„Halbinselland“ nennt Beate Bitterwolf die Präsentation ihrer Bilder im Hesse-Museum in Gaienhofen. Der anschauliche Titel verknüpft den Ort der Ausstellung auf der Halbinsel Höri mit dem Lebensmittelpunkt der Künstlerin und der Motivwelt ihrer Malerei. Natur und Landschaft am Untersee im Zusammenspiel von Wasser und Himmel, Licht und Luft, erfüllt von lebhafter Bewegung und dichter Atmosphäre, stehen im Fokus der farb- und formintensiven Gemälde.
Weite Ausblicke von erhöhtem Standort auf den See, wobei sich Uferzonen und Wasserfläche, Vegetation und Wolkenspiegelungen nuancenreich durchdringen und miteinander zu verschmelzen scheinen, bilden den Schwerpunkt der Landschaftsdarstellungen. Einen Kontrapunkt zum Blick in die Ferne setzt Bitterwolf mit ihren nahsichtig erfassten Kompositionen von Pflanzen und Blumen. Experimentierfreudige Übermalungen von Fotografien und objekthafte Arbeiten mit getrockneten Pflanzen runden das Spektrum der Exponate ab.
Farbe mit Sand gemischt
Beate Bitterwolfs Bildwelten entfalten sich im reizvollen Spannungsfeld zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, konzentrierter Beobachtung der Natur und freier Entfaltung der malerischen Geste. Als Grundlage der Bildfindungen dienen Fotografien und Zeichnungen, die Bitterwolf vor Ort anfertigt, und deren Ausführung dann im Atelier in einem längeren malerischen Prozess erfolgt.
Dieser pure Akt der Malerei, der komplexe Vorgang der Bildentstehung mit mehrfachen Überlagerungen von Farbzonen, mit partiellen Freilegungen sowie Überarbeitungen und Veränderungen, bleibt für das Auge sichtbar und ist neben dem Motiv das eigentliche Thema der Werke. „In vielen Schichtungen entwickelt sich in einem komplizierten malerischen Prozess die Form, Komposition und der Ausdruck heraus. Das Malen hat viel mit Entdecken, entschlüsseln und finden zu tun“, erläutert Bitterwolf die Genese ihrer Arbeiten.
Fließende Übergänge der Konturen und Flächen, das Verschwimmen von Nähe und Ferne in transparenten Bildtiefen, die Durchdringung von Farbe und Licht und die Entgrenzung der Form ins Immaterielle prägen die starke Ausdruckskraft der Bilder.
Hinzu kommt Bitterwolfs besonderer Umgang mit den Mitteln der Malerei: Der Acrylfarbe mischt sie Sand und Steinmehl bei und erzeugt so raue, haptisch erfahrbare Oberflächentexturen, die den Strukturen der Natur nachspüren und zugleich unsere sinnliche Wahrnehmung ansprechen. Bevorzugt arbeitet Bitterwolf in Bildserien zu Motivgruppen von Landschaften, Pflanzen und Blumen: „Horizonte“, „Plantares“ und „Floridez“ lauten die Titel der Werkzyklen, in denen die Malerin ihre Sujets variantenreich durchspielt.
In Verbindung mit elementaren Kräften der Natur
Wesentlicher Impulsgeber für die ebenso expressiven wie subtilen Bildschöpfungen ist die intensive gedankliche und emotionale Auseinandersetzung mit der Natur: „Die Landschaft ist Ausdruck einer Sehnsucht nach Rückzug, um in Verbindung mit den elementaren Kräften der Natur zu treten“, erklärt Bitterwolf ihre Intention. „Ich will mit den elementaren Kräften der Farben und der Gestik Bilder entwickeln und das Nichtvorstellbare im Rahmen meiner Themen bearbeiten.“ Und so berühren ihre Bilder auch innere Vorstellungswelten und geistig-seelische Dimensionen.
Als stilprägend erweist sich die gestisch-dynamischen Formauflösung, mit der Bitterwolf das optische Erlebnis der Landschaften und Pflanzen in eine sinnliche-vitale Abstrahierung übersetzt und ihre teils großformatigen Kompositionen an die Grenze zur reinen Ungegenständlichkeit treibt. Wässrig-diffuse Umrisse treffen auf schwebende Farbwolken, fragile Linien auf harte trockene Formverkantungen.
Die Bilder lassen den offenen Prozess des Malaktes deutlich werden – mit aquarellhafter Leichtigkeit, sanften Verschleifungen der Formen und sanften Modulationen des Kolorits, dann wieder mit energischen Verdichtungen und massiven Verfestigungen der Formen, mit Steigerungen des Lichts zu maximaler Leuchtkraft entwickelt Bitterwolf stimmungsvolle, gleichsam zeitlose Farb-Klang-Räume.
Im Wechselspiel zwischen Wirklichkeit und Verfremdung entfaltet sich die Serie der übermalten Fotografien, die mit „Realities“ betitelt sind. Skizzenhaft anmutende Schichtungen von Bild- und Realitätsebenen erschaffen darin neue, überraschende Erlebnisräume. In der Objekt-Serie „Cosmics“ kombiniert Bitterwolf getrocknete Pflanzen mit freiem Malduktus und strahlenden Farbtönen: Eine gezielte Synthese von Natur und Kunst, organischem Wachstum und davon inspirierter Bildschöpfung.
Bitterwolfs Malerei ist weniger ein Arbeiten nach, sondern vielmehr parallel zur Natur. Ihre Werke sperren sich einer konkreten Dinglichkeit. Es geht ihr nicht um die Verbildlichung einer bestimmten, wiedererkennbaren Situation, sondern um die Transformation des Gesehenen in eine eigenständige, von der äußeren Wirklichkeit losgelöste Ausdrucksform. Mit den Energien von Farbe und Hell-Dunkel-Kontrasten spürt sie den Kräften der Natur nach und öffnet unserem Sehen und Empfinden neue Erfahrungsfelder.
Die Gemälde von Beate Bitterwolf entführen in Schwebezustände, lassen auch träumerische Momente entstehen und feiern die Schönheit, Macht und Vielgestaltigkeit der Natur. Die Landschaft am See verwandelt sich in eine geheimnisvolle Aura aus Bewegung und Atmosphäre.
Beate Bitterwolf – Halbinselland: Bis 2. Juni im Hesse Museum Gaienhofen. Öffnungszeiten: Di.-So. 10-17 Uhr. Weitere Informationen: http://www.hesse-museum-gaienhofen.de