Es war ein fast schon unmoralisches Angebot, das Jochen Burt vor zwei Jahren telefonisch unterbreitet wurde. Zumindest empfand er es damals als solches. Ein Vereinswechsel wurde ihm nahegelegt. Ihm, dem Urgestein des TTC Furtwangen. Obwohl er der 2. Vorsitzende des Clubs ist, Jugendtrainer seit 20 Jahren obendrein. Obwohl er seit seinen Kindheitstagen stets mit seinem Bruder Stefan in einem Team spielte. Burt ohne Burt? Unmöglich! Das alles sollte er aufgeben? „Du spinnst“, antwortete er entsprechend, als Georg Winkler ihm an jenem Abend einen Wechsel zum TTC Mühlhausen vorschlug. Der Club aus dem Hegau spielte damals in der Oberliga, suchte Ersatz für Kai Moosmann, der ein Auslandssemester vor sich hatte. „Furtwangen ist mein Verein, den kann ich nicht verlassen“, lehnte Burt spontan ab, doch in den Tagen danach „ratterte es gewaltig in meinem Kopf“.
Die talentierten Brüder aus dem Schwarzwald
Die TTG Furtwangen-Schönenbach war gerade aus der Verbandsliga abgestiegen, obwohl Jochen Burt 90 Prozent seiner Einzel in dieser Liga gewonnen hatte. Mit Blick auf die kommende Saison in der Landesliga drohte ihm persönlich also eine Spielzeit ohne große Herausforderungen, sein Bruder Stefan wollte zudem kürzertreten, ein rascher Wiederaufstieg schien unwahrscheinlich. „Ich habe eine Woche lang schlecht geschlafen“, erinnert sich Jochen Burt, „dann hat ein Freund gesagt, dass ich immer an alle anderen denken würde, ich jetzt mal nur an mich denken sollte.“ Der Reiz, sich noch einmal in der Oberliga beweisen zu können, noch einmal einen Neuanfang bei einem anderen Club zu wagen, überwiegt schließlich, „auch wenn viele meinten, dass ich nicht ganz sauber sei“.
Jochen Burt lacht bei dieser Einschätzung, die ja auch nicht ganz so abwegig sei. 50 Minuten braucht er zu jeder Trainingseinheit, zwei Mal pro Woche fährt er vom Schwarzwald in den Hegau. „Ein enormer Aufwand. Aber ich liebe nun einmal diesen Sport.“
Druckerei in Furtwangen
Widerstände waren für den 47-Jährigen schon immer mehr Ansporn als Hemmnis. 2021, als die Corona-Pandemie das Leben bestimmte, hatte er entgegen aller Ratschläge die Druckerei in Furtwangen übernommen, bei der er seit seinen Lehrlingstagen arbeitete. „Du bist nicht ganz knusper“, sagten damals einige, weil ein Sieg gegen Timo Boll realistischer erschien als eine erfolgreiche Zukunft als Selbstständiger. Aber entgegen aller Erwartungen läuft das Geschäft. Burt hat Privat- und Unternehmenskunden, seit einigen Monaten arbeitet er mit einem Sportgeschäft zusammen, bedruckt seither auch Trikots und Trainingsanzüge für Vereine, etwa für die Fußballer des FC 07 Furtwangen. Für die schnürte er in Kindertagen selbst die Kickschuhe. Einige Jahre ist Jochen Burt in zwei Sportarten aktiv. Die Liebe zum Tischtennis ist die größere. „Mein älterer Bruder Michael spielte Tischtennis, mein Cousin Jan Fessler war damals der Vereinsvorsitzende, ist es bis heute übrigens. Mein jüngerer Bruder Stefan und ich haben dann auch angefangen.“ Stefan ist nach Einschätzung vieler Experten das größere Talent der beiden, den ausgeprägteren Ehrgeiz hat aber Jochen. „Das zeichnet mich aus. Ich kämpfe immer bis zum letzten Punkt, gebe nie auf, bevor das Match nicht zu Ende ist, auch wenn der Rückstand mal groß ist.“ Georg Winkler, langjähriger Rivale und inzwischen Teamkollege, kann das bestätigen: „Jochen ist eine Kampfsau, wie ich nur wenige kenne.“

Die beiden Burt-Brüder waren in den nächsten Jahren die Tischtennis-Asse im Schwarzwald. Vier Jahre schlagen sie für den SV BW Freiburg-Wiehre auf, mit dem das Duo drei Aufstiege in Serie bis in die Regionalliga feierte. Davor und danach reihte sich Erfolg um Erfolg mit der TTG Furtwangen-Schönenbach. Bis in die Badenliga ging es mit dem Heimatclub, im Bezirkspokal gelang eine unglaubliche Titelserie von 18 Erfolgen ohne Unterbrechung, Rang drei bei Deutschen Meisterschaften inklusive. Wie viele Titel er in all den Jahren gewonnen hat? „Keine Ahnung“, sagt Burt. „Die Urkunden habe ich abgeheftet“, so der 47-Jährige. Ein Ordner reicht dafür schon lange nicht mehr, im Speicher stehen zudem einige Kisten mit Pokalen herum. Und Burt hat noch lange nicht genug.
