Die Sportplätze sind verlassen, die Kickschuhe im Schrank und die Kinder zu Hause: Der zweite Lockdown und die damit verbundenen Einschränkungen zur Ausübung sportlicher Aktivitäten treffen nicht nur die Amateurkicker im aktiven Bereich, sondern auch den Nachwuchs mit voller Breitseite.
Mit kreativen Lösungen durch die Krise
Was die Fußball-Pause für die sportliche, aber auch soziale Entwicklung der Jugendlichen bedeutet, lässt sich momentan nur abschätzen. Die Vereine verharren jedoch nicht: Sie versuchen mit kreativen Lösungen, das Optimum aus ihren beschränkten Möglichkeiten zu machen, wie ein Beispiel aus der Region zeigt.
Rolf Dietrich kann so leicht nichts überraschen. Schließlich hat der 62-Jährige in seinem Fußballerleben schon einiges gesehen. Eine Situation wie die jetzige, in der abgesehen vom Profisport kein Ball auf Deutschlands Sportplätzen rollt, ist aber auch für den Öhninger neu.
„Das ist eine außergewöhnliche Lage, die uns vor neue Herausforderungen stellt“, sagt Dietrich. Dass er seiner Leidenschaft, der Weiterentwicklung junger Menschen, derzeit nicht wie gewohnt nachkommen darf, geht auch an Dietrich nicht spurlos vorbei.
„Mir fehlen der Fußball und der Umgang mit den Kindern sehr. Ich gehe sehr gerne auf den Sportplatz, um zu sehen, wie die Jugendlichen spielen und sich verbessern. Das fehlt, gerade am Wochenende.“Rolf Dietrich
Seit 20 Jahren engagiert sich der Vorruheständler im Jugendfußball, zunächst als DFB-Stützpunkttrainer und seit 2010 als Leiter der Fördergruppe des FC Radolfzell. Die Mettnauer sind Kooperationspartner des SC Freiburg, bilden die jungen Talente der Region aus und legen in den Altersklassen U11 bis U14 mit der Fördergruppe den Grundstein für einen möglichst erfolgreichen weiteren Weg im Nachwuchs des Bundesligisten.
Doch eben jene Ausbildung droht im Lockdown zu stagnieren, was allen Beteiligten in Fußball-Deutschland Sorgenfalten auf die Stirn treibt, vom kleinen Dorfverein bis hin zur Verbandsspitze. Dort sieht man die Lage der Jugend dramatisch. Joti Chatzialexiou, Chef der Junioren-Nationalmannschaften des Deutschen Fußball-Bundes, bezeichnet die Zwangspause der Jugendlichen als „enormen Ausfall, das ist bei jedem Spieler fast schon ein Kreuzbandriss, weil er so lange nicht gespielt hat.“
Rolf Dietrich sieht von solchen überspitzten Vergleichen ab. „Natürlich ist die Situation tragisch. Es ist aber nicht so, dass die Jungs plötzlich nicht mehr gesund sind und sich nicht bewegen können. Es geht nun vielmehr darum, mit den außergewöhnlichen Möglichkeiten, die wir derzeit haben, alles auszuschöpfen.“
Anstelle von Schwarzmalerei sieht Dietrich in der aktuellen Situation die Chance, innovative Konzepte zu entwickeln, um die Jugendlichen nicht nur bei Laune zu halten, sondern auch im Fußball-Home-Office zu verbessern.
Übungen am Bildschirm mit Online-Training
Gelingen soll das über Online-Training. Immer mittwochabends, wenn normalerweise das Fördergruppentraining stattfinden würde, versammeln Dietrich und sein Kollege Luca Czeke die Jugendlichen über Video-Konferenzen vor dem Bildschirm. Der Trainer macht Übungen vor, die Kinder folgen. Egal ob im eigenen Zimmer, auf der Terrasse oder in der Tiefgarage, wichtig sind nur ein Ball und genügend Platz zum Dribbeln.
„Es ist sehr wichtig, dass man sich in der aktuellen Zeit wenigstens digital sieht und man miteinander reden kann. Ich erkenne das Funkeln in den Augen, wenn sie miteinander trainieren“, erzählt Dietrich. „Und wenn man dann den Fortschritt sieht, den manche Jungs von einer Woche zur anderen machen, weil sie enorm fleißig zuhause üben, dann tränen mir die Augen.“
Ersetzen kann dies ein vollwertiges Training in der Gruppe auf dem Rasen oder in der Halle jedoch nicht. „Das ist in keiner Weise vergleichbar. Es fehlen die Anwendung des Erlernten in Zweikämpfen, aber auch die sozialen Kontakte, die eine große Komponente darstellen. In dieser Zeit haben die Eltern die Chance, die Sozialkompetenzen innerhalb der Familie zu stärken.“
Die Entwicklung der Spieler soll nicht zu stark leiden
Dass die Durchlässigkeit des Radolfzeller Jugendprogramms in Richtung Freiburg aufgrund der derzeit ausbleibenden Entwicklungsmöglichkeiten der Talente leidet, und damit auch Dietrichs Aufbauarbeit der letzten Jahre, glaubt dieser nicht.
„Es gibt in jeder Altersklasse Spieler, die sich sehr schnell entwickeln können, und dann auch für den Sport-Club interessant werden“, betont der 62-Jährige. „Zudem ist es ja nicht so, dass in der aktuellen Phase die ganzen Strukturen, die wir gemeinsam mit dem SC Freiburg über die Jahre aufgebaut haben, nun auf einmal verschwinden.“
Stattdessen sieht Dietrich selbst in scheinbar tristen Zeiten Chancen für die Jugend: „Ich bin davon überzeugt, dass ein ambitionierter Spieler in dieser Phase gemeinsam mit seinen Trainern und seinem privaten Umfeld für sich einen Weg finden wird, um keinen extremen Entwicklungsverlust zu erleiden.“