Jeremias Heppeler

Es verkommt langsam zum Running Gag: Jahr für Jahr verkünden Hip-Hop-affine Journalisten – inklusive dem Autor des vorliegenden Textes –, dass Deutschrap aktuell größer und präsenter als je zuvor erscheine. Doch es stimmt! Das Wachstum hört nicht auf, die Kurven steigen und steigen.

Seit etwa zwei Jahren aber hat sich die Dynamik in der Szene verändert: Eine neue, blutjunge Generation hat das „Game“ übernommen, ein neuer Stil, der sich kaum noch in Genre-Schubladen pressen lässt, dominiert – und spaltet beinahe zwangsläufig die Gemüter.

Frisch und tanzbar

Der frische Sound war zunächst geprägt von amerikanischem Südstaaten-Trap und dem tanzbaren Sound aus den französischen Vorstädten, absorbierte zuletzt auch arabische Einflüsse. Die abschätzige Zuschreibung „Shisha-Bar-Rap“ sollte man wohl spätestens nach dem rechtsradikalen Terroranschlag von Hanau auf ebensolche Bars tunlichst vermeiden – und auch darüber hinaus fehlt es an offenen Einschätzungen dieses popkulturellen Phänomens, die nicht mit erhobenem Zeigefinger von oben herab den Untergang des Rap-Abendlands beschwören. Ein Versuch.

Ganz besonders im Fokus der Kritik steht das ständige Name-Dropping von Markenklamotten in den Texten der Rapper. Klassisches Beispiel: Capital Bra und sein wiederkehrender Gucci-Fetisch. Oder auch: Ufo361 und seine stetige Balenciaga-Beschwörung. Und ja, besonders einfallsreich ist das nicht, schon gar nicht tiefgründig. Was aber sind die Hintergründe dieses Trends?

Die Rapper Sonus030 (links) und Ufo361.
Die Rapper Sonus030 (links) und Ufo361. | Bild: dpa

Die neue Generation des Deutschraps ist migrantisch geprägt. Mero ist deutsch-türkischer Abstammung, Samra Deutsch-Libanese, Lucianos Vater kommt aus Mosambik. Diese überbordende Vielfalt kennt kein anderes Genre – und macht die Rapper und Rapperinnen mehr oder weniger automatisch auch zu Sprachrohren.

Speziell der Deutschrap produziert seit jeher Aufsteigergeschichten. Nicht wenige der genannten Sprechgesangsartisten wurzeln tief in Brennpunktgebieten, entstammen bitterer Armut. Vor diesem Hintergrund erhalten Markenklamotten eine ganz andere Bedeutung, sie werden regelrecht zum Topos. Wer sich diese Marken leisten kann, der hat es geschafft, der Armut zu entfliehen. Sie sind das Äquivalent zu den Goldketten, die sich einst die Pioniere von N.W.A. umhängten. Das Signal: Ja, auch wir sind jemand!

Die Rap-Pioniere N.W.A. – oder zumindest ein Teil davon: Dr. Dre (von links), Ice Cube, MC Ren, Kathy Right für ihren verstorbenen ...
Die Rap-Pioniere N.W.A. – oder zumindest ein Teil davon: Dr. Dre (von links), Ice Cube, MC Ren, Kathy Right für ihren verstorbenen Sohn Eazy-E, DJ Yella und Eazy-Es Frau, Tomica Wright. | Bild: EPA/Peter Foley

Natürlich wirkt die Wiederholung auf Dauer ermüdend, vor allem, wenn nun bereits die nächsten Jungspunde mit Louis Vuitton und Luxusuhren behangen in den Startlöchern stehen. Aber: Diese Musiker stehen allesamt am Beginn ihrer Karriere, es fehlt ihnen – wie könnte es anders sein – an Erfahrung.

Das Internet produziert Stars in Höchstgeschwindigkeit. Wer früher langsame und lähmende Strukturen wie die Suche nach einer Plattenfirma hinter sich bringen musste, der lädt heute einen Song beim Streamingsdienst Spotify hoch und landet mit viel Glück – das Haifischbecken ist voll mit hungrigen Fischen in allen Größen – in einer prominenten Playlist und damit eventuell einen Hit. Von 0 auf 100 an einem Tag.

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Immer jünger, immer erfolgreicher

Entsprechend werden die Rapper und Rapperinnen immer jünger: Mero, dem in Sachen Klickzahlen kaum jemand das Wasser reichen kann, ist 20. Und doch vergleichen irgendwelche Rap-Rentner ihn und seine Musik mit Kombos wie den Fantastischen Vier oder Fettes Brot. Rückwärtsgewandter geht es nicht. Und doch, in manchen Themenbereichen hat der Deutschrap Nachholbedarf. In Texten und Videos schimmert immer noch Sexismus durch. Die Mühlen, das zeigt der Blick auf die gesamte Rap-Geschichte, mahlen hier überaus langsam.

Auch Die Fantastischen Vier (von links: And.Ypsilon, Smudo, Michi Beck und Thomas D.) sind Rapper – mit der neuen Generation kann ...
Auch Die Fantastischen Vier (von links: And.Ypsilon, Smudo, Michi Beck und Thomas D.) sind Rapper – mit der neuen Generation kann man sie jedoch nicht vergleichen. | Bild: Marijan Murat/dpa

Vor allem im US-Sektor gibt es darüber hinaus ein massives Drogenproblem, das innerhalb weniger Jahre mit Lil Peep, Mac Miller und Juice WRLD gleich drei prominente Opfer forderte. Auch das ist nicht neu: Die Verbindungen zwischen Musik-Stars und Drogen und Depression reichen bis tief in die 1960er-Jahre. Das allerdings macht den Status Quo keinesfalls erträglicher.

US-Rapper Juice WRLD bei einer Preisverleihung im Mai 2019. Wenige Monate später starb er.
US-Rapper Juice WRLD bei einer Preisverleihung im Mai 2019. Wenige Monate später starb er. | Bild: ZUMA Wire/dpa

Auch in Deutschland gibt es bedenkliche Entwicklungen. Eine Reportage des öffentlich-rechtlich geförderten YouTube-Kanals STRG_F zeigte: Nach der Veröffentlichung drogenverherrlichender Songs von Deutschrappern stieg die Nachfrage nach eben diesen, meist chemischen Erzeugnissen extrem an. Insbesondere Capital Bra und Samra hatten Schmerzmittel in zahlreichen Songs glorifiziert.

Capital Bra meldete sich später bei den Journalisten und erklärte sich zu einem Interview bereit. Darin zeigte sich der Rap-Star geläutert, klärte mehr als drei Millionen Zuschauer über die Gefahren von Drogenmissbrauch auf. Das lässt hoffen: Auch diese Generation wird erwachsen.