Maria Schorpp

Wird die Bodenseeregion in Superlativen beschrieben, zielt das in den allermeisten Fällen auf die Schönheit der Landschaft. Tatsächlich gibt es noch einen anderen Bereich, in dem der Touristik-Hype Spitze ist: in der Anzahl der Waffenfabriken und den entsprechenden Zuliefererbetrieben. Deutschlandweit, europaweit.

Ganz vorne dabei

Die Bestürzung, von der Annalena Küspert im Programmheft berichtet, ist leicht nachvollziehbar. Obwohl in Überlingen aufgewachsen hat die Autorin des Auftragswerks „Am Wasser“ erst nach ihrer Abwanderung nach Berlin davon gelesen. Wäre die Region, sagen wir mal, in der Textilindustrie ganz vorne mit dabei, wüssten das alle.

Hat man verfolgt, was im Voraus passiert ist, hätte man einen kleinen Skandal erwarten können. Dass der Überlinger Narrenverein das Häs seines „Hänsele“ nicht für die Inszenierung herausrücken wollte, stellt sich als nicht-fiktiver Prolog zum Stück dar. „Am Wasser“ sowie seiner Inszenierung durch Nicola Bremer liegt nicht der laute Knall am Herzen, sondern Nach- und Umdenken im Sinne der Aufklärung.

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Es ist ganz einfach: Etliche Mitglieder des Narrenvereins arbeiten bei der Rüstungsfirma vor Ort, die in der Spiegelhalle nicht so richtig beim Namen genannt wird. So auch der „Mann im Anzug“, wie er im Stücktext heißt, der Vater von Jan, der mit Saliha verbandelt ist. Man befindet sich übrigens in Unteringen.

Ralf Beckord ist „der Mann im Anzug“.
Ralf Beckord ist „der Mann im Anzug“. | Bild: Ilja Mess

Wobei ab und an ein Knall nötig ist, damit die Verhältnisse ins Rutschen kommen. Und der betrifft hier das regionale Heiligtum, den Bodensee. Der ist nämlich über Nacht so schwarz geworden wie selbige.

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Die Oberbürgermeisterin (Friederike Drews) hat Angst um die Übernachtungszahlen, die beiden Weißkittel im Labor können keine Verunreinigung finden, den Rathaus-Mitarbeiter (Thomas Ecke) juckt es nicht besonders, und manche gehen trotzdem schwimmen. Nur Gerdi (Jana Alexia Rödiger), die Oma von Saliha mit dem altersmäßig ungewöhnlichen Musikgeschmack (von Saga Björklund Jönsonn), erinnert sich, wie die Zwangsarbeiter gestorben sind, die 1944 in einem Stollen Kriegsgerät herstellen sollten, und wie die Stadt schließlich von den Alliierten in Brand gebombt wurde.

Für Menschen ab 14

„Am Wasser“ ist eine Inszenierung für Menschen ab 14 aufwärts, wobei bei der Premiere das Durchschnittsalter des Publikums gefühlt um die 60 gewesen sein muss. Weil es eigentlich ein Jugendstück ist, ist eine gewisse jugendliche Lockerheit eingewoben. So bringen die Protagonisten stets ihr Bühnenbild (von Steffi Rehberg) mit und rollen es auch wieder nach draußen. Sarah Siri Lee König und Peter Posniak sind Saliha und Jan, zwei verspielte junge Hunde, die nach dem Abitur Australien bereisen wollen. Bezahlt vom väterlichen „Mann im Anzug“. Aber da sind die Erinnerungen von Gerdi, die die Youtuberin Saliha zum Nachdenken und dabei immer weiter von ihrem Freund wegbringen.

Szene aus „Am Wasser“.
Szene aus „Am Wasser“. | Bild: Ilja Mess

Insbesondere Sarah Siri Lee König zeichnet ein imponierendes Bild von der jungen Frau, die plötzlich erkennt, dass nicht alles Spiel ist und ihren Youtube-Kanal dafür nutzt zu mobilisieren. Den Live-Videos, die wie in einem Riesenfernseher an die Wand geworfen werden, ist anzumerken, dass Regisseur Bremer mal selbst Youtuber war. Sehr überzeugend, wie sie in den Fortgang der Ereignisse eingebunden werden und diese selbst vorantreiben. Saliha wird zur Gegenspielerin vom Mann im Anzug, der immer mehr in die Defensive gerät. Ralf Beckord und Sarah Siri Lee König spielen auf Augenhöhe.

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Saliha erinnert natürlich an Greta Thunberg und an die innere Kraft derer, die sich nicht von Pragmatismen und Scheinheiligkeiten wie „Alles nur zur Verteidigung“ oder „Jemand muss es ja machen“ und dem ganzen damit einhergehenden Wohlstand einlullen lassen. Solche Menschen findet man vorzugsweise unter jungen Menschen. Und die denken radikal, wie das Stück auf seine realistische Weise auch. Es braucht nur der Zündeleien einer Art Stephen Bannon, und schon brennt es wieder.

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Ein Stück und eine Inszenierung, die das Potenzial haben, etwas in Gang zu bringen. Hoffen wir auf das junge Publikum, das kommen wird.

Nächste Vorstellungen am 17., 21. und 26. Dezember. Karten unter 07531 900 2150 oder http://theaterkasse@konstanz.de