Unsere Sehgewohnheiten haben sich in den vergangenen Jahren dramatisch geändert – jetzt ziehen die Museen in unserer Region nach. Gleich an mehreren Orten werden Ausstellungskonzepte reformiert und sogar ganze Gebäude neu errichtet.
Spektakulärer Rundbau
Das wohl spektakulärste soll bis 2021 an der Konstanzer Schänzlebrücke gegenüber dem Bodensee-Forum entstehen. Der vom Architekten Matthias Sauerbruch konzipierte Rundbau wird eine Höhe von rund 50 Metern erreichen und dabei fast nur ein einziges Bild beherbergen: ein 360-Grad-Panorama der Stadt Konstanz im ersten Jahr seines Konzils, 1414.
Der Künstler Yadegar Asisi ist auf solche Projekte spezialisiert, vergleichbare Werke sind bereits in Leipzig, Dresden und Pforzheim zu besichtigen. Dort dienten ihm jeweils altgediente Gasometer als Behältnisse.
Dass hingegen in Konstanz ein ähnlicher Rundbau erst errichtet werden muss, hatte eine intensive Debatte im Gemeinderat zur Folge. Man tut sich in dieser geschichtsträchtigen Stadt grundsätzlich nicht leicht mit Veränderungen. Im Fall Asisi-Panorama galten die Befürchtungen einer möglichen Verschandelung der Gegend, einem übermäßigen Tourismus und einem fragwürdigen Kulturbegriff. Es gehe mehr um Show als um Bildung, so lautete ein im Vorfeld oftmals geäußerter Vorwurf.

Wie aber vermittelt sich Bildung in digitalen Zeiten? Beim Fasnachtmuseum Schloss Langenstein bei Orsingen im Hegau hat man die Erkenntnis erlangt, dass sich die Voraussetzungen drastisch geändert haben. „Die Leute sind nicht mehr bereit, lange Texte zu lesen“, sagt Museumschef Michael Fuchs: „Jeder liest im Alltag auf seinem Smartphone nur noch kurze Nachrichten. Das wirkt sich auch auf unsere Erwartungen an ein Museum aus.“
Die Digitalisierung lässt nicht nur die Aufmerksamkeit für längere Textstrecken schrumpfen. Sie gewöhnt uns auch an individuell passgenau zugeschnittene Angebote. Im Fasnachtsmuseum kann deshalb jeder Besucher anhand einer interaktiven Fasnachtsmaske selbst bestimmen, ob sein Rundgang eher informativ oder spielerisch ausfallen soll, ob Filme starten, Texte aufscheinen oder Stimmen sprechen.

„Der 14-jährige Youtuber kann seine Maske so einstellen, dass er kurze Einspielfilme zu sehen bekommt“, erklärt Fuchs: „Und der gelehrte Hochschulprofessor wird dafür mehr Lesestoff erhalten.“
Und weil auch das Thema Datenschutz heute ernster genommen werden muss als in früheren Zeiten, verrät der Besucher seine Vorlieben nicht unter Angabe seines tatsächlichen Namens. Vielmehr darf er sich hinter einem Avatar verstecken: Die interaktive Maske verleiht ihm eine künstliche Identität beispielsweise als Wiechser Hexe – ganz wie bei der Fasnacht.

Wie in Konstanz, so wird auch im Hegau das Haus komplett neu gebaut. Zu den umstürzenden Veränderungen gehören nämlich Standards wie eine behindertengerechte Ausstattung und durchgehende Öffnungszeiten über das ganze Jahr: Das bisher genutzte Schloss Langenstein mit seinen Wendeltreppen und kaum beheizbaren Räumen kann all das nicht erfüllen.
Deshalb entsteht jetzt in Kooperation mit dem Bad Dürrheimer Narrenschopf ein Holzbau von historischer Anmutung. Geld dafür kommt unter anderem vom Bund aus dessen Programm „Museum 4.0“: Die Behörde von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) will Museen damit in die Lage versetzen, auf die Digitalisierung mit neuen Technologien und Konzepten zu reagieren. Wie Asisis Panorama soll das neue Fasnachtsmuseum im Jahr 2021 eröffnen.
„Mac 2“ in Singen
Ein dritter spektakulärer Neubau feierte bereits im vergangenen Sommer seine Eröffnung: das „Mac 2“ in Singen. Mit der Eröffnung seines ersten Gebäudes ist das „Museum Art & Cars“ 2013 so etwas wie der Vorreiter einer neuen Museumskultur in unserer Region gewesen. Die enge thematische Fokussierung auf das Verhältnis von Automobil und Ästhetik, die ansprechende Architektur und die effektvolle Inszenierung der Exponate: Wie kaum ein zweites Ausstellungshaus im Südwesten verstand es das „Mac„ – dank Finanzierung durch das Stifterehepaar Gabriela Unbehaun-Maier und Hermann Maier –, den veränderten Erwartungen gerecht zu werden.
Das „Mac 2“ treibt nun mit seiner bewussten Mystifizierung der gezeigten Automobile, mit seinen Video- und Lichtinstallationen wie auch mit seiner mondänen Architektur die bewährte Strategie auf die Spitze. Für das primär an Kunst interessierte Publikum ist dieses Ambiente mindestens gewöhnungsbedürftig. Autoliebhaber aber kommen dafür auf ihre Kosten.
Die Sehgewohnheiten ändern sich und mit ihnen unsere öffentlichen Kulturinstitutionen. Wer mit digitalen Technologien fremdelt und die guten alten weißen Räume mit langen Erklärstücken zur Reihenhängung schätzt, für den dürften schwere Zeiten anbrechen. Ihm bleibt dann nur noch eins übrig: seinem interaktiven Avatar ein möglichst konservatives Museumsverständnis beizubringen.