Hanno Buddenbrook, mit neun Jahren jüngster Spross in Thomas Manns literarischer Kaufmannsfamilie, bekommt zum Weihnachtsfest 1870: ein Miniaturtheater (wohl aus Papier), ein Harmonium, ein Buch über griechische Mythologie. Es sind schöne, teure Geschenke für ein Kind dieser Zeit, und doch ist die erzieherische Absicht unübersehbar: Der Junge soll an sich arbeiten, damit ein musisch beschlagener, literarisch gebildeter Mann aus ihm wird. Dankbarkeit gegenüber den Eltern? Die garantiert das vierte Gebot.
Heute dagegen: Smartphones, Bluetooth-Boxen, kabellose Kopfhörer. Weihnachten, das ist ein Wellness-Programm zur Erholung vom Schulalltag. Das Fest gehört dem Kind, es glücklich und somit dankbar zu stimmen, ist oberstes Ziel. Allenfalls verschämt wagen es Eltern noch, einen Roman hinter der Playstation zu verstecken, ein anspruchsvolles Sachbuch oder gar nützliches Material für die Schule.
Kein Akt der Selbstlosigkeit
An der Kultur des Schenkens lässt sich der Wandel einer ganzen Gesellschaft ablesen. Denn Schenken, sagte einst der bedeutende Soziologe Pierre Bourdieu, sei nur vordergründig ein Akt der Selbstlosigkeit. Fast immer verberge sich dahinter eine strategische Absicht.

Allein die zeitliche Verzögerung zwischen einem Präsent und der zu erwartenden Gegenleistung verschleiert nach Bourdieu die Tatsache, dass hier in Wahrheit ein ganz profanes Tauschgeschäft stattfindet. Nicht umsonst ist in Politik und Wirtschaft das Geschenk stets mit dem Verdacht der Korruption verknüpft.
281 Euro wollen die Deutschen durchschnittlich in diesem Jahr fürs Frohe Fest ausgeben, der Einzelhandel erwartet einen Rekordumsatz von 102 Milliarden Euro. Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine. Welche Strategie also steckt hinter diesem stetig zunehmenden Schenkungsbedürfnis?
Flache Hierarchien
Grund Nummer eins liegt auf der Hand: In Zeiten von immer flacheren Familienhierarchien gewinnt das Geschenk an symbolischer Kraft. Bloße Blutsverwandtschaft gilt längst nicht mehr als Garant für wechselseitige Zuneigung. Mit dem Anspruch auf Selbstverwirklichung jedes Einzelnen haben familiäre Beziehungen an Verlässlichkeit eingebüßt. Das gilt sogar für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern.
Der erzieherische Gedanke ist zwar noch nicht vollends vom Gabentisch verschwunden. Es geht bei ihm aber längst nicht mehr um die Hoffnungen der Eltern. Sondern um den selbst auferlegten Erwartungsdruck des Kindes: Sportgeräte, Modeartikel und Kosmetika sollen dem Nachwuchs dabei helfen, sich selbst zu optimieren und auf dem Schulhof eine gute Figur abzugeben.
Kommunizieren durch Schenken
Grund Nummer zwei besteht im Akt des Gebens selbst. Der Soziologe Holger Schwaiger bringt ihn wie folgt auf den Punkt: „Wer schenkt, kommuniziert.“ Mag unsere Kommunikation auch auf digitalen Plattformen zunehmen – im analogen Raum findet sie immer seltener statt. Das gilt insbesondere für Familien, was neben den digitalen Ablenkungsmöglichkeiten auch in einer zunehmenden Abwesenheit durch Schul- und Arbeitsalltag begründet liegt. Der Vorgang des Schenkens zwingt zur direkten Kontaktaufnahme. Und mehr noch: Sein Gelingen zeigt uns an, dass der Draht zum Beschenkten noch nicht verloren gegangen ist.
Grund Nummer drei: Unser Anspruch auf Selbstverwirklichung lässt uns nach Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit streben. In einer durchgehend individualisierten Gesellschaft, die von Paradiesvögeln nur so wimmelt, lassen sich diese Eigenschaften allerdings nur selten zeigen. Das Schenken bietet dazu eine wunderbare Gelegenheit: Der bislang verkannte Weinkenner überrascht mit seiner Kenntnis der besten Lagen, der Schöngeist demonstriert seine Kenntnis der aktuellen Kunst- und Literaturszene. Der Gabentisch zu Weihnachten wird somit immer auch zu einer Bühne für die Schenkenden. Wer sich schon immer darüber ärgerte, als kulturell unbedarfter Technokrat zu gelten, kann mit einem raffiniert ausgewählten Präsent groß auftrumpfen.
Wir schenken anders
Keine Frage, wir schenken anders als noch zu Zeiten der Familie Buddenbrook. Vor allem schenken wir mehr. Was damals noch Ausdruck des Reichtums einer Lübecker Kaufmannsfamilie war, entspricht heute dem Gabentisch eines durchschnittlichen Haushalts – vielleicht nicht einmal das. Dagegen ist wenig einzuwenden, im Gegenteil: Es muss beruhigen, wenn Menschen sich um wechselseitige Zuneigung und Kommunikation bemühen, darüber hinaus auch die Gelegenheit ergreifen, ihren eigenen Ruf zu korrigieren.
Fraglich ist nicht der Exzess des Schenkens, sondern das Konsumverhalten auf dem Weg dorthin. Die Idee des Weihnachtsfest, sagt die Soziologin Elfie Miklautz, bestehe ursprünglich in der Umkehrung der gewöhnlichen Lebensverhältnisse: Einmal im Jahr soll man es krachen lassen. Heute dagegen sei die Verschwendung zum Alltag geworden. Wir sind auf dem besten Weg, das Weihnachtsfest überflüssig zu machen.