Wenn man sich die Instrumente dieses Künstlers betrachtet, gerät man schon ins Zweifeln: Eine Taucherbrille, eine Kuhschelle ohne Klöppel, ein kaputtes Akkordeon, ein Trümpi (Maultrommel) und zwei Kästchen, die wie Billigradios wirken. Das ist das Werkzeug, mit dem Christian Zehnder also einen Abend bestreiten will und muss. Denn die Allensbacher Gnadenkirche, die schon viele gute Konzerte gehört hat, ist voll besetzt, das Publikum wartet auf Zehnder, der als vokaler Tausendsassa angekündigt wird.

Dann kommt der Mann aus der Sakristei und betritt das Podium. Er ist schwarz gekleidet und freut sich über die volle Kirche, schaut dankbar auf die Galerie hoch, die voll besetzt ist. Dann legt er los mit seinem eigenartigen Gesang, für den er einen eigenen Stil und eine eigene Technik geschaffen hat.

Herrliche, zerbrechliche Klänge

Zehnder hat den Obertongesang zur Perfektion entwickelt. Eigentlich könnte jeder so jubilieren, da jede Stimme eine Vielzahl von Obertönen transportiert, ohne dass es dem Sprecher oder Hörer bewusst wäre. Beim Obertongesang wird der Oberton separiert, er schwebt förmlich über dem kräftigen Grundton. So kann Zehnder mehrstimmig, mindestens aber zweistimmig singen.

Er erzeugt herrliche und dabei zerbrechliche Klänge. Es gibt kaum wenig Künstler, die sich so radikal auf ihre Stimmbänder und inneren Resonanzräume verlassen. Nicht einmal ein Mikrofon benutzt er.

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Seine Melodien sind einfach, sie lehnen sich an Schweizer Volksmusik und an die Naturtonreihen an, die auch Jodler benutzen. Auch wenn Zehnder immer wieder humorvolle Spitzen über seine Landsleute loslässt, so ist er doch ein Kind der helvetischen Tradition. Er erzählt begeistert von den Ursprüngen des Jodelns, das als Lockruf diente und die Kommunikation über die Täler hinweg ermöglichte.

Die Ur-Jodler, die Zehnder noch in heidnischer Zeit verortet, gaben durch ihre kehligen Rufe den anderen Hirten Bescheid. So wurde der heimatlich exotische Abend auch noch zur Lehrstunde über die alpine Kultur. Zehnder erklärt und musiziert.

So etwas hat man noch nicht gehört

Der Mann hat einen weiten musikalischen Weg zurückgelegt. Er studierte früher klassischen Gesang und beschäftigte sich dann mit Jazz. Grenzüberschreiter wie Don Cherry zogen ihn an, ebenso ein Bobby McFerrin, der die Möglichkeiten der menschlichen Stimme ausgeweitet hat. Zehnder singt ohne Verstärkung, unterstützt nur von einer leeren Milchkanne oder dem halbierten Akkordeon der Marke Hohner.

Er spielt es, auch das eine Neuigkeit, auf den Knien. Die Tastenhälfte fehlt, Zehnder betätigt und benötigt nur die Hälfte mit den Knöpfen. Diese liefern ihm orgelartige Akkorde, über die er seine Stimme legt. Der Hohner-Sound trägt die zierlichen Obertönchen, und frei heraus gesagt: So etwas hat man noch nicht gehört.

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Bei einem Stück geht der Schweizer bis an seine Grenzen. Er zieht eine Art Taucherbrille auf und singt zu einem zugespielten Grundton. Der Sauerstoff wird knapp, und das verändert das Bewusstsein, berichtet er später. Er spricht von einem rauschhaften Zustand. Aber wozu ist Musik da, wenn nicht zum Verändern? Zehnders vokale Abenteuer führen auf Musik auf das zurück, was sie sein könnte: Warnung, Experiment, Weckruf – und nicht Gedudel in Dauerschleife. Am Ende ist der Musiker erschöpft und das Publikum begeistert. Mit stehendem Applaus wird der Künstler verabschiedet.