Rund 13 Millionen nach Deutschland verschleppte Menschen mussten zwischen 1939 und 1945 in allen Bereichen der deutschen Wirtschaft Zwangsarbeit leisten. Ihr Alltag war geprägt von einer strengen rassistischen Hierarchie. Das Thema Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus rückt seit den 90er-Jahren zunehmend in den öffentlichen Erinnerungsdiskurs. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der NS-Zwangsarbeit ist zentral für das Verständnis des Nationalsozialismus und schärft den Blick für aktuelle Verhältnisse, in denen Menschen ausgebeutet und ausgegrenzt werden.

Das weiß selbstverständlich auch der Historiker Florian Kemmelmeier, der als Mitarbeiter der Berliner Dokumentationsstätte Topographie des Terrors für das Gedenkstättenreferat intensiv zu NS-Zwangsarbeit im Bereich der Bundeshauptstadt recherchiert hatte. Aber in seiner Heimatstadt Schwenningen konnte er noch vor einem Jahr kein einziges Zwangsarbeiterlager konkret benennen. Dass es Zwangsarbeiterlager gab, war ihm als historisch interessierter Mensch ein Begriff. Wo die aber genau waren, wieviele Menschen zum Arbeitseinsatz gezwungen wurden, woher diese Menschen eigentlich stammten, all dies war ihm lange nicht bewusst. Nun fand im örtlichen Uhrenindustriemuseum die Auftaktveranstaltung der neu gegründeten Initiative zur Aufarbeitung der NS-Zwangsarbeit in Schwenningen statt und Florian Kemmelmeier steht vor einer großen Karte Schwenningens und verortet Kärtchen mit Firmennamen wie Eppler, Mehne, Würthner, Kienzle, Schlenker-Grusen und Kuttler.

Viele Kärtchen, auf denen Arbeitsorte und Arbeitslager vermerkt sind, warten noch auf ihre Positionierung und werden in ihrem Gesamtbild davon anschaulich berichten, dass die von der Weltwirtschaftskrise stark betroffene und hochverschuldete Stadt Schwenningen von der zunehmenden Rüstungsentwicklung profitierte, die die Schwenninger Uhrenindustrie mit der Produktion von Zündern für Bomben elementar unterstützte. In der Herstellung spielten eben Zwangsarbeiter eine tragende Rolle und führten zu einem wirtschaftlichen Aufschwung in Schwenningen, von dem die örtliche Industrie auch noch nach dem Krieg profitieren konnte.

Bei der Auftaktveranstaltung war auch Valery Cherniavskij dabei. Der Historiker und stellvertretende wissenschaftliche Leiter des Landeskundlichen Museums der Stadt Mykolajiv in der Südukraine forscht und publiziert zum Thema der NS-Zwangsarbeit. Cherniavskij gab der systematischen Ausbeutung ein Gesicht, er erinnerte an den ehemaligen Zwangsarbeiter Wolodomyr Petrovych Shcherbina, der im vergangen Jahr verstorben ist. Er war bei der Firma Georg Würthner in Schwenningen als Bohrer tätig und er lebte hier in Barackenlagern.

Es war der 9. März 1944, als der 17-Jährige und drei weitere junge Männer in ihrem deutsch besetzten Heimatdorf Shirokaja Balka bei Mykolajiv durch Gendarmen festgenommen wurden. Man brachte sie zu einem Sammelpunkt, von wo aus der Transport dann weiter über Odessa, die Krim, nach Rumänien und von dort auf der Donau bis nach Ulm ging. Von dort sei er mit einer Gruppe von 20 Leuten mit der Bahn nach Schwenningen gebracht worden. Eines von vielen Schicksalen, auf die die offene Initiative aufmerksam machen will.

Den Opfern einen Namen geben ist auch das Ziel von Annemarie Conradt-Mach. Die Sozial- und Wirtschaftshistorikerin berichtete von etwa 2000 Zwangsarbeitern in Schwenningen. Insgesamt seien zwölf Arbeitslager nachweisbar. Es gibt noch viel aufzuarbeiten, um Licht in das lange verdrängte dunkle Kapitel zu bringen.