Herr Lützelberger, am Samstag geht eine sehr kurze Sommerpause zu Ende. Hatten Sie genügend Zeit, den emotionalen Zweitliga-Aufstieg zu genießen und etwas zu entspannen?

Ja, wir haben das sehr genossen und ausgiebig gefeiert nach dem Erfolg gegen Wilhelmshaven, ein Sieg war es ja nicht, aber ein sehr großer, besonderer, ein spektakulärer Erfolg. Es war eine einmalige Geschichte, die da geschrieben wurde mit einer wahnsinnigen Aufholjagd am Ende. Ich habe nicht nur mit der Mannschaft gefeiert nach dem Spiel, sondern auch mit meiner Familie in den Tagen danach. Es war einfach ein wundervolles, besonderes Erlebnis in einem Sportlerleben.

Wie oft haben Sie sich den letzten Siebenmeter von Tim Bornhauser zum 30:34-Endstand angeschaut, der den Aufstieg besiegelt hat?

Man kam ja gar nicht daran vorbei, das lief ja auf allen Kanälen hoch und runter. Ich habe es schon einige Male angeschaut, und es ist nie langweilig geworden. Es ist immer noch bemerkenswert, mit welcher Klarheit und mit welcher Selbstverständlichkeit er den Ball ins Tor geworfen hat.

Sie gehen in Ihre zweite Saison als Trainer der HSG Konstanz. Vor einem Jahr war vieles Neuland, wie hat sich diese Vorbereitung angefühlt?

Schon anders. In dem Sinne, dass ich mich bei ein paar Dingen besser auskannte und eben nicht alles von Grund auf kennenlernen musste. Dass ich viele meiner Spieler schon kenne, mich dann anders auf die Neuzugänge konzentrieren und fokussieren konnte und natürlich auch ein paar Dinge anders, besser machen wollte. Vor einem Jahr bin ich ja gar nicht davon ausgegangen, dass ich heute wieder hier stehen werde. Ich wollte die HSG ursprünglich nur eine Saison trainieren.

Was genau haben Sie anders gemacht?

Wir wollten mit den Themen nicht wieder an den Punkten beginnen, an denen wir das letztes Jahr getan haben und auch das Spiel der Mannschaft weiterentwickeln. Wir wollten in jeder Übung, in jeder Trainingsform auf einem höheren Level ansetzen und uns in allen Bereichen verbessern: in der Digitalisierung, im Athletiktraining der Spieler, bei den handballerischen Dingen, wir haben neue Themen im Defensivbereich aufgemacht, im Angriffsspiel Anpassungen vorgenommen.

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Wie wollen Sie es schaffen, die Euphorie aus der Vorsaison zu konservieren, als Sie in einem Herzschlagfinale die Rückkehr ins Unterhaus realisiert haben?

Na ja, am Ende des Tages ist es für uns ganz, ganz wichtig, in genauso einem Spiel, in dem du nicht die ganze Zeit in Führung liegst, in dem einige Dinge nicht funktionieren, zu kämpfen, alles zu geben, daran zu glauben und auch weiterhin schlaue Entscheidungen zu treffen. Dann können wir die Zuschauer mitnehmen und eine solche Euphorie wieder entfachen. Dann ist es möglich, solche Spielverläufe zu schreiben und Partien zu den eigenen Gunsten zu kippen an möglichst vielen Tagen.

Im Vergleich zur vergangenen Saison werden Sie nun voraussichtlich öfters solche engen Spiele bestreiten.

In jedem Zweitligaspiel können andere Themen wichtig sein: Spieler einzuwechseln, Abwehrsysteme zu verändern, Angriffshandlungen anzupassen an den Gegner. Es werden Gegner auf uns zukommen, die eine hohe individuelle Qualität mitbringen auf allen Positionen. Gegner, die uns taktisch alles abverlangen. Wir werden nicht die ganze Zeit in Führung liegen, wie das in der Drittligasaison oft der Fall war. Wir müssen noch disziplinierter sein. Situationen, in denen wir zu großes Risiko gehen oder eben auch nicht mutig genug sind, werden in dieser Liga härter bestraft, als das in der 3. Liga meistens der Fall war. Darauf versuchen wir die Mannschaft vorzubereiten, und wir als Coaching-Team bereiten uns auch selber darauf vor, um an jedem Spieltag das Optimum rauszuholen.

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Vor Jahresfrist war Ihre Mannschaft der Gejagte in der 3. Liga, jetzt ist sie in der eingleisigen 2. Bundesliga der Jäger. Können Ihre Spieler auch diese Rolle ausfüllen?

Das ist ja die deutlich leichtere Rolle. Ich behaupte jetzt nicht, dass wir die Favoritenrolle in der Drittligasaison immer konnten. Im Gegenteil. Gerade die zweite Saisonhälfte war kräftezehrend und auch mental, emotional anstrengend. Wir haben in der ersten Halbzeit in Wilhelmshaven mal nicht als Favorit gespielt und gesehen, was wir da hinlegen können. Schwupps, liegst du nach 30 Minuten mit zwölf Toren vorn und bist auf einmal definitiv wieder Favorit. Dann sehen wir, was danach in drei Halbzeiten passiert ist.

