Sternchen, Binnen-Is, -schräg- oder Unterstriche – mit diesen und anderen Eingriffen wollen wohlwollende Interessengruppen zu einer geschlechtergerechten Sprache beitragen. In manchen behördlichen, vor allem aber in akademischen Texten ist das Gendern bereits Routinehandlung. Nicht so im Alltag der Mehrheit der Bürger. Wie stehen Schriftsteller in unserer Region zu diesem Thema? Wir haben uns umgehört.

Zsuzsanna Gahse, 75, wohnhaft im Thurgau, hat für ihr literarisches Werk zahlreiche Preise erhalten, zuletzt den Grand Prix Literatur ...
Zsuzsanna Gahse, 75, wohnhaft im Thurgau, hat für ihr literarisches Werk zahlreiche Preise erhalten, zuletzt den Grand Prix Literatur 2019. Ihr aktuelles Buch „Bergisch teils farblos“ ist in der Edition Korrespondenzen erschienen. | Bild: Yves Noir Photographie
  • Zsuzsanna Gahse, 74, Müllheim/Thurgau (Schweiz): „Die Sprache interessiert mich nicht nur in der Literatur, sondern grundsätzlich. Das hässliche, unnatürliche, aufgesetzte Gendern hilft keiner einzigen Frau. Und jene, die sich zwischen den Geschlechtern wahrnehmen, werden durch die „Neuerung“ ignoriert, degradiert. Die *-Versionen destabilisieren die Grundhaltung der Sprache. Wenn man zu den *-en greift, stellt man die gesamte grammatische Struktur der (deutschen) Sprache in Frage.“
Karl-Heinz Ott
Karl-Heinz Ott | Bild: Peter Hassiepen
  • Karl-Heinz Ott, 64, Freiburg/Breisgau: „Politisch ist das Sprach-Gendern vollkommen richtig und wichtig, stilistisch ist es scheußlich. Lieber schreibe ich in einem Text hundert Mal ‚Bewerberinnen und Bewerber‘ als ein einziges Mal ‚BewerberInnen‘ oder ‚Bewerber*innen‘. Abgesehen davon würde ich das Wort Bewerberin oder Bewerber ohnehin nie benutzen, es klingt furchtbar deutsch. Was das Gendern angeht, wäre ich ohnehin lieber im Englischen daheim, dort kann man sich solche Verrenkungen ersparen, jedenfalls weitgehend.“
Theresia Walser
Theresia Walser | Bild: Jürgen Bauer
  • Theresia Walser, 53, Freiburg/Breisgau: „Als ich anfing, Theaterstücke zu schreiben, hat man mich in einem Theater regelmäßig mit dem Satz begrüßt: ‚Hier kommt unser Autor als Frau‘. Sicher war das anerkennend gemeint, auch wenn sich ein gewisser Spott nicht überhören ließ. Auf verquere Weise sollte das wohl ausdrücken, dass man mich ernst nimmt. Mir zeigte es aber auch, dass ich als Autorin alles andere als selbstverständlich bin. Ein Kuriosum. Immerhin war das nicht Anfang des 19. Jahrhunderts, es war Ende der 1990er-Jahre. Diese Geschichte zeigt, wie der Begriff Autor ans Geschlecht gekettet war.
    Oft sitze ich an Tischen, wo erbittert ums generische Maskulinum gestritten wird. Auch wenn ich gern glauben möchte, dass das Genus nichts mit dem Sexus zu tun hat – allein, man hört es nicht, und Sprache ist durchaus wirkmächtig. Schließlich könnte man andersherum fragen: Ist es nicht auch entlastend, wenn das generische Maskulinum nicht mehr die Allgemeinheit schultern muss? Dass mittlerweile sogar Claus Kleber die winzige Synkope des Gendersternchens so elegant spricht, als sei es nie anders gewesen. Das ist doch wunderbar!
