläge und Ideen habe. Ich freue mich auf das Jahr 2022 und alle folgenden.

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