Als Sükrü Özcan Anfang der 1990er Jahre nach einem Probetraining beim Nachwuchs des FC Bayern in der Umkleidekabine sitzt und plötzlich Jupp Heynckes auf ihn zukommt, ist der Respekt riesengroß bei dem 18-Jährigen. „Weißt Du, wer auf diesem Platz sonst sitzt?“, fragt der Münchner Meistertrainer und deutet auf das Namensschild hinter Özcan. Einer dieser Momente, bei denen einem Jungen vom Land auch gerne mal das Herz ganz tief in die Hose rutscht und die Knie wild zittern. Doch Özcan entgegnet mit klarer Stimme: „Ja. Olaf Thon“. Und dann eine Spur leiser: „Aber da könnte irgendwann auch mal mein Name stehen.“

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Ganz schön mutig für einen Nachwuchskicker aus der südbadischen Provinz. Doch schließlich hat sich Özcan beim einwöchigen Probetraining an der Säbener Straße gut präsentiert, hat die große Chance genutzt, das Interesse der Jugendabteilung eines Welt-Clubs zu wecken. Eine Chance, die sich „nur einmal im Leben bietet“, wie Özcan heute bedauert.

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Denn der Mut, den Sükrü Özcan im Gespräch mit Heynckes gezeigt hat, verfliegt schnell, als es ans Eingemachte geht: Ganz alleine von Stockach nach München ziehen? Ohne die Eltern? Die Lehre als Mechaniker abbrechen? „Damals hatten die jungen Spieler noch keine Berater oder Manager, die ihnen zur Seite standen. Ich war völlig alleine mit dieser Entscheidung“, sagt Özcan.

Mutter freut sich

Die Mutter ist glücklich, als der Bub nicht alleine in die Großstadt zieht, doch der große Traum vom Profifußball war damit vorbei. „Fußball war damals alles für mich“, meint der heute 48-Jährige, der als kleiner Junge von Anatolien nach Deutschland gekommen war und sich durch den Sport schnell zurecht fand in der neuen Welt.

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Mit dem Fußball als Integrationsbeschleuniger. Zuerst als Straßenkicker in der Wohnsiedlung, dann beim VfR Stockach und später beim damaligen Aushängeschild im Bezirk Bodensee, dem SC Pfullendorf, der auf den ehrgeizigen Nachwuchskicker aufmerksam wird. Bei den Linzgauern schafft er es in die südbadische Auswahl und spielt dort zusammen mit dem späteren Dortmunder Stürmerstar Heiko Herrlich, der „damals ultra-lange Haare hatte und wüsten Heavy-Metal hörte“, wie sich Öczan erinnert. Als der SCP ihm Ende der 1980er Jahre einen Amateurvertrag anbietet und später dann sogar der FC Bayern anklopft, scheinen alle Wünsche von Sükrü Özcan in Erfüllung zu gehen. Doch der Profitraum ist ein kurzer – mit bekanntem Ende.

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Aber auch bei den Amateuren läuft nicht alles reibungslos für ihn. Nach einer Saison beim SC Pfullendorf bremst ihn ein Knorpelschaden im Knie aus. Eine Operation bringt nicht die erhofften Fortschritte. Kaum hat die aktive Fußball-Karriere von Sükrü Özcan begonnen, scheint sie auch schon am Ende. Doch der Mittelfeldspieler kämpft sich zurück, zeigt beim Weg zurück die gleichen Eigenschaften, die seinem großen Vorbild Lothar Matthäus auf dem Platz zu eigen waren: eiserner Wille und unermüdlicher Einsatz. „Ich war nicht wie viele meiner Landsleute der verspielte Techniker, der am Ball alles konnte. Das habe ich durch Kondition und Motivation wettgemacht“, sagt Öczan, der türkische Fußballer mit teutonischer Selbstdisziplin.

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Endgültig eingedeutscht wird Özcan Anfang der 1990er Jahre bei den Aktiven des FC Singen 04. Ein Mitspieler hat Mühe, sich seinen türkischen Vornamen zu merken. So wird aus Sükru der „Sigi“, der auch heute noch in Singen für den Fußball aktiv ist. Beim Türkischen SV seit 2016 als Teammanager, nachdem er dort drei Jahre zuvor schon sein Glück als Trainer versucht hatte. „Damals hat das nicht so gepasst“, gesteht Özcan ein. „Was ich als Spieler in der Oberliga von mir selbst verlangt hatte, war ein paar Klassen tiefer wohl zu viel.“ Jetzt kümmert er sich um das Bezirksliga-Team des TSV, mit der gleichen Energie und dem gleichen Ehrgeiz, den er auch als Spieler an den Tag gelegt hat.

„Wer Leistung bringt, darf dafür auch entlohnt werden. Das ist nichts Verwerfliches.“
Sükrü Özcan, Teammanager des TSV Singen

Wenn es um das viel diskutierte Thema Geld im Amateurfußball geht, hat er eine klare Meinung. „Wer Leistung bringt, darf dafür auch entlohnt werden. Das ist nichts Verwerfliches. Der Einsatz muss aber passen. Ich kann mich heute überall blicken lassen, wo ich früher gespielt habe, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben“, sagt Özcan, der kein Verständnis hat für junge Spieler, die beim ersten Gespräch gleich Forderungen stellen. „Dann ist das Treffen schnell beendet“, stellt er klar. „Bei uns haben nur Spieler eine Chance, die sich in den Dienst des Vereins stellen. Wie Marcel Simsek, der nicht nur Leistung auf dem Platz, sondern auch darüber hinaus bringt.“

„Sigi ist ein ganz toller Mensch, den du jederzeit anrufen kannst, der immer für Dich da ist.“
Marcel Simsek, Spieler des TSV Singen
Marcel Simsek.
Marcel Simsek. | Bild: Waibel, Markus

Simsek, der Topstürmer der Bezirksliga Bodensee, nimmt das Lob an wie in anderen Zeiten den Ball, passt aber gleich zurück: „Sigi ist ein ganz toller Mensch, den du jederzeit anrufen kannst, der immer für Dich da ist. Wenn es sein muss, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche“, meint Simsek und legt nach: „Für den Fußball macht er alles.“ Na ja, fast alles, außer alleine in die Großstadt zu ziehen – zum Glück für den TSV Singen.