    In der Literatur braucht Sprache allerdings ihre stilistische Freiheit. Ob man einen ganzen Roman schreibt ohne den Buchstaben E, alles in Kleinbuchstaben oder gegendert, das bleibt jeder und jedem überlassen. Auf der Bühne dient Sprachbehandlung ja auch dazu, die jeweiligen Figuren zu charakterisieren; insofern kann das gesprochene Sternchen auch Spielmaterial sein. In jedem Fall bietet es Stoff.“
Das könnte Sie auch interessieren
Hermann Kinder
Hermann Kinder | Bild: Ahlebrandt, Sylvia
  • Hermann Kinder, 76, Konstanz/Köln: „Alles, was die Ungleichstellung der Frau auch in Sprache sicht- und hörbar machen kann, ist mir recht. Persönlich bevorzuge ich das elegante generische Femininum, das ohne Sternchen und ohne ‚stimmlosen glottalen Verschlusslaut‘ auskommt. Nach so urlanger männlicher Sprachherrschaft darf das sein. In historischen Texten soll nichts nachträglich geändert werden. Die Menschen dürfen weiterhin Brüder werden. Aus einer retuschierten Geschichte lässt sich nichts lernen. Für literarische, vor allem fiktionale Texte darf es kein Sprachverbot geben. Alles ist erlaubt und – selbstverständlich – kritisierbar.“
Gaby Hauptmann
Gaby Hauptmann | Bild: Uwe Zucchi (dpa)
  • Gaby Hauptmann, 63, Allensbach/Bodensee: „Ich hatte noch nie ein Problem damit, dass ich Frau Hauptmann und nicht Frau Hauptmännin genannt werde … Frau Hauptfrau gäbe ja auch schon wieder einen anderen Sinn. Wobei – in Tschechien heiße ich laut meiner Buchtitel: Gaby Hauptmannová. Vielleicht sind die uns ja voraus? Oder schon wieder hinterher, denn die tschechischen Frauen wehren sich derzeit gegen die weibliche Namensform. Insgesamt gibt es für mich keine aufgesetzte Unterscheidung. Wenn es passt, wähle ich beide Formen oder nehme zur Abkürzung auch mal das *Sternchen. Zu überlegen wäre natürlich nach 8200 Jahren Patriarchat, ob man es nicht wie Peter Turi in seinem Newsletter Turi2 machen und von nun an alle Männer in der weiblichen Form vereinen soll. Also: Liebe Leserinnen – damit sind Sie alle gemeint. Für die nächsten 8200 Jahre … dann können wir ja weitersehen.“
Christoph Keller
Christoph Keller | Bild: Ayse Yavas
  • Christoph Keller, 57, St. Gallen/Schweiz: „Ein gendergerechter Roman würde nur funktionieren, schriebe ihn Raymond Queneau als literarisches Experiment. Ich zumindest werde die Finger davonlassen. Es ist nicht die Aufgabe von Literatur, es allen recht zu machen. Im Gegenteil, gute Literatur macht es idealerweise niemandem recht. Unsere Literatur ist ohnehin schon zu harmlos und traut sich immer weniger. Kunst aber soll weh tun. Lassen wir uns auf eine gendergerechte Literatur ein, wird bald der Ruf erhört, ältere Bücher umzuschreiben. Sonderzeichen gehören verbannt bzw. nicht eingeführt. Das gilt auch für Triggerwarnungen. Vor einiger Zeit schon hörte ich, in den USA, von einer befreundeten Professorin, ihr würden zu Beginn des Creative-Writing-Unterrichts eine Liste mit nicht zu gebrauchenden, da trauma-induzierenden Wörtern vorgelegt. Eins war ‚Mutter‘. Das führt zu leeren Seiten.
    Ich kann mir vorstellen, dabei mitzutun, die Literatur zu sensibilisieren. Es gibt elegante Umschreibungen, die es allen recht machen können. Wenn zu diesen ‚allen‘ auch mein Stil gehört, will ich es tun. Essays, obwohl sie auch zur Literatur gehören, können da weitergehen und sollen es auch. Wie weit? Das ist im Feld der sich wandelnden Sprache auszuprobieren. Es macht Sinn, wenn eine Frau aus ihrer Genderperspektive schreibt, so wie es Sinn macht, wenn ich das als Mann tue. Kürzlich habe ich die St. Galler Poetikvorlesungen gehalten und mir in Sachen Gender redlich Mühe gegeben. Das gehört sich auch so. Aber das sind Vorlesungen, noch keine Literatur. In einem Roman würde ich das unten Gesagte nicht anwenden.
