„Die Lage in dieser Nacht war angespannt.“ Die Polizei sei auf der Suche nach dem Feuerteufel mit einem Großaufgebot – auch mit zivilen Einsatzkräften – in der Stadt Kreuzlingen unterwegs gewesen. „Sie wussten da noch nichts über das Motiv des Urhebers der verschiedenen Brände. Handelte es sich um Streiche von Jugendlichen oder gar um Terrorismus?“

In diesen dramatischen Worten umschreibt der Staatsanwalt am Montag vor dem Bezirksgericht die Situation für die Blaulichtorganisationen in der Nacht auf den 16. November 2021. Um 1.30 Uhr hatten an der Löwenstrasse beim Eingang eines Mehrfamilienhauses zwei Abfallsäcke gebrannt. Eine Stunde später fackelte an der Tankstelle an der Weinstrasse ein Tesla an einer Ladesäule komplett ab. Nochmals knapp eine Stunde später brannte in der Tiefgarage des Einkaufszentrums Seepark eine Europalette.

Das könnte Sie auch interessieren

Der Brandstifter war aber weder Jugendlicher noch Terrorist. Es war ein 57-jähriger Mann mit einer psychischen Krankheit. Der Angeklagte leidet an einer bipolaren Störung, durchlebt manische und depressive Phasen. Im März 2023 steht er vor dem Bezirksgericht Kreuzlingen, welches ihn für diese und weitere Taten zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Ein Gutachten hatte ihn trotz Einschränkung als urteilsfähig eingestuft.

Angeklagter kann seine Taten selbst nicht nachvollziehen

Im Gefängnis absitzen wird er die Zeit aber wohl nicht müssen. Seit ihn die Polizei am Morgen nach der Brandnacht ausfindig machen und in Gewahrsam nehmen konnte, befindet sich der Mann nicht mehr auf freiem Fuß. Seit einem Jahr ist er bereits in einer stationären Behandlung in einer Einrichtung im Kanton Zürich im vorzeitigen Maßnahmenvollzug. Das Gericht schiebt die verhängte Freiheitsstrafe zugunsten dieser Maßnahme auf.

Zwei Polizisten bringen den Angeklagten von dort zur Gerichtsverhandlung. Der Beschuldigte, ein unscheinbarer, kleiner Mann mit angegrauten Haaren, sitzt im Kapuzenpullover da. Er sieht aus, als könne er keiner Fliege etwas zuleide tun. Doch er hat noch ein anderes Ich: „In diesen Phasen verliere ich den Realitätsbezug.“ So versucht er, der geständig und reuig ist, der Gerichtspräsidentin sein Handeln zu erklären. Aber eigentlich kann er seine Taten aufgrund seiner Krankheit selber nicht nachvollziehen.

Das könnte Sie auch interessieren

Bei den ersten fünf der insgesamt neun Taten, die ihm vor Gericht zur Last gelegt werden, handelt es sich um falsche Alarme, etwa in der Psychiatrischen Klinik in Münsterlingen. Er sei dort wütend gewesen, fühlte sich schlecht behandelt, verlangte mehr Beachtung. Im Notfall des Kantonsspitals Münsterlingen löste er nicht nur Alarm aus, sondern entleerte auch einen Feuerlöscher. Er veranlasste mehrere Male Feuerwehr und Rettungsdienste zum Ausrücken, hielt so auch Pflegepersonal von dringenden Notfällen ab. Im Parkhaus Bahnhof Winterthur zündete er eine Tasche mit Papier an.

Brandstiftungen führten zu hochgefährlichen Situationen

Dann kam die Nacht des 16. November. Nach dem Anzünden zweier Abfallsäcke bei einem Hauseingang meldete der Mann den Brand in einer Bar. Während von dort zwei Personen los eilten, um das Feuer zu löschen, sah er selber dabei noch zu. Katastrophale Folgen hätte diese Zündelei haben können, hätte sich das Feuer ausgebreitet und den schlafenden Bewohnern den Fluchtweg versperrt, erklärt der Staatsanwalt.

Der brennende Tesla sei nur zufällig von Drittpersonen bemerkt worden. Ein Übergreifen auf die Tankstelle hätte verheerende Folgen haben können. Auch so bleibt bei dieser Tat ein Schaden von fast 200.000 Franken zurück. Und auch die brennende Palette in der Seepark-Garage – neben einem Holzlager – hätte ein schlimmeres Ende nehmen können.

Das könnte Sie auch interessieren

Er habe seine Medikamente damals nicht mehr regelmäßig eingenommen, erklärte der Angeklagte auf Nachfrage der Richterin. „Wenn es einem gut geht, denkt man, man braucht sie nicht mehr.“ Mittlerweile sei er aber wieder gut „eingestellt“. Die Therapie schlage an. Er sei jetzt ein ganz anderer Mensch, attestiert ihm sogar der Staatsanwalt.

Sein Ziel, einst ein Leben in gänzlicher Freiheit zu führen, bleibt aber wohl unerreichbar. Eine bipolare Störung gelte als nicht heilbar, sagt die Gerichtspräsidentin. Aber in der Therapie erhalte er nun das Rüstzeug für ein späteres adäquates Leben ohne Gesetzeskonflikte außerhalb der Maßnahmenstation.

Urs Brüschweiler arbeitet für die „Thurgauer Zeitung“, unsere Partnerzeitung.