Zehn Menschen sind in den letzten fünf Jahren auf dem Wanderweg zwischen dem Aescher und dem Seealpsee zu Tode gestürzt. Der Weg zwischen dem weltbekannten Berggasthaus im Fels und dem idyllischen Bergsee erfreut sich bei Touristen trotz der vielen Unglücke einer ungebrochenen Beliebtheit. Jeden Tag wandern mehrere hundert Gäste vom Aescher zum Seealpsee hinunter. Angelockt durch zahllose Posts auf Instagram, Facebook und Tourismus-Werbung auf der ganzen Welt.

Bei Wanderern und Gästen wurden nach den letzten Unglücken jedoch Forderungen laut, den Weg mit baulichen Maßnahmen zu sichern und die gefährlichsten Stellen zu entschärfen. Nun hat Ruedi Spiess, Wanderwegexperte aus Bern, den baulichen Zustand des Wegs analysiert. Er hat mehrere tausend Kilometer Wanderwege im Auftrag diverser Tourismusregionen und Kommunen auf ihre Sicherheit und Qualität überprüft und führt Kurse für Bau- und Unterhalt von Wanderwegen durch.

Weltbekanntes Fotomotiv: Das Berggasthaus Aescher.
Weltbekanntes Fotomotiv: Das Berggasthaus Aescher. | Bild: Raphael Rohner/St. Galler Tagblatt

Die Häufigkeit der tödlichen Unfälle zwischen Aescher und Seealpsee haben den Wanderwegexperten stutzig gemacht. Vor zwei Wochen stürzten an ein und derselben Stelle gleich zwei Wanderer in den Tod. Die letzten Jahre kam es immer wieder zu Unfällen und Abstürzen mit Todesfolge. „Wenn so oft Unglücke passieren, kann das nicht allein Schuld der Wanderer sein. Da muss mehr dahinter stecken“, sagt Spiess.

„Stolperfallen“ auf Wanderweg

Er hat jede einzelne Passage des Wegs zwischen Aescher und Seealpsee analysiert und ist zum Schluss gekommen: „Wenn ich einzelne Passagen dieses Wanderwegs genau betrachte, sehe ich sofortigen Handlungsbedarf. Da müssen einige Stolperfallen sofort aus dem Weg geräumt werden.“ Auf seinen Zertifizierungstouren hat Wanderwegexperte Spiess immer eines im Blick: „Ich schaue mir die Wanderwege immer aus der Sicht der Wanderer an und überprüfe die Gefahr für ungeübte Wanderer – wie sie auf dieser Strecke oft unterwegs sind.“

Spiess überprüft den Wanderweg und sagt: „Die baulichen Vorgaben für einen sicheren Wanderweg erfüllt der Weg vom Aescher zum Seealpsee teilweise nicht“, sagt Spiess. Das Grundregelwerk zum sicheren Bau von Wanderwegen in der Schweiz vom Bundesamt für Straßen (Astra) zeigt, wie Bergwanderwege baulich abgesichert werden sollten, insbesondere in der Nähe besonderer touristischer Hotspots.

Zielpublikum des Weges ist entscheidend

Im Leitfaden „Gefahrenprävention und Verantwortlichkeiten auf Wanderwegen“ vom Bundesamt wird explizit auf die Situation, wie sie zwischen Aescher und Seealpsee ist, eingegangen: „Der Ausbaugrad eines Weges wird unter anderem auch durch die Benützungsfrequenz und das Zielpublikum bestimmt. Diesen Faktoren ist unter gewissen Umstän­den auch bei der Gefahrenprävention angemessen Rechnung zu tragen, na­mentlich bei der Beurteilung der Sicherung absturzgefährlicher Stellen so­ wie des Schutzes vor Naturgefahren und saisonalen Gefahren.“

