Die industrielle Landwirtschaft von heute pro­duziert Lebensmittel so günstig, dass sie beinahe schon nichts mehr wert sind. Das ist gut für den Geldbeutel des Verbrauchers, nur sind die Kehrseite dessen überdüngte Böden und Nitrat im Grundwasser. Zudem führt unsere postindustrielle Wegwerfmentalität dazu, dass in Deutschland jährlich knapp 13 Mio. Tonnen Lebensmittel im Müll landen: eine gigantische Verschwendung, von deren CO2-Bilanz man lieber nichts wissen möchte. Paradox: In früheren Zeiten erschien das Wegwerfen von Lebensmitteln als Sünde, während heute jeder, der beim Containern erwischt wird, befürchten muss, bestraft zu werden.

Lebensmittel waren einmal ein beliebtes Motiv der Kunst – und ein Hotspot für den Augenschmaus an der Wand. Im Goldenen Zeitalter der Niederlande während des 17. Jahrhunderts. Eine frugale Mahlzeit, ein Stück Brot mit einem Glas Wein schon konnte damals das kunstsinnige Auge erfreuen. Beliebt waren Früchtestillleben mit Weintrauben, Pfirsichen und exotischen Früchten. Im Ruf der Königsdisziplin aber stand das Prunk­stillleben, das dem Auge aufwendig inszenierte Delikatessen wie Hummer oder Austern kredenzte.

Ins Riesige gewachsen

Eine hohe Wertschätzung für die Dinge und zumal für Lebensmittel drückt sich in solcher Bildwürdigkeit aus. Dass Stillleben dieser Art heute selten geworden sind, erzählt dagegen eher vom Gegenteil. Da will es schon etwas heißen, dass die Malerin Karin Kneffel ausgerechnet mit Früchtestillleben ihren internationalen Durchbruch schaffte. Und vielleicht mussten ihre Bildformate ins Riesige wachsen, um überhaupt die gebührende Aufmerksamkeit zu finden.

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So steht der Besucher im Museum Frieder Burda in Baden-Baden plötzlich vor einem sieben Meter hohen Gemälde. Jeder Pfirsich im Laub auf dem turmhoch aufragenden Bild hat die Maße eines Medizinballs. Ähnlich dimensioniert sind die in den Ästen prangenden Äpfel eines noch größeren Gemäldes – oder die im XXL-Format gemalten Weintrauben eines dritten Bildes. Groß wie Luftballons hängen die Beeren an den Stielen.

Mit Gemälden dieser Art machte sich Karin Kneffel in den Neunzigerjahren in­ternational einen Namen. Das Blow-up, die stark vergrößerte Darstellung eines Bildmotivs ist in der zeitgenössischen Malerei ein beliebtes formales Mittel. Bei der an der Düsseldorfer Kunstakademie Malerei lehrenden Künstlerin hat es zudem eine inhaltliche Bedeutung.

Surreale Note

Bei aller Perfektion und altmeisterlichen Naturtreue gewinnen Kneffels Gemälde in der Monumentalität der Darstellung nämlich eine unheimliche, geradezu surreale Note. Angesichts der Riesen­formate fühlt sich der Be­trachter zur Ameise geschrumpft. Unwirklich, entrückt erscheinen ihm Kneffels Plantagen-Früchte, im Glanze ihrer immergleichen Perfektion in Farbe und Form wie geklont und EU-genormt, wie der Genschere CRISPR entsprungen. Auch die verschiedenfarbigen Beeren einer Traube eines Bilds zeugen nicht etwa von unterschiedlichen Reife­graden. Sie sind vielmehr das Siegel des Unwirklichen dieser Früchte. Kneffels Trauben, Äpfel und Pfirsiche stammen gewissermaßen aus Disneyland.

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Ihre altmeisterlich anmutende Malerei ist kein bisschen altmodisch. Und sie zielt auch nicht auf leeres Virtuosentum. Als Pop Art mit anderen Mitteln vielmehr will Karin Kneffel selbst ihre Bildkunst verstanden wissen. Zu großen Teilen ist sie Malerei über Malerei – zumal die Gemälde, in denen sie sich an den berühmten Kerzenbildern von Gerhard Richter, dessen Meisterschülerin sie war, misst, Stillleben auch sie.

Und Stillleben sind in gewisser Weise auch Kneffels Interieurbilder. Mit­ spiegelnden Böden und laufenden Fernsehgeräten oder mit Filmzitaten zieht sie ihnen zusätzliche Bedeutungsebenen ein. Häufig blickt man von außen in eine ab­endlich erleuchtete Wohnung: durch angelaufene oder von Wasserperlen bedeckte Scheiben. Die Wirklichkeit dieser Bilder ist stets fast medial gebrochen.

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Das gilt auch für ihre Museumsbilder. Eine ganze Serie von Gemälden zeigt malerische Einblicke von außen in Ausstellungshäuser wie dem Lehmbruck­-Museum in Duisburg. Durch den Schleier beschlagener Scheiben gesehen driften die Kunstwelten ins Verschwommene, Diffuse, Ungreifbare ab. In einer wunderbaren Serie mit nächtlichen Gebäuden und surrealen Tulpen im Vorgarten bei irrlichternder künstlicher wie natürlicher Beleuchtung aber ist es, als träumten die Häuser – von sich selbst und den unerfüllten Sehnsüchten ihrer Bewohner. Nicht versäumen sollte man die Präsentation der ganz außergewöhnlichen Skulpturen aus Fundstücken und Textilien der 1948 geborenen Brasilianerin Sonia Gomes im Mezzaningeschoss.

Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, Baden-Baden. Bis 8. März, Di bis So 10-18 Uhr. Weitere Informationen unter: http://www.museum-frieder-burda.de