Die Narrozunft Villingen wächst und wächst. Und das seit Jahren. Die historische Fastnacht erlebt einen Zulauf sonders Gleichen. Den Verein aber stellt der Boom vor erhebliche Herausforderungen.

Die große Frage ist: Sind die Grenzen des Wachstums erreicht? Mithilfe einer Umfrage unter den Mitgliedern will sich der Vereinsvorstand jetzt schlau machen, wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen soll.

Dem aktuellen „Zunftblättle“ ist ein Umfragebogen beigelegt. Darin sind Fragen formuliert, die unter Hästrägern und Vorstandsmitgliedern schon seit Jahren kritisch diskutiert werden.

Die Umzüge werden immer länger

„Allein in den letzten fünf Jahren haben sich 800 neue Mitglieder in unserem Verein angemeldet“, schreibt der geschäftsführende Vorstandschaft. Inzwischen ist der Verein auf über 5300 Mitglieder angewachsen. Dieser Ansturm ist Fluch und Segen zugleich. Vor allem wachsen die organisatorischen, aber auch ideellen Problemstellungen.

Anselm Säger, der Erste Zunftmeister der Historischen Narrozunft Villingen, sitzt am Villinger Narrobrunnen. Er hat jetzt mit seinem ...
Anselm Säger, der Erste Zunftmeister der Historischen Narrozunft Villingen, sitzt am Villinger Narrobrunnen. Er hat jetzt mit seinem Zunftrat eine Mitglieder-Befragung auf den Weg gebracht. Es geht um den künftigen Kurs der Brauchtumspflege. | Bild: Stadler, Eberhard

Für jedermann sichtbar: Die närrischen Umzüge werden immer länger. Auf der Straße Narros und Altvillingerinnen, so weit das Auge reicht. „Zum ersten Mal sind uns am Fastnachtsmontag in diesem Jahr die Umzugsabzeichen, die wir an unsere Umzugsteilnehmer ausgeben, ausgegangen“, berichtet Anselm Säger, der Zunftmeister, mit Kopfschütteln. Die Zunft hatte 4000 Abzeichen eingekauft. Es hat nicht für alle gereicht.

Der Umzug wird vorverlegt

Der lange Lindwurm der Historischen brachte den Umzugsfahrplan der anderen Narrenvereinigung durcheinander. Die Narrozunft hat daraus die Konsequenzen gezogen: Der Umzug am Fastnachtmontag, der traditionell um 9 Uhr beginnt, wird 2025 auf 8.45 Uhr vorverlegt.

Sorge um Tradition und Brauchtum

Durch die Beitrittsschwemme fürchten Ratsmitglieder aber auch den schleichenden Verlust dessen, was ihnen am Herzen liegt: Der Erhalt und die Weitergabe des alten Brauchtums. Die nachlassende „Qualität der Hästräger“ etwa, sie wird seit Jahren von den Brauchtumshütern kritisiert. Es häuft sich bei den Umzügen der Anblick schlecht angezogener Narros, Murbele und Altvillingerinnen.

Stolze, gut angezogene Narros, verkörpern das Brauchtum der Historischen Narrozunft. Daran möchte der Verein festhalten.
Stolze, gut angezogene Narros, verkörpern das Brauchtum der Historischen Narrozunft. Daran möchte der Verein festhalten. | Bild: Hans-Juergen Goetz

Auch die gewünschte Anonymität des Narros wird zunehmend durchbrochen. Manche Hästräger laufen durch die Stadt ohne Maske vor dem Gesicht. Anderen scheint das Feiern in den Narrostüble wichtiger, als sich auf der Straße in der Kunst des Strählens zu beweisen. Insider sprechen von Party-Narros.

Party-Narros und die Eventisierung der Fasnet

Kein Wunder, dass sich die Brauchtumsfreunde fragen, ob das die Zukunft sein soll. Auf diese Weise gehe die tradierte Fasnet „leider Stück für Stück verloren und rutscht in Richtung Event“, klagt der Brauchtumssprecher der Narrozunft, Michael Bohrer, im Zunftblättle. Sein Appell: „Brauchtum braucht Pflege – pflegt mit uns unser Fasnetbrauchtum.“

Brauchtumssprecher Michael Bohrer, hier ein Archivbild von der Hauptversammlung 2024, appelliert im Zunftblättle an die Mitglieder, das ...
Brauchtumssprecher Michael Bohrer, hier ein Archivbild von der Hauptversammlung 2024, appelliert im Zunftblättle an die Mitglieder, das Brauchtum weiter zu pflegen. | Bild: Sprich, Roland

Was aber kann die Zunft tun? Mehr Auflagen und Kontrollen bei den Umzügen, mehr Aufklärung und Information, mehr Reglementierungen? Muss der Zulauf ins Häs gar gesteuert und gebremst werden?

Kann Rottweil ein Vorbild sein?

Im 33-köpfigen Rat der Narrozunft wurden diese Fragen schon rauf und runter diskutiert. Kann die nicht minder ehrwürdige Narrenzunft aus der Nachbarstadt Rottweil ein Vorbild sein? Diese hat schon vor Jahren die Zahl der Hästräger gedeckelt, zuletzt sogar die Zahl der Umzugsteilnehmer reduziert. Und ins Häs dürfen ohnehin nur Teilnehmer, die seit mindestens fünf Jahren in Rottweil wohnhaft sind.

Von solchen Auflagen ist die heimische Narrozunft bislang weit entfernt. In Villingen dürfen auch Auswärtige und Nicht-Mitglieder an den Umzügen mitlaufen, wenn sie ein Häs haben. Ist es mit dieser Freizügigkeit bald vorbei? Diese Fragen werden heiß – und kontrovers – debattiert.

Blick auf die erste Seite des Fragebogens, den die Narrozunft an ihre Mitglieder richtet.
Blick auf die erste Seite des Fragebogens, den die Narrozunft an ihre Mitglieder richtet. | Bild: Stadler, Eberhard

Bevor es zu entsprechenden Beschlüssen kommt, haben sich die Ratsmitglieder entschlossen, die Meinung der Mitglieder einzuholen. Aus diesem Grund wurde dem „Zunftblättle“ ein Fragebogen beigelegt. Es geht um die Themen Brauchtumspflege, Pflicht-Mitgliedschaft für Hästräger oder das Thema Häskontrolle. In der Umfrage können die Mitglieder auch die Arbeit des Zunftrates bewerten, ebenso die Kommunikation des Vereins.

2025 kommt die Narrozunft-App

„Wir wissen, dass unsere Kommunikation öfters kritisiert wird“, stellt Zunftmeister Anselm Säger fest. Nun will der Verein 2025 eine neue Narrozunft-App präsentieren. Über die App sollen die Mitglieder mit Nachrichten aus dem Vereinsleben versorgt werden.

Säger geht fest davon aus, dass der Zunftrat zur künftigen Organisation und der Brauchtumspflegen bald Beschlüsse fassen wird. Er appelliert daher an die Gefolgschaft, sich in großer Zahl an der Umfrage zu beteiligen. „Wenn 500 bis 1000 Mitglieder mitmachen, dann bekommen wir ein aussagekräftiges Stimmungsbild“, ist er überzeugt.