Mit Teamgeist zum Erfolg
Im ersten Jahr nach seinem Wechsel sicherte sich der TTC Mühlhausen einen Platz im Tabellenmittelfeld, in der zweiten Saison holten sich die Hegauer Rang zwei, in den Relegationsspielen vor wenigen Tagen gelang der Aufstieg in die Regionalliga. Kein Club im weiten Umkreis spielt höher. „Wir sind eine echte Mannschaft, haben eine tolle Kameradschaft“, weiß Burt um die Stärke des TTC Mühlhausen. „Jochen ist ein absoluter Ehrenmann, auf den man sich hundertprozentig verlassen kann“, erklärt auch Mühlhausens Vereinsvorsitzender Georg Winkler. „Ein toller Gewinn für unsere Mannschaft und den ganzen Club.“
Burt gewann in der abgelaufenen Oberliga-Saison knapp die Hälfte seiner Einzel – in einem Alter, in dem seine ehemaligen Fußballkollegen schon längst ihren Sport aufgegeben haben. „Die hatten Kreuzbandrisse, Knöchel- und Sprunggelenkverletzungen. Damals wurde ja noch auf Hartplätzen gespielt. Im Rückblick bin ich froh, dass ich mich gegen den Fußball entschieden habe.“
In seiner Altersklasse ist er amtierender Titelträger in Baden-Württemberg, bei den Deutschen Meisterschaften scheiterte er im Vorjahr erst im Viertelfinale am späteren Sieger. An Pfingsten stehen die nächsten nationalen Titelkämpfe der Altersklassen in Erfurt an.
Geld hat Jochen Burt mit seinem Talent kaum verdient. „Geld war nie die Motivation. Ich spiele Tischtennis, weil dieser Sport unglaublich faszinierend ist.“ Warum? „Es gibt so viele verschiedene Arten von Spielern, man muss sich auf die Gegner einstellen, muss Lösungen finden, wie man siegen kann.“
Rückkehr zur TTG Furtwangen-Schönenbach geplant
Wenn die Mannschaft um das Stamm-Quartett mit Adam Robertson, Noe Keusch, Kai Moosmann und Jochen Burt zusammenbleibt, könnte auch in der Regionalliga vieles möglich sein. Wie lange er noch spielen will?
Im Tischtennis stehen Jung und Alt an der Platte, bei Seniorenmeisterschaften teilweise 80-Jährige, die noch erstaunliche Leistungen zeigen. Ob Burt in diesem Alter noch an der Platte stehen wird, ist ungewiss. Er selbst hat sich kein Limit gesetzt.
Sein Bruder Stefan greift nur noch gelegentlich zum Schläger, die TTG Furtwangen-Schönenbach musste zwei weitere Abstiege verkraften, spielt kommende Saison in der Bezirksklasse. „Irgendwann werde ich aber dahin zurückkehren, unabhängig von der Spielklasse. Das ist immer noch mein Herzensverein.“ Vorerst hat er aber sein sportliches Glück im Hegau gefunden.