Die Musikerin Ronja Maltzahn wurde vor einigen Wochen bei einer Klima-Demo ausgeladen. Sie ist weiß und trägt als Frisur sogenannte Dreadlocks! Was erlaubt sie sich? „Kleine Kästchen, kleine Kästchen … Wir lieben es, uns in kleine Kästchen zu stecken, denn Gleichheit macht uns Angst, wenn wir gleich sind, was macht uns dann besonders?“, dieses Lied sangen wir im Theaterclub in der Schule. Aber die Frage ist: Weißes Mädchen, Dreadlocks, ist das kulturelle Aneignung?

Unsere Kolumnistin O‘tooli Fortune Haase schreibt an dieser Stelle im zweiwöchigen Wechsel mit Christoph Nix.
Unsere Kolumnistin O‘tooli Fortune Haase schreibt an dieser Stelle im zweiwöchigen Wechsel mit Christoph Nix. | Bild: Lukas Ondreka

Das lässt mich an alle denken, die in letzter Zeit online wegen etwas, das sie getragen oder veröffentlicht haben, gecancelt worden sind. Wir haben die Idee der kulturellen Wertschätzung so weit ruiniert, dass wir glauben: Jeder, der an einer Kultur teilnimmt, die nicht seine eigene ist, eigne sich diese an.

Aus jedem Haar können Dreadlocks werden

Haben wir überhaupt das Konzept der Dreadlocks verstanden? Im Grunde kann man sein Haar frei wachsen lassen, es häufig waschen, ohne es zu kämmen, und es wird sich frei zu Locken formen. Können alle Haare frei wachsen? Ja, alle Haare können das. Denn jedes Haar, das ungekämmt bleibt, kann sich zu Dreadlocks formen.

Die Locken verschiedener Kulturen mögen unterschiedliche Bedeutungen haben, spirituell, kulturell oder sonst was, aber es sind alles Dreadlocks. Der einzige Unterschied besteht darin, wie sich das Haar lockt.

Die neue Kolumne Video: Lukas Ondreka

Ich habe das Gefühl, es geht uns gar nicht darum, die Welt zu verbessern. Wir genießen es einfach, Teil eines sich als „woke“, also besonders aufgeweckt empfindenden Mobs zu sein, wir genießen die Macht, die wir bekommen, wenn wir die Karrieren anderer Menschen ruinieren.

Kulturelle Aneignung bedeutet, dass man sich die Kultur eines anderen zunutze macht und so tut, als sei es die eigene (meist aus Profitgründen) und sie nicht für den beabsichtigten Zweck verwendet. Dreadlocks aber gehören niemandem und sind auch nicht auf eine Kultur beschränkt, sie sind – anders als Zöpfe! – eine natürliche Erscheinung.

Vergangenheitsbewältigung statt Cancel-Culture

Wie können wir besser sein, wenn wir Menschen ausgrenzen und ihnen sagen: Du kannst nicht bei uns sitzen, wenn du nicht zu unserer Kultur gehörst? Wir haben als Schwarze schon genug Probleme, wollen wir da wirklich noch Zeit auf die Haartracht verschwenden?

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Ich bin dafür, dass wir uns statt der sogenannten Cancel-Culture wieder auf Vergangenheitsbewältigung besinnen. Das bedeutet: Was uns in unserer Geschichte unangