Es gibt viele Jobs, die ein hohes Ansehen mit sich bringen: Richter fällen Urteile, entscheiden über Recht und Unrecht, Lehrer formen Schüler, prägen ihren Bildungswege. Und Ärzte retten Leben.

Wer aber Hilfe braucht, überfallen wird, zu schnell durch die Dreißigerzone fährt, wer – bald wieder – auf ein Fest, zu einem Fußballspiel oder auf eine Demonstration geht, trifft auf Polizisten. Wie es einem dabei ergeht, liegt an dem Menschen hinter der Uniform.

Von der Bundeswehr zur Polizei

Wer verstehen will, was junge Polizisten antreibt, wie sie werden, wer sie sind, muss dort mit ihnen sprechen, wo sie ausgebildet werden. An die Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen zum Beispiel. Coronabedingt findet das Treffen mit Aurelia Mandlmeier, Studentin und Polizeikommissaranwärterin, und Andrea Merkle, Dekanin der Fakultät für Einsatz- und Führungswissenschaftlichen, nur virtuell statt.

Was, wenn der Unterricht nur online stattfindet?

Und das wirft auch gleich die ersten Fragen auf: Auf Streife, im Einsatz, müssen Polizisten, wenn es nicht anders geht, Gewalt ausüben. Doch wie lernt man das? Wenn der Unterricht größtenteils online stattfindet? Und: Was reizt an einem Beruf, der zwar eine große Wirkung hat, dessen Image nach Berichten über Racial Profiling oder rechtsextremen Chats innerhalb er Polizei aber auch angekratzt ist?

Das könnte Sie auch interessieren

Aurelia Mandlmeier wird im Laufe des Gesprächs noch oft auf die Kritik an der Polizei zu sprechen kommen. Sie wird die demokratischen Grundsätze, auf denen die Polizeiarbeit fußt, verteidigen.

Der Gesellschaft etwas zurückgeben

Doch ihre Motivation, in den Beruf zu gehen, erklärt die 25-Jährige erstmal so: „Ich bin von der Bundeswehr gekommen und hatte einen freiwilligen Wehrdienst gemacht, weil ich nach dem Abitur nicht wusste, was ich machen will. Und bei der Bundeswehr habe ich gemerkt, wie gut es tut, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.“

Mit Menschen in Kontakt zu sein, die Bürger zu schützen – wie bei der Bundeswehr – und dabei kleine und große Ermittlungserfolge zu erzielen, das habe sie gereizt, sagt Mandlmeier.

„Wir wollen diese Demokratie und wollen helfen, sie besser und schöner zu machen“, sagt Aurelia Mandlmeier, auf Polizisten ...
„Wir wollen diese Demokratie und wollen helfen, sie besser und schöner zu machen“, sagt Aurelia Mandlmeier, auf Polizisten mit rechtem Gedankengut angesprochen. | Bild: Mandlmeier

Ihr Studium hat sie – nach einer neunmonatigen Vorausbildung und einem halben Jahr Revier-Praktikum– im Oktober begonnen. Kurz vor dem zweiten Lockdown. „Da fehlt der ganze Zauber“, sagt Mandlmeier. Mit dem ihren Kommilitonen über den Campus in Schwenningen zu schlendern. Diese Mischung aus Euphorie und Neugierde zu spüren, aus Respekt und Übermut, die sonst unter Studenten aufkommt.

Die gebe es online einfach nicht.

„Es ist unser Job, das auszuhalten“

Aurelia Mandlmeier erzählt davon, während sie bei ihren Eltern im bayerischen Wohnzimmer sitzt. Vor Ort, am Campus in Schwenningen, ist sie pandemiebedingt nur ganz selten. Sie blickt in die Kamera, taxiert, überlegt einen Moment, bevor sie etwas sagt.

Wenn sie ihrem Gegenüber zuhört, ist sie ganz bei ihm. Und sie ist ruhig. Vermutlich ist das gut so. Als Polizistin wird sie noch oft in brenzlige Situationen kommen und Konflikte abschwächen müssen.

Unser Bild zeigt eine Polizeieinheit, die sich letztes Jahr im Juni sammelte, um in Stuttgart gegen Randalierer in der Innenstadt ...
Unser Bild zeigt eine Polizeieinheit, die sich letztes Jahr im Juni sammelte, um in Stuttgart gegen Randalierer in der Innenstadt vorzugehen. Bei den Auseinandersetzungen mit der Polizei haben dutzende gewalttätige Kleingruppen die Innenstadt verwüstet und mehrere Beamte verletzt. In solche Situationen könnte auch Mandlmeier geraten. Symbolbild | Bild: Simon Adomat

„Ich hatte das Glück, im Praktikum noch keinen Widerstand erleben zu müssen“, sagt Mandlmeier. „Aber das wird irgendwann kommen.“ Das weiß sie. „Es gibt natürlich Menschen, die gegen die Polizei sind. Die uns das auch spüren lassen. Da ist es mein Job, das auszuhalten.“

Das könnte Sie auch interessieren

„Mein Job“, sagt sie und verbessert sich gleich. „Unser Job.“ Spricht Mandlmeier von ihrer Arbeit, spricht vor allem von „wir“ und „uns“. Nur wenn es um ganz Persönliches geht, sagt sie „ich“ oder „du“. Denn: Bei der Polizei zu sein, bedeutet eben auch Teil eines Ganzen zu sein. „Ein Team“, wird Mandlmeier später sagen.

Ein Team, das sie eines Tages leiten will. Denn: „Nach der Bundeswehr war mir klar: Ich will lieber führen, als geführt werden.“ Am liebsten bei der Schutzpolizei. Deshalb sei sie mit ihrem Studium in den gehobenen Dienst gegangen, deshalb verlässt Mandlmeier die Hochschule auch als Kommissarin, um Verantwortung übernehmen und entscheiden zu können.

Kein Zugriffs- und Abwehrtraining

Doch wie bereitet sie das Studium vor dem heimischen Laptop darauf vor? Müssten sie nicht auch in der Praxis lernen, was es heißt, jemanden im Notfall handlungsunfähig zu machen oder schießen zu müssen? „Das ist tatsächlich sehr schwierig“, sagt Mandlmeier.

Auch Andrea Merkle, in deren Bereich das Einsatztraining fällt, sagt: „Alles können wir im momentan nicht anbieten.“ Die Abwehr- und Zugriffsübungen seien aufgrund des Körperkontakts seit einem Jahr eingestellt. Nur das Schießtraining finde auf dem Campus noch statt.

„Es gibt inzwischen völlig andere Kriminalitätsbereiche keinen Ermittlungsbereich mehr, der nicht die Auswertung digitaler Spuren ...
„Es gibt inzwischen völlig andere Kriminalitätsbereiche keinen Ermittlungsbereich mehr, der nicht die Auswertung digitaler Spuren berührt“, sagt Andrea Merkle (58). | Bild: Merkle

„Um den Hygieneanforderungen gerecht zu werden, arbeiten wir in Schichtmodellen und nehmen die Studenten in Kleingruppen für je einen Tag aus den Vorlesungen heraus, damit sie trainieren können.“ Einen Tag im Semester – mehr ist bei 1727 Studenten, die die Hochschule im gehobenen Dienst besuchen, nicht drin.

Das Einsatztraining an der Waffe kann nicht online erfolgen. Symbolbild
Das Einsatztraining an der Waffe kann nicht online erfolgen. Symbolbild | Bild: Sprich, Roland

„Es hilft aber, um sich sicher zu fühlen“, sagt Mandlmeier. Denn: Nach diesem Semester, im Herbst, geht die 25-Jährige wieder raus in die Praxis, ins nächste Praktikum. „Ganz ohne Training, wäre mir nicht wohl dabei.“

Gelder für die digitale Lehre

Doch durch Simulationstrainings, in denen brenzlige Situationen nachgestellt werden, müssen die Studenten ohnehin nicht. „Bei uns ist das vorgelagert, wir haben solche Übungen schon in der Vorausbildung, bevor wir an die Hochschule gehen“, sagt Mandlmeier. In ihrem Fall war das auch – vor Corona. Und trotzdem könnte das – zumindest bald virtuell –im Lehrplan verankert werden.

Schließlich habe die Pandemie einen Digitalisierungsschub mit sich gebracht. „Auch wir haben Gelder umsetzten können, die in die digitale Lehre fließen“, sagt Merkle. Dadurch sei die Technik vorhanden, solchen Szenarien auch virtuell, im Studium noch, durchzuspielen. „Und das werden wir künftig auch nutzen.“

Doch der eigentliche Fokus des Studiums liegt auf der theoretischen Ausbildung. Auf dem Semesterplan stehen deshalb Fächer wie Rechtswissenschaften und Psychologie – hier paukt der Nachwuchs, jene Gesetzte, die sie später vollziehen und lernt Konflikte zu lösen. Auch Kriminaltechnik- und taktik, also die Planung und Führung von Einsätzen – dazu zählen auch Großeinsätze, wie bei Demonstrationen oder Amoktaten und Anschlägen – wird während des Studiums gelehrt.

„Racial Profiling“: ein No-Go

Ein wichtiger Teil seien dabei Fächer wie Berufsethik und Politikwissenschaften, sagt Mandlmeier. Denn: Dort haben aktuelle Themen ihren Platz. Dort werde über Polizeigewalt, und strukturellen Rassismus, über den gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA gesprochen.

„Racial Profiling ist ein No-Go“, sagt Mandlmeier. „Dafür werden wir sensibilisiert und ich finde gut, dass wir uns auch solcher Kritik stellen.“

Das könnte Sie auch interessieren

Wenn man sich mit Mandlmeier unterhält, könnte man meinen, dass die Polizei gar kein Problem hat. Die 25-Jährige scheint wissbegierig, prüfend und reflektiert.

Das könnte Sie auch interessieren

Auf die Vorwürfe gegenüber der Polizei angesprochen – dass der Beruf spezielle Menschen anziehe – kramt Mandlmeier einen Artikel aus der Süddeutschen Zeitung hervor und zitiert die Berliner Polizeipräsidentin, Barbara Slowik: „Wer zur Polizei geht, tut das nicht, um reich zu werden. Die Motive sind idealistisch, es geht darum zu helfen […] und das Funktionieren der Demokratie zu gewährleisten.“

Mandlmeier mag dieses Zitat. Wegen seiner Kernaussage. „Wir sind nicht rechts“, sagt sie. „Wir wollen diese Demokratie und wollen helfen, sie besser und schöner zu machen.“

Auswertung digitaler Spuren

Merkle nickt. Seit 39 Jahren ist sie bei der Polizei, seit 20 Jahren lehrt sie an der Hochschule. Lange genug, um zu erleben, wie sich das Studium über Jahre hinweg veränderte.

Das könnte Sie auch interessieren

„Es gibt ja völlig andere Kriminalitätsbereiche“, sagt Merkle. Und denkt an Terroranschläge und Cyberkriminalität. Neue Ermittlungsverfahren würden darum schon im Studium vermittelt. Besonders wichtig: Die IT. „Es gibt keinen Ermittlungsbereich mehr, der nicht die Auswertung digitaler Spuren berührt.“