Natürlich hat Felix Eiermann in den vergangenen Wochen der Fußball gefehlt, der Ärger nach einem verlorenen Zweikampf, die Freude über einen erfolgreichen Torschuss, der Geruch von frisch gemähtem Gras. Natürlich hätte sich der Reichenauer lieber mit seinen Kumpels auf dem Platz getroffen, als von der Couch aus eine Netflix-Serie nach der anderen zu schauen oder schon wieder ein Buch zu lesen.
Und doch bleibt der 27-Jährige im Gegensatz zu vielen andern ganz gelassen, wenn er auf die Corona-Pandemie angesprochen wird. „Klar ist das eine blöde Situation“, sagt er dann, „doch wir müssen sie so akzeptieren, wie sie ist. Es kommen wieder andere Zeiten.“ Wer sollte es besser wissen als er, denn Felix Eiermann hatte seine ganz persönliche Zwangspause vor zwei Jahren.
Schon damals, als kein Virus die Menschen bedroht, geht es für ihn um Leben und Tod. Ein Stück weit rettet ihn der Sport.
Felix Eiermann spielt schon immer Fußball bei der SG Reichenau, wie seine jüngeren Brüder Mika und Magnus. In der ersten Mannschaft beackert er in der Bezirksliga die Außenbahn, früher offensiv, jetzt als Verteidiger. In der Vorbereitung auf die Saison 2018/19 stimmt allerdings etwas nicht.
Der Dauerläufer fühlt sich nicht gut, ist schnell müde, hat Schmerzen im linken Arm, verliert Gewicht. Zunächst ignoriert er die Warnzeichen. „Ich hab nur gedacht: Du bist jung, was soll schon sein?“, erinnert er sich.
Als es über wenige Wochen aber nicht besser wird und er dann doch zum Arzt geht, bekommt er die niederschmetternde Diagnose: Lymphom, ein Tumor in einem Lymphknoten, umgangssprachlich als Lymphknotenkrebs bezeichnet.
Bewegende Szenen im Team
Mit als Erste erfahren es seine Mitspieler. „Am Tag der Diagnose bin ich abends ins Training und habe der Mannschaft gesagt, was Sache ist. Das ist schließlich mein engster Freundeskreis“, erklärt Felix Eiermann.
Die Kumpels reagieren bestürzt, doch „ich habe ihnen gleich gesagt, dass das gut zu therapieren ist, dass aber auch eine Chemotherapie bevorsteht“. Spieler und Trainer stehen am Ende der Einheit im Kreis zusammen, sprechen sich Mut zu und nehmen sich in die Arme – dann beginnt für Felix Eiermann im August 2018 die Chemotherapie.
Sechsmal fährt er nach Freiburg in die Uniklinik. Fünfmal für eine Woche, einmal drei Wochen am Stück. „Dann war‘s weg. Alles erwischt“, erzählt der heute 27-Jährige, dem nach der Behandlung ein langer, harter Wer zurück ins Leben bevorsteht. Der Tumor ist zwar aus seinem Körper, mit ihm aber auch die einstige Kraft. Frische Energie tankt Eiermann in der schlimmsten Phase seines Lebens – wie immer eigentlich – beim Fußball.
Auch während der Therapie sitzt er, wenn möglich, bei Heimspielen am Spielfeldrand. Den kahlen Kopf unter einer Kappe, im Gesicht ein Lächeln. „Die Momente mit meinen Freunden haben schon sehr geholfen. Ich wollte einfach dabei sein, habe auch mal eine halbe Stunde beim Training zugeschaut“, sagt Eiermann.
Die Mannschaft erwidert die Zuneigung für den kranken Kämpfer, schenkt ihm sein Trikot mit der Nummer 11, darauf alle Unterschriften. Seine Brüder legen ihm an Weihnachten einen hochwertigen Ball unter den Baum. Er selbst kauft sich neue Schuhe und googelt, welche Profis sein Schicksal teilten und zurückkamen auf den Platz. Der Fußball gibt Felix Eiermann Halt.
Einen Halt, den er dringend brauchen kann. Wochenlang liegt er erschöpft zuhause. In dieser Zeit steckt nur an guten Tagen die Kraft in seinem Körper, um ein paar hundert Meter am See zu spazieren. Und doch richtet er in seinem Kopf bereits alles auf das Comeback aus.
„Ich wusste, dass es keinen anderen Weg gibt. Ich habe mich von Tag zu Tag gehangelt, aber da musste ich durch“, sagt er heute, „es war ein bisschen wie jetzt in der Coronazeit. Hart, aber irgendwann ist es vorbei.“
Im Frühjahr 2019 geht es dann endlich langsam bergauf. Anfangs kickt der viel zu junge Mann bei den alten Herren. Hauptsache einen Ball an den Füßen. Dann die ersten Einheiten mit der Bezirksliga-Mannschaft, bei denen er sich anfangs übernimmt und ein paar Tage zur Regeneration benötigt.
Am 26. Mai ist es dann soweit. Den Klassenverbleib haben die Reichenauer sich gesichert, da wechselt Trainer Rolf Blum den so lange vermissten Außenspieler kurz vor Schluss gegen den SV Mühlhausen ein. „Alle haben sich riesig gefreut und geklatscht, als ich reinkam“, sagt Felix Eiermann über die Situation, an die er sich immer erinnern wird: „Der gehört zu den schönsten Momenten in meinem Leben.“
Dass die Geduld in den langen zähen Stunden sich gelohnt hat, weiß er, als alle nach dem 2:1-Sieg zusammensitzen. Wie immer. „Einfach schön!“, sagt Felix Eiermann. „Da habe ich gewusst: ich hab‘s hinter mir.“

Nie zuvor war er länger außer Gefecht gewesen, in mehr als 250 Spielen stand er auf dem Platz, als plötzlich diese schier unendliche Leidenszeit begonnen hatte. „Ich habe mir immer gesagt: Das ist wie eine lange Verletzung“, erzählt er heute.
Und ganz ähnlich nimmt er die aktuelle Corona-Situation an, die just in dem Moment hereinbrach, als Felix Eiermann endlich wieder annähernd bei hundert Prozent war.
Nachdem er unzählige Nächte in Krankenbetten verbracht hat, ist es für ihn umso unverständlicher, wie leichtfertig manch einer mit der Pandemie umgeht. „Auch ich kenne viele Leute, die es anfangs eher auf die leichte Schulter nahmen“, sagt Eiermann, der selbst zwar nicht zur Risikogruppe zählt, aber weiß, dass „Krankenhäuser und Pflegeheime ziemlich am Limit sind, da es an Personal fehlt und alle stark belastet sind“.
Daher appelliert er: „Man muss den anderen zuliebe rücksichtsvoll sein und sich den Maßnahmen entsprechend verhalten, denn nur so kommen wir schnellstmöglich aus dieser Situation heraus.“
„Der Sport kommt ja wieder“
Inzwischen lenkt ihn sein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens an der HTWG wieder vom fehlenden Fußball ab. Gerade schreibt Felix Eiermann seine Abschlussarbeit. „Ich habe mich zwar schon immer beim Sport am wohlsten gefühlt, aber es gibt wichtigeres als Fußball, gerade in dieser Zeit. Der Sport kommt ja wieder“, sagt der Reichenauer. „Wir müssen jetzt abwarten und die Situation akzeptieren. Mehr kann man momentan nicht tun.“
In gewisser Weise ist sein persönliches Fazit stellvertretend für das hoffentlich nahe Ende der Pandemie. „Es ist zwar nicht alles hundertprozentig wie vorher“, sagt Felix Eiermann, „es ist aber trotzdem gut.“ Und natürlich ist auch bald der Fußball wieder zurück. Der Ärger nach einem verlorenen Zweikampf, die Freude über einen erfolgreichen Torschuss, der Geruch von frisch gemähtem Gras.