Es ist also eine Frage der Mentalität?

Der Kopf spielt eine riesige Rolle. Wir freuen uns schon darauf, dass jetzt eine ganze Reihe von Spielen ansteht, in denen wir den Druck beim Gegner sehen, in denen wir deutlich freier spielen können, als das an vielen Spieltagen der letzten Saison der Fall war. Trotzdem wird es auch Spiele geben, in denen wir vielleicht nicht Favorit sind, weil wir viel besser als der Gegner sind, aber im Sinne von: Wenn Konstanz das nicht gewinnt, dann wird es schwer in der Zweiten Liga. Der Teamspirit, dieser Glaube an das Team und an die Gruppe, ist das Wichtigste.

Die HSG Konstanz in der Saison 2022/23 (hintere Reihe, von links): Jo Knipp, Aron Czako, Lars Michelberger, Peter Schramm, David ...
Die HSG Konstanz in der Saison 2022/23 (hintere Reihe, von links): Jo Knipp, Aron Czako, Lars Michelberger, Peter Schramm, David Knezevic, Michel Stotz, Niklas Ingenpaß, Mannschaftsarzt Tobias Payer. Mittlere Reihe (von links): Torwarttrainer Maximilian Wolf, Daniel Eblen, Head Coach Jörg Lützelberger, Geschäftsführer Andre Melchert, Co-Trainer und Athletiktrainer Vitor de Faria Baricelli, Betreuer Thomas Binninger, Fynn Beckmann, Joel Mauch, Luis Plymford Foege, Sebastian Hutecek, Pascal Mack, Jonas Hadlich, Mannschaftsärztin Kerstin Moll, Mannschaftsarzt Stephan Scholtes, Reha-Trainerin Cleo Oexle, Physiotherapeut Tobias Eblen, Physiotherapeutin Heike Gaißer. Vordere Reihe (von links): Christos Erifopoulos, Lukas Köder, Samuel Wendel, Janis Boieck, Leon Grabenstein, Moritz Ebert, Felix Fehrenbach, Gianluca Herbel, Gregor Thomann. | Bild: Peter Pisa

Im Sommer haben Kapitän Tim Bornhauser und Torhüter Max Wolf ihre Karrieren beendet; Matthias Hild, Jannes Timm und Carlos Marquis haben den Verein verlassen, Joshua Braun ist im Auslandssemester in Australien. Auf der anderen Seite stehen die Neuzugänge Janis Boieck (Tor), Luis Foege (rechter Rückraum), Gregor Thomann (Rechtsaußen) und auf der Rückraum-Mitte Sebastian Hutecek sowie Christos Erifopoulos, der letztes Jahr kam, aber nach langer Verletzung erst jetzt spielen kann. Wie schätzen Sie Ihren Kader ein?

Ich denke, dass wir per sofort ein höheres Level von Gregor und vielleicht von Jannes erwarten dürfen. Das sind beides Spieler, die über eine sehr gute handballerische Ausbildung verfügen und mehrere Jahre Erfahrung im Bundesligabereich mitbringen. Luis ist der jüngste Spieler aus allen 22. Er ist ohne Frage ein großes Talent, aber auch ein Spieler, dem wir keinerlei Druck machen und die Zeit geben werden, die bei der HSG alle jungen Talente immer bekommen haben. Wenn wir bereit sind, ihm den einen oder anderen Fehler zuzugestehen, dann können wir sehr viel von ihm bekommen und werden noch sehr viel Spaß haben. Er hat ordentlich gekämpft in der Vorbereitung mit dem ganzen Input, den wir ihm gegeben haben. Da waren viele neue Dinge dabei. Letzte Woche gegen Schaffhausen hat er das erste Mal ein bisschen Halt gefunden und sich stabilisiert. Trotzdem erwarten wir nicht, dass er jede Woche die Kohlen aus dem Feuer holt, weil er eben gerade erst 20 geworden ist.

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Im Rückraum hat Tim Bornhauser wohl die größte Lücke hinterlassen.

Christos hat 13 Monate nicht Handball trainiert nach seiner Verletzung, doch ich bin hochgradig zufrieden mit seiner Fitness und seiner Form. Er hat sich von Woche zu Woche gesteigert, wobei uns klar ist, dass er nach sechs Wochen Handball noch nicht bei hundert Prozent sein kann. Für Sebastian ist es schon ein anderes Level als bei dem Verein, von dem er kommt. Er ist aber ein unglaublich professioneller Sportler, der uns schon in den ersten Wochen beeindruckt hat mit seiner Arbeitsweise und seiner Herangehensweise. Er nimmt sich auch außerhalb der Trainingszeiten jede notwendige Minute, um sich in Themen reinzudenken und sich auszutauschen mit Trainern und Mitspielern. Er ist eine Verpflichtung, mit der wir bereits jetzt wirklich zufrieden sind. Er wird mit Sicherheit noch eine große Entwicklung machen. Und trotzdem werden wir auch ihm die Zeit geben müssen, sich anzupassen. Vielleicht war es gut für ihn, dass wir so starke Testspielgegner hatten.

Sie trafen auf einige namhafte Teams.

Das war keine Wohlfühl-Selbstvertrauen-Vorbereitung, die wir da zusammengebastelt haben. Wir haben gegen Bundesligisten, internationale Gegner gespielt, teilweise gegen Europa- und Weltmeister, aktuelle und ehemalige Nationalspieler. Das waren tolle Spiele, aber im Ergebnis nicht die, aus denen du immer mit breiter Brust rausgehst. Häufiger hatten wir das Gefühl, unsere Grenzen kennengelernt zu haben. Wir haben gesehen, wie Spieler auf einem anderen Level das Spiel spielen, die weiter sind in ihrer Entwicklung, weil sie auch in der Regel viele Jahre älter sind als unsere Spieler.

Am Samstag, 20 Uhr, geht es gleich weiter mit den großen Vereinen. Im ersten Pflichtspiel treffen Sie im DHB-Pokal am Schänzle auf Ihren Ex-Verein, Bundesligist VfL Gummersbach (Tickets unter: www.hsgkonstanz.de/tickets). Ein frühes Highlight für die HSG Konstanz?

Wenn die HSG Konstanz gegen eine der weltweit bekanntesten Handballmarken überhaupt, den ehemaligen deutschen Rekordmeister, antritt, dann ist das vielleicht das Highlight schlechthin in einem Pflichtspiel. Das ist ein großer Name, eine große Historie auf der einen Seite, auf der anderen Seite hatten die Gummersbacher große Probleme in der mittleren bis jüngeren Vergangenheit, von denen sie sich aber zuletzt erholt haben. Es kommt eine Top-Mannschaft zu uns, die unsere Zuschauer bewundern dürfen. Wir werden natürlich versuchen, sie in einen Moment zu bringen, wo sie Stress bekommen. Wenn uns das gelingt, dann wollen wir das nutzen, ansonsten haben wir am Samstag nicht so viel zu verlieren.

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Wie sehen Sie persönlich die Partie?

Ich freue mich darauf, ein paar bekannte Gesichter zu treffen. Die Betreuer sind noch mit dabei, die auch mich noch betreut haben als Spieler und Trainer. Der jetzige Geschäftsführer Christoph Schindler war mein Kapitän, mit dem heutigen Trainer Gudjon Valur Sigurdsson habe ich als ganz junger Spieler in meiner ersten Saison Champions League zusammengespielt. Dann hört es aber auch schon relativ schnell auf. Von den aktuellen Spielern hatte ich ein paar als Nachwuchsspieler in meiner Verantwortung als Funktionär und Jugendtrainer. Es freut mich, sie wiederzusehen. Ich freue mich aber eher auf das Level, das sie mitbringen, auf ein Erstligateam hier bei uns in der Halle.

Wie stehen die Chancen für Ihr Team?

Wer darauf spekuliert, dass wir Gummersbach aus der Halle hauen und dann in der nächsten Runde Kiel kommt, der kann sich auch gleich einen Lottoschein kaufen. Der ist mutig. Spaß beiseite. Wir sind nicht ohne Chance, das nicht. Gummersbach ist auf einem ganz anderen Level, und trotzdem gibt es in zehn Spielen eines, das sie nicht gewinnen, und natürlich versuchen wir alles, dass das am Samstag ist.

Eine Woche darauf starten Sie in Coburg in die Zweitligasaison. Warum werden die HSG-Fans auch am Ende dieser Runde eine große Party am Schänzle feiern?

Weil wir jedem Gegner, egal ob Gummersbach oder Coburg, egal ob zuhause oder auswärts, mit allem, was wir haben, die Stirn bieten und versuchen, unseren Handball durchzudrücken. Weil wir über die Breite kommen und 60 Minuten lang Intensität aufs Spielfeld bringen wollen. Coburg will sicher nicht mit einer Heimniederlage gegen einen Aufsteiger starten. Aber wenn es uns gelingt, sie in eine Position zu bringen, wo sie anfangen nachzudenken, dann ist der Stress und der Druck nicht bei uns. Dann kommen wir aus einer recht angenehmen mentalen Position und wollen diese Chance nutzen. Das war letztes Jahr schon so: Wenn du viel investierst, dann ist Aufgeben keine Option. Wir machen einen Fehlersport mit 60, 70 Angriffen in 60 Minuten. Es geht darum, wie ich Fehler für mich selbst verarbeite, aber auch, wie ich mit den Fehlern meines Nebenmanns umgehe. Und da gab es bei uns überhaupt keine Fragezeichen. Es ist wichtig, dass wir das dieses Jahr wieder schaffen. Es geht immer um die Mannschaft, um den Verein, um das ganz große Ziel, die HSG Konstanz in dieser 2. Bundesliga zu halten. Wir müssen mutig sein, wir werden mutig sein und wollen wieder diese Spielfreude an den Tag legen.