Herr Danquart, Maria Brendle aus dem Hegau ist für einen Oscar nominiert. Verfolgen Sie solche Vorgänge eigentlich noch?
Pepe Danquart: Als Mitglied der Akademie wähle ich sie ja sogar! Aber ich muss zugeben: Hätten Sie mich vor einem Monat gefragt, wäre mir zu diesem Namen noch nichts eingefallen.
Ihr eigener Oscargewinn liegt fast drei Jahrzehnte zurück. Auch Sie waren 1994 mit „Schwarzfahrer“ in der Kurzfilmsparte nominiert. Welche Erinnerungen haben Sie?
Danquart: Das war ein Bohei! Die ARD zeigte meinen Film gleich im Anschluss an die Tagesschau. Insgesamt gab es einfach einen gewaltigen Medienrummel, das dürfte heute bei Maria nicht anders sein.
Und wie war es in Hollywood selbst?
Danquart: Als ich hinflog, kannte mich noch kein Mensch. Meine Filme waren zuvor ja immer unter dem Siegel „Ein Film der Medienwerkstatt Freiburg“ erschienen, der Name Pepe Danquart war völlig unbekannt. Ich bezahlte also meinen Flug selbst, nahm ein kleines Hotelzimmer – nicht Beverly Hilton! – und ging dann auf die Empfänge und Partys. Das war spannend, Menschen zu treffen, denen man sonst nie begegnen würde.
Wie erlebten Sie die Verleihung?
Danquart: Wenn du da sitzt, willst du es auch gewinnen! Wie ich es erlebte? Nun ja: Die Spannung steigt, dein Name fällt, und dir fällt im ersten Moment nicht viel ein. Es fühlte sich an wie eine Implosion.

Frau Brendle, Herr Danquart kannte Sie bis vor kurzem noch nicht. Kannten Sie Pepe Danquart und seine Oscar-Geschichte?
Maria Brendle: Natürlich! Singen ist ja nicht gerade dafür berühmt, ein Filmstandort zu sein. Wenn da mal jemand einen Oscar gewonnen hat, bekommt man das mit. Seinen Film über das Extremklettern, „Am Limit“, habe ich schon vor vielen Jahren hier im Cineplex gesehen.
Kennen Sie den Oscar-Film „Schwarzfahrer“?
Brendle: Ja, schon lange. Ich weiß gar nicht mehr genau, wann ich ihn zum ersten Mal gesehen habe.
Wie finden Sie ihn? Sie können ganz ehrlich antworten, als Oscargewinner steckt Herr Danquart ein bisschen Kritik locker weg!
Brendle: Super finde ich ihn! Natürlich merkt man, dass sich das Filmemachen über die Jahre verändert hat. Filme sind immer schneller geworden, das gilt vor allem für die Hollywood-Blockbuster. Handyvideos haben das Sehverhalten beeinflusst, man erwartet jetzt, dass Filme schnell auf den Punkt kommen.
Immerhin ist der „Schwarzfahrer“ nur zwölf Minuten lang, da nimmt sich Ihr Film „Ala Kachuu“ mit 38 Minuten deutlich länger aus.
Brendle: Ich hatte ursprünglich mit rund 30 Minuten gerechnet. Aber wenn Sie in einem Land wie Kirgistan drehen, passiert einfach viel Unvorhergesehenes. Und so war unsere erste Schnittfassung sogar 65 Minuten lang. Mir war klar: Es gibt diese Grauzone, in der Sie auf Festivals einfach keinen Film platzieren können. Also blieb nur eins: radikal abschneiden und Tempo reinbringen!
Danquart: Was deine Analyse der Geschwindigkeit angeht: Für das kommerzielle Kino stimmt das. Aber ein Kunstfilm hat doch nach wie vor ein anderes Narrativ! Ob ein Film überlebt oder nicht, das hängt ganz wesentlich von seinem Inhalt und seiner Erzählweise ab statt von der Schnittgeschwindigkeit. Für „Am Limit“ habe ich zwei Jungs beim Klettern in einer tausend Meter hohen Felswand begleitet. Als schnell geschnittener Kletterporno voller Klimmzüge: Dafür hätte ich mich nicht hergegeben. Die Frage ist bei so einer Konstellation doch vielmehr: Was finde ich an tiefen Erzählstrukturen jenseits des bloßen Nervenkitzels?

Frau Brendle, wenn der Inhalt es hergibt und die Erzählweise stimmt, könnten Sie sich auch vorstellen, einen Blockbuster zu drehen?
Brendle: Ich bin nicht der Typ, der sagt: Hauptsache ein Blockbuster! Mir geht es um die Geschichte, und die kann sich mal in einem Dokumentarfilm besser äußern und mal in einem Spielfilm. Das gilt auch fürs Erzähltempo: Manche Filme eignen sich einfach für schnelles Erzählen und andere nicht. Wenn Sie einen Film machen, sind Sie mit einem Thema für Jahre zusammen. Da müssen Sie schon ein bisschen verliebt sein in Ihre Idee, Ihre Geschichte und Ihre Figuren. Sonst hängen die Ihnen nämlich schon bald zum Hals raus. Deshalb ist die Grundidee der Kern von allem...
Danquart: ...und der unbedingte Wille! Denn Probleme kommen immer.
Herr Danquart reiste damals von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet nach Los Angeles. Bei Ihnen ist das heute anders, oder?
Brendle: Oh ja, nach meiner Nominierung für die Shortlist gab es zwar auch schon das eine oder andere Interview. Aber nicht in dem Ausmaß, dass ich meine Termine nicht mehr unter einen Hut bekommen hätte. Mit der Nominierung änderte sich das ganz erheblich: Wie viele Nachrichten und Anfragen ich alleine über soziale Netzwerke erhalte! Ich komme nicht mal mehr dazu, alles zu lesen, geschweige denn zu beantworten.
Wir Regisseure stehen ja eigentlich hinter der Kamera, nicht davor. Da ist es schon ungewohnt, wenn man plötzlich so im Mittelpunkt steht. Auf der anderen Seite hat es natürlich auch Vorteile.
Welche?
Brendle: Normalerweise achten Sie als Regisseurin sehr darauf, wie das Publikum im Kino auf Ihren Film reagiert. Jedes Raunen, jedes kleine Geräusch ist da wichtig. Bei mir war es so: Kaum hatte ich den Film fertig, kam auch schon der Lockdown, und alle Kinos mussten schließen. Jetzt hatte ich zwar einen Film, der auf der ganzen Welt online lief, bekam aber null Publikumsreaktionen mit.
Deshalb war es für mich sehr wertvoll, dass Menschen sich die Zeit genommen haben, mich im Internet ausfindig zu machen und zu schreiben, wie sie meinen Film gefunden haben. Eine Kollegin aus Amerika schrieb mir zum Beispiel, das Publikum sei während der Vorführung aufgesprungen und habe die Hauptfigur angefeuert. Ohne sie hätte ich davon nie erfahren.

Wenn Frau Brendle jetzt also nach Hollywood fliegt, was können Sie ihr raten? Soll Sie sich zum Beispiel schon mal ein paar Dankesworte notieren? Oder bringt das Unglück?
Danquart: Also, ich hatte schon auch einen Zettel in meiner Jacke... Ansonsten: Genieße die Zeit! Solltest du gewinnen, wird es heftig, dann kommen die ganzen Agenten. Das müsstest du dir dann überlegen, was du annehmen möchtest. Vielleicht wäre auch nicht schlecht, wenn dir jemand psychologisch beisteht.
Sollte sie vielleicht gleich dort bleiben?
Danquart: Ach, ich kenne so viele Deutsche, die da gestrandet sind! Selbst wenn du hier schon große Erfolge gefeiert hast, gehst du dort sehr leicht unter.
Brendle: Vielleicht will ja auch gar nicht jede Regisseurin automatisch nach Hollywood!
Danquart: Ganz richtig. In jedem Fall hast du mit der Nominierung den größten Erfolg bereits hinter dir. Gleich zum Einstieg ins Business auf diese Weise als ernsthafte Filmemacherin wahrgenommen zu werden, das ist wahnsinnig viel wert. Die große Herausforderung wird sein, den Erfolg zu bestätigen. So unbeschwert wie bei diesem Projekt wirst du von jetzt an nicht mehr arbeiten können!
Könnte es sein, dass sie schon vorab irgendwas erfährt?
Danquart: Nein, man weiß tatsächlich nichts bis zu dem Moment, in dem es der Weltöffentlichkeit verkündet wird.
Und Hand aufs Herz: Wenn Sie Ihre Stimme abgeben, gehen Sie da ganz kühl nach Qualität oder spielt so ein bisschen südbadischer Lokalpatriotismus auch eine Rolle?
Danquart: Natürlich wird das dann eine Rolle spielen!
Die Oscarverleihung findet nach unserer Zeit in der Nacht zu Montag, 28. März, statt.