    ‚Freundinnen und auch gleich Feinde‘: Sie haben es gemerkt, mir liegt daran, gendergerecht zu sein. Man und frau und auch manfrau und fraufrau mögen mir verzeihen, gelingt mir nicht immer die beste Lösung. Das Gendersternchen oder andere, aus dem Text ragenden Zeichen, möchte ich vermeiden und es mit ausgleichender Gendergerechtigkeit versuchen, hier weiblich, dort männlich, abwechselnd. Was allerdings zu problematischen Fällen führen kann: ‚Vielleicht müssen Schriftsteller Narzisstinnen sein.‘ Ich werde mein Bestes tun, die guten und schlechten Rollen gendergerecht fair zu verteilen, gibt es doch von allen alle: ruchlose Helferinnen, selbstlose Mörder.“
Das könnte Sie auch interessieren
Eva-Maria Bast
Eva-Maria Bast | Bild: Bast, Eva-Maria
  • Eva Maria Bast, 42, Überlingen: „In Romanen geht geschlechtergerechte Sprache gar nicht. Das würde den Lesefluss erheblich stören. Im Übrigen finde ich, dass man, gerade wenn man historische Romane schreibt, immer auch die Sprache der Zeit wählen sollte, in der man sich bewegt. Nur so kann ein entsprechendes Bild und auch ein entsprechendes Gefühl beim Lesen entstehen. Aber auch außerhalb der fiktiven Welt halte ich nichts von der Genderei. Schon gar nicht mit Sternchen. Das gilt für die historischen Sachbücher, die ich in meinem Verlag Bast Medien gemeinsam mit Medienhäusern in ganz Deutschland herausbringe, ebenso wie für die Zeitschrift „Women‘s History“, deren Chefredakteurin ich bin.
    Man kann es auch übertreiben mit der politischen Korrektheit – wenn man dabei dann auch noch die deutsche Sprache vergewaltigt, blutet mir als Sprachmenschen das Herz. Ich vergleiche das Ganze gerne mit der Mode. Nach dem Zweiten Weltkrieg wagte sich Christian Dior mit seinem „New Look“, wieder an Mieder und lange Röcke. Der Aufschrei war groß. So lange hätten die Frauen dafür gekämpft, kurze Rücke tragen zu dürfen. Da könne man doch jetzt nicht wieder lange tragen, riefen die Empörten. Wirklich frei waren wir Frauen doch erst, als wir anzogen, was uns gefiel. Auch wenn das Kleidung war, gegen die unsere Vorfahrinnen gekämpft hatten. Mit dem Gendern ist es ähnlich. Wir Frauen sind selbstbewusst genug, wir brauchen das nicht. Und Frauinnen wollen wir sicher niemals sein.“
Arnold Stadler
Arnold Stadler | Bild: Patrick Seeger
  • Arnold Stadler, 67, Rast bei Meßkirch: „Das wäre das Ende. Wie weit soll der Missbrauch der Sprache und die Ausgrenzung der Menschen, Männer wie Frauen, wie Transgender noch gehen? Ich kenne wunderbare Leserinnen, die zwanzig Jahre älter sind als ich, die noch kein Englisch in der Schule hatten, und nun, mit dem Wort ‚Gendern‘ konfrontiert, überfordert sind. Ich, der schon als Gastprofessor in den USA weilte, und auch etwas mit den immer wieder von da überschwappenden Zeitgeistströmungen vertraut ist, würde ihnen das so zu erklären versuchen: Gendern ist eine Art Gewaltherrschaftsversuch, nun auch über die Sprache, unabhängig von jeder Frau und jedem Mann.

Dieses Thema darf nicht sprachfernen oder auch nur sprachschwachen Kampfgeistern beiderlei Geschlechts oder auch keines von beiden, überlassen werden. Über die Sprache haben nicht auf Herrschaft gebürstete Naturen zu entscheiden oder auch nur zu verfügen.

Das Thema interessiert mich eigentlich nicht, und doch sehe ich mich derzeit in eine Art Krieg hineinversetzt. Sollen sie sich untereinander zur Strecke bringen, also etwa Altmachos und Kampffeministen. Aber nicht die Sprache. Sie wollen nun Polizei und Gesetzesgeber spielen. Es gab schon einmal im 19. Jahrhundert einen preußischen Sprachfeldwebel, der die Rechtschreibung diktieren wollte, und auch die Aussprache: Offenbar wurde schon damals Sprache mit Aussprache verwechselt, und Sprache mit Inhaltstransport und Gedankenproduktion auf der Informationsebene.

Das sind wohl auch Leute, die auch von sich behaupten würden, die Sprache zu beherrschen, fließend, ob nun Deutsch – oder noch viel besser: Angloamerikanisch.

Das könnte Sie auch interessieren

Sie beherrschen die Sprache aber nicht, obwohl sie anscheinend diesem Irrglauben anhängen. Kein Mensch hat bisher die Sprache beherrscht, sowenig es einem einzigen Menschen auf Dauer gelang, die Menschen zu beherrschen. Gerade gegen die Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts hin ist dieser insbesondere über die Sprache unternommene totalitäre Versuch (Propaganda) spektakulär gescheitert, zum Glück.

Ich will nicht, dass sich die allgemeine Herrschaftslust nun wieder einmal auch auf die Sprache ausweitet. Nicht mitansehen oder zulassen, dass sie ihr Machtgelüst nun auch an der Sprache austoben und vielleicht meinen, über die Sprache könnte eine Mehrheit verfügen.

Soweit zu der einen Seite dieser Kampfmedaille.

Auf der anderen sehe ich, dass den weiblichen Formen fast seit Anbeginn Gewalt angetan wurde. Das ist aber nicht das Problem der Sprache, sondern der in meinem Horizont seit fast dreitausend Jahren männlich bestimmten und bestimmenden Gesellschaft.

Wenn ‚wir‘ nun, statt die weiblichen Formen immer nur ‚mitzumeinen‘, dazu übergehen würden, die weiblichen Formen der Wörter als Grundlage zu übernehmen, dann wäre der Sprache keine Gewalt angetan, und ich, zum Beispiel, männlichen Geschlechts, wäre in jedem Formular, das mich als ‚Leserin‘ oder ‚Schriftstellerin‘ adressierte, durchaus mitgemeint. Gegen eine solche Version, die nicht in das Zentrum von Sprache und Sprechen eingreift, hätte ich gar nichts. Wohl aber gegen den gewalttätigen Versuch von sprachschwachen wie sprachfernen Menschen, mit ihren *chen und I-s totalitär über die Sprache aller zu bestimmen. Ich höre nun schon jeden Tag in den Radios eine Art Stottern oder eine Art – sorry – Kotzlaut mitten in den Wörtern.

Hier geht es nicht um abgetakelte Schablonenpositionen wie das verwaschene ‚konservativ‘ oder ‚progressiv‘, sondern um das Fortleben der Sprache, die eine Herkunft, aber auch eine Zukunft hat und ständig im Wandel ist, aber nicht so! Die Sprache ist kein Spielball und auch kein Instrument von cleveren Akteuren, welche die Sprache für ihre Zwecke instrumentalisieren wollen, sie als Informationsinstrument missverstehen und missbrauchen. (Das sind, wie gesagt, gerade jene, die glauben, eine Sprache beherrschen zu können.)

Der Jahrtausende lange und alte Missbrauch der Sprache wie der Frauen und der Natur oder der Schöpfung könnte nun wenigstens, was die Sprache angeht, insofern beendet werden, als wir (auch ein Wort, das weder männlich noch weiblich noch sächlich ist) zur weiblichen Form wechseln, also zum Beispiel ‚liebe Leserin‘ sagen. Und wie die Frauen bei ‚lieber Leser‘ immer ‚mitgemeint‘ waren, so wären es nun die Männer. Und der Sprache und Grammatik wäre keine Gewalt angetan, von irgendeiner totalitären Sprachpolizei durchgesetzt.

Hat die Menschheit die Sprache nicht als schönstes Geschenk von Gott oder der Natur erhalten, die so vieles vermag, auch den Schmerz zu singen?

Aber meine Bücher werde ich auch weiterhin schreiben wie ich, einer, der immer noch ich sagt, welches ununterscheidbar eines der häufigsten gemeinsamen deutschen Wörter von Frauen und Männern und Kindern (die einst zu den Sachen gerechnet wurden, wie Haus und Hof und Tiere und Bäume und Pflanzen) ist.“