Spiess fügt an: „Der Wanderweg weist viele Stolperfallen, wie lose Steine, herausragende Armierungseisen und lose Tritt-Elemente auf, die zu schweren Unfällen führen können. Der Zahn der Zeit hat den baulichen Massnahmen deutlich zugesetzt, gerade auf der Wegpassage, wo es wenige Meter nebenan rund hundert Meter in die Tiefe geht. Da läuft es mir kalt den Rücken hinunter.“

Der Unterschied zwischen „gelb“ und „weiß-rot-weiß“

Warum ausgerechnet beim Warnhinweis beim Berggasthaus Aescher fälschlicherweise ein Wegweiser mit der gelben Beschilderung „Wanderweg“ hängt, ist eine Frage, die auch den Wanderwegexperten beschäftigt: „In diese Richtung müssten die Überlegungen der örtlichen Behörden eigentlich gehen: den Weg baulich zu entschärfen und zu einem harmlosen gelben Wanderweg zu machen.“ Spiess sieht jedoch auch, dass das falsche Verhalten und die Unwissenheit einiger Wanderer Probleme seien, die die Verantwortlichen ins Auge fassen müssten.

Viele Stellen seien trotz der Kritik gut gebaut und gepflegt. Viele Probleme liegen jedoch im Detail. Die Wenden bei Dürrschrennen, oberhalb der Felswand, wo kürzlich zwei Wanderer zu Tode gestürzt sind, seien besonders gefährlich: „Hier liegen teils einfach Gleisstücke als Tritte im Weg und die Anordnung der Sicherungsseile ist ungenügend.“

Sicherungsseile gibt es – doch nicht überall und ein Experte kritisiert ihre Platzierung.
Sicherungsseile gibt es – doch nicht überall und ein Experte kritisiert ihre Platzierung. | Bild: Raphael Rohner/St. Galler Tagblatt

Spiess ergänzt: „Die Talseite weist gar keine Sicherungen vor und den Abgrund hinter den Bäumen nimmt niemand wahr. Hier gehört ein Zaun hin, wie es in den baulichen Vorgaben vom Bundesamt steht.“

Auch seien die Tritte an mehreren Orten mehr Stolperfalle als Hilfe. Man könne dies einfach verbessern, indem man sie entferne oder entschärfe. „Ein Ansatz könnte sein, die Löcher mit festem Material aufzufüllen, wie es von der Bergstation der Ebenalp zum Aescher gemacht wurde, und hervorstehendes Material wie Eisenstangen und loses Material entfernen.“

Weg von der Ebenalp zum Aescher wurde bereits entschärft

Im Leitfaden des Bundesamtes für Straßen von 2017 heißt es klar, dass die zuständigen Behörden den Ausbaugrad ihrer Wanderwege der Benützungsfrequenz und dem Zielpublikum anpassen müssen. Insbesondere in der Umgebung von Bergbahnen.

Vor Jahren wurde deshalb der Wanderweg von der Ebenalpbahn zum Aescher baulich überarbeitet und mit Feinmaterial die Stolperfallen auf dem Weg zum Aescher entschärft. Davon ist man auf dem Weg vom Aescher zum Seealpsee noch weit entfernt.

Schildern machen am Bergwanderweg Aescher – Seealpsee auf Gefahren aufmerksam.
Schildern machen am Bergwanderweg Aescher – Seealpsee auf Gefahren aufmerksam. | Bild: Raphael Rohner/St. Galler Tagblatt

Der ressortverantwortliche Bezirksrat des Bezirks Schwende-Rüte und Bergwirt der Meglisalp, Sepp Manser, will trotz der Kritik der Touristen und des Experten an der Art und Weise des Weges festhalten: „Natürlich ist jeder Unfall auf unseren Wanderwegen ein Unfall zu viel. Doch soll dieser Bergwanderweg meiner Meinung nach ein Bergwanderweg bleiben. Betonieren kommt schon gar nicht in Frage. Dagegen wehre ich mich vehement.“

Bergwanderwege? „Sind halt einfach nicht leicht“

Es sei dem Bezirksrat ein Anliegen, den Weg sicherer zu machen, doch seien Geländer an den kritischen Stellen vorerst keine Option: „Wenn wir diesen Weg so absichern, werden die Touristen am Ende noch denken, alle Bergwanderwege im Alpstein wären so leicht zu begehen – und das sind sie halt einfach nicht.“

Als Sofortmaßnahme wurde das hohe Gras am Wanderweg gestutzt, damit die Wanderer besser erkennen, dass es wenige Meter neben dem Weg ins Nichts geht. „Wenn die Wanderer Tiefblick haben, passen sie offensichtlich besser auf“, sagt Manser, der auch Präsident des Appenzeller Tourismusverbands ist. Er zieht den Vergleich mit dem Bergwanderweg über den Lisengrat: „Auch dort fährt die Säntisbahn in unmittelbarer Nähe und es passiert eigentlich nie etwas, weil sich die Wanderer der Gefahr sichtlich bewusst sind.“

Manser sagt, man habe den Bergwanderweg zwischen dem Aescher und dem Seealpsee 2004 vom Bund begutachten lassen – lange vor dem Instagram-Hype – und man prüfe seinen Zustand so häufig wie kaum eine andere Strecke im Alpstein. „Erst drei Tage vor den letzten Unfällen wurde der Zustand des Bergwanderwegs geprüft.“

Weg wird auf der ganzen Welt beworben

Das touristische Frequentieren ist ein Grund, dass diesem Wanderweg eine einzigartige Position im Alpstein zuteilwird: Er verbindet zwei touristische Hotspots, mit denen unter anderem Schweiz Tourismus auf der ganzen Welt wirbt. Spiess fragt sich: „Dieser schweizweit einzigartige Umstand muss bei den Verantwortlichen doch zu einem Umdenken führen.“

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Denn auch juristisch dürfte diese Ausgangslage eine besondere Herangehensweise an die Aufarbeitung der vergangenen Unglücke verlangen. Im Leitfaden des Bundesamts für Verkehr ist klar beschrieben, wie die strafrechtliche Ausgangslage ist: „Bestehen Anzeichen dafür, dass ein Weg ungenügend gesichert war, wird die Staatsanwaltschaft von Amtes wegen eine Strafuntersuchung einleiten und näher prüfen, ob der Tatbestand der fahrlässigen Tötung oder schweren Körperverletzung erfüllt ist.“

Eine Anfrage bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Innerrhoden blieb bis Erscheinen dieses Textes unbeantwortet.

Entscheidung am 18. August

Der Bezirksrat will am 18. August mögliche Maßnahmen auf der Strecke besprechen. Ebenso soll ein Expertenteam die Strecke in nächster Zeit noch einmal unter die Lupe nehmen und die Sicherheit überprüfen. Den Zeitpunkt dieser Begehung kann Bezirksrat Manser noch nicht nennen. Den Weg jetzt, während der Hauptsaison, zu sperren, sei aber kein Thema, sagt Manser klipp und klar.

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Spiess versteht das zögernde Handeln der Behörden nicht: „Es geht hier um nichts Geringeres als um Menschenleben. Da muss es doch im Interesse der Verantwortlichen sein, als Sofortmaßnahmen die gefährlichen Stolperfallen zu beseitigen.“ Die Aussagen des verantwortlichen Bezirksrats sorgen beim Wanderwegexperten für Kopfschütteln: „Diesen Wanderweg nicht im Kontext der großen Besucherzahlen zu beurteilen und einfach weiterzumachen wie bisher, ist nach meinem Verständnis fahrlässig – diplomatisch ausgedrückt.“

Er fügt hinzu: „Es fragt sich, ob es nicht sinnvoll wäre, zum Wohle der – notabene zahlenden – Kundschaft, den Weg soweit baulich zu entschärfen, dass den Touristen nicht nur eine wunderschöne Landschaft, sondern auch ein sicherer Wanderweg angeboten wird.“