Vor 100 Jahren war die Bahn noch pünktlich. Zumindest ist die exakte Uhrzeit 16.20 Uhr für einen Zug überliefert, mit dem der japanische Dichter Mokichi Saito in Donaueschingen angekommen war. Er reiste von Wien an der Donau entlang bis zu Donauquelle und beschrieb dies in einem ausführlichen Reisebericht.

In Donaueschingen gibt es seit Mai im Andenken daran entlang der Brigach einen „Mokichi-Saito-Weg“ – und nun außerdem noch eine Klanginstallation, die zu Beginn der Donaueschinger Musiktage eröffnet wurde. Sie soll auch über die Musiktage hinaus erlebbar bleiben und täglich um 16.20 Uhr aktiv, sprich hörbar werden.

Der Klangkünstler Robin Minard neben seiner Arbeit „Kaminoyama Soundmark“ im Karlspark.
Der Klangkünstler Robin Minard neben seiner Arbeit „Kaminoyama Soundmark“ im Karlspark. | Bild: Ralf Brunner/SWR

Platziert ist die Installation im Donaueschinger Karlspark gegenüber dem Bahnhof. Optisch ist sie unauffällig: Sie besteht aus einer quadratischen Metallplatte, die unter einem japanischen Kirschbaum auf der Wiese liegt – und drei Mal täglich (um 16.20 Uhr, auch um 10.20 Uhr und um 20.20 Uhr) für knapp 10 Minuten zu klingen beginnt. Man hört dann allerdings nicht etwa Zuggeräusche, sondern Glockenklänge. Darin hat der Klangkünstler Robin Minard eigene Donaueschinger Erfahrungen mit seiner Klangreise durch Saitos Heimat- und der Donaueschinger Partnerstadt Kaminoyama verbunden.

Vor etlichen Jahren nämlich hörte er in einem Hotelzimmer die Glocke der Donaueschinger Kirche St. Johann und war fasziniert von ihr. Er ging dann in Kaminoyama ebenfalls auf die Suche nach Glockenklängen. „So alltäglich Glocken fast überall auf der Welt sind, so haben sie doch in den verschiedenen Kulturkreisen ganz unterschiedliche Bedeutungen. Sie sind ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Miteinanders und der kulturellen Identität“, so Minard.

Robin Minard bei Aufnahmen in Kaminoyama für seine Klanginstallation.
Robin Minard bei Aufnahmen in Kaminoyama für seine Klanginstallation. | Bild: Robin Minard/SWR

Und so kommt es, dass die Klänge von „Kaminoyama Soundmark“ sowohl vertraut als auch fremd klingen. Die Glockenklänge stammen etwa von einem Tempel in Kaminoyama, den auch der Dichter Saito besuchte, oder von anderen Stellen der Stadt. Minard lässt ihnen viel Zeit, ihren Nachklang zu entfalten. Langsam verdichten sie sich, mischen sich mit den Rufen japanischer Kinder und schließlich mit der Stimme des Dichters selbst. Eine ebenso faszinierenden wie meditative Klangreise.

Die Klangkunst der Donaueschinger Musiktage erfährt durch die Leiterin Lydia Rilling gerade eine neue Aufmerksamkeit – einfach nur dadurch, dass es für die Installationen offizielle Eröffnungstermine gibt und außerdem auch (kostenlose) Führungen angeboten werden, die auch gut angenommen werden (zu den Terminen siehe Infos unten).

Beim Konzert in der Klanginstallation „aussi fragile que possible“ setzen Musiker per Schall Klangobjekte in Bewegung. Das Publikum ...
Beim Konzert in der Klanginstallation „aussi fragile que possible“ setzen Musiker per Schall Klangobjekte in Bewegung. Das Publikum nimmt dazwischen Platz. | Bild: Ralf Brunner/SWR

In diesem Jahr sind es drei Installationen, die, obwohl sie sehr unterschiedlich sind, doch eines gemeinsam haben: sie fordern wegen ihrer Fragilität ein achtsames Hinhören ein. Die Zerbrechlichkeit hat die französische Klangkünstlerin Elsa Biston sogar zum Programm ihrer Arbeit erhoben: „aussi fragile que possible“ (deutsch: so fragil wie möglich) breitet sich in zwei Räumen des Museum Art.Plus wie eine Art Spinnennetz aus zahllosen Fäden und Schnüren aus, an denen leichte Objekte wie trockene Blätter, Papier, Alufolie oder eine leere Dose hängen. Sie werden in Vibration versetzt und treffen so wiederum auf schwingende Becken.

Bitte Schuhe ausziehen

Besucht man die Installation, heißt es zunächst: Schuhe ausziehen und vor der Tür platzieren! Es gibt nun zwei Möglichkeiten, die Installation zu erleben. Entweder man wird selbst tätig und bewegt die Objekte mit Hilfe von Kurbeln und Fäden oder aber man besucht eines der Konzerte, bei denen Musiker die Installation zum klingenden Leben erwecken.

Dazu „vergrößern“ Klangabnehmer in ihren Instrumenten einzelne Geräusche wie zum Beispiel Klappenbewegungen so stark, dass sie die fragilen Objekte in Schwingung versetzen. Kleine Dinge – große Wirkung. Die Installation lenkt die Sinne auf die Nebensächlichkeiten des Alltags. Die Technik dahinter ist allerdings ziemlich ausgefuchst und deutlich weniger Low-Tech als die optische Darbietung es suggeriert. Das Klangergebnis im Konzert jedenfalls wird noch über Laptops gesteuert und reguliert, so dass am Schluss ein zwiespältiger Eindruck bleibt.

Die Klangkünstlerin Lilja María Ásmundsdóttir in ihrer Installation „Hidden Trails“.
Die Klangkünstlerin Lilja María Ásmundsdóttir in ihrer Installation „Hidden Trails“. | Bild: Ralf Brunner/SWR

Die dritte Installation, eine Arbeit der isländischen Künstlerin Lilja María Ásmundsdóttir befindet sich in der Donaueschinger Bibliothek. In liebevoller Kleinarbeit hat die junge Künstlerin hierfür Buchdeckel und kleine Tafelbilder mit „Hidden Trails“ (so auch der Titel des Werks) entworfen.

Kleine Magnete, die man über die bemalten Flächen ziehen kann, erzeugen dabei knirschende Geräusche. An einer dritten Station hängen mit Papier umwickelte Seile. Auch hier darf man als Besucher tätig werden – ebenso auf den mit Saiten überzogenen kunstvoll geschnitzten Hölzern. Die Klangergebnisse sind wenig überraschend – die filigrane Optik steht hier im Vordergrund.

Projekt mit Geflüchteten

Am Freitagnachmittag begann dann der Donaueschinger Konzertparcours mit dem Projekt „Shared Sounds“ der Cellistin Séverine Ballon, das sie mit in Donaueschingen lebenden Geflüchteten entwickelt hat. Längst versucht die sogenannte Neue Musik aus ihrer Nische herauszukommen. Dafür steht nicht nur dieses Projekt, sondern überhaupt die Bandbreite der unterschiedlichsten Ansätze.

Die Besucher und Besucherinnen der Musiktage erwartet am Wochenende beispielsweise noch ein Konzert in der Dunkelheit im Schlosspark (Stichwort Lichtverschmutzung), ein Konzert mit KI-Solist, ein Stück für zehn Drumsets und ein Duo namens „Rubbish Music“, das mit Weggeworfenem Musik macht – und auch ein bisschen Starkult in Person des Pianisten Pierre-Laurent Aimard.