Vor dem Gerichtssaal wartet der Angeklagte mit seinem Anwalt und seiner Übersetzerin. Ebenfalls im Raum sind die Anwältin der Klägerin und die Staatsanwältin. Die Luft ist dick im Vorzimmer, es wird nicht viel geredet. Was offensichtlich ist: Das Opfer wird nicht erscheinen. Zu hoch wäre die psychische Belastung durch die Gerichtsverhandlung, führt die Verteidigung später während des Prozesses aus. Und doch dreht sich alles um sie an diesem Morgen, und um ihren Ehemann, der sie vergewaltigt, bedroht, beschimpft und am Arm und Kiefer gepackt haben soll.
2011 heiratete das Paar. Elf Jahre waren sie zusammen, bevor die Frau die Scheidung einreichte. Ihr Mann kontrollierte sie zu stark, machte gegen ihren Willen Ton- und Bildaufnahmen von ihr, bis ihr alles zu viel wurde. Sie lebten nach der Trennung weiterhin im gleichen Haus, die Situation stellte für sie eine große psychische Belastung dar. Dann, am 24. Juni 2022, kam es zum sexuellen Übergriff, heißt es in der Anklageschrift.
Verteidigung kritisiert Abwesenheit der Klägerin
Doch an der Verhandlung am Bezirksgericht in Laufenburg wird auf den Tathergang nicht mehr eingegangen. Es ist der zweite Gerichtstermin, bereits beim letzten Mal war die Frau abwesend. Nach den Formalitäten ergreift die Verteidigung des Mannes das Wort. Das Nichterscheinen der Klägerin und das Vorgehen des Gerichts hätten zu erheblichen Verfahrensmängeln geführt und dieses müsse somit eingestellt werden. Forderung: Freispruch.
Die Staatsanwaltschaft sehe keine Mängel im Verfahren, auch ein Freispruch sei unzulässig, erwidert sie. Man halte am Vorgehen fest. Auch der Gerichtspräsident äußert sich kritisch zu den Vorbehalten der Verteidigung. Zwar habe diese nicht ganz Unrecht, das Vorgehen war aber adäquat und die Verhandlung werde fortgesetzt.
Als Nächstes kommt die Anwältin des Opfers zu Wort. Der Tatvorwurf sei rechtsgenügend bewiesen. Der Ehemann habe ausgesagt, dass es in der Beziehung keine Auseinandersetzungen gab. Dies beim gleichzeitigen Einreichen der Scheidung durch seine Ehefrau. Das könne nicht ernstgenommen werden.
Das Urteil kommt überraschend schnell
Die Frau erlebte ihren Alltag als Albtraum. Das Verfahren eröffnete sie nach einem Polizeinotruf. Zudem befindet sie sich in psychiatrischer Betreuung. Sie sei jedes Mal fast zusammengebrochen beim Gedanken, vor Gericht auszusagen, schildert die Anwältin der Klägerin. Das Gericht fragt den Angeklagten, ob er sich ein letztes Mal äußern wolle, doch dieser lehnt ab. Dann bittet es die Anwesenden, den Saal zu verlassen. Es zieht sich zur Urteilsbesprechung zurück.
Dabei geht es nicht um die Frage, ob die Frau das erlebt hat, was sie geschildert hat. Es geht nur darum, dass sie nicht da war. Sie konnte ihre Geschichte nicht selbst vortragen, das Gericht nicht persönlich von der Wahrheit ihrer mutmaßlichen Erlebnisse überzeugen.
Das Gericht hat entschieden. Das Verfahren zur Beschimpfung wird eingestellt. Der Beschuldigte wird von den Vorwürfen der Vergewaltigung und Drohung freigesprochen. Er erhält keinen Landesverweis.
Das Gericht hätte bei beiden Verhandlungen dafür gesorgt, dass die psychische Belastung des mutmaßlichen Opfers so klein wie möglich gehalten worden wäre, begründet der Gerichtspräsident das Urteil. Das Gericht konnte in diesem Fall seiner Aufgabe der Rechtsprechung nicht nachkommen. Dem Angeklagten konnten grundsätzliche Verfahrensrechte nicht gewährt werden. Da es daher noch immer Zweifel an der Schuld des Angeklagten gebe, gelte der Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten. Trotzdem hoffe das Gericht, dass der Täter selbstkritisch sei.
Der Autor schreibt für die „Aargauer Zeitung“. Dort ist der Beitrag zuerst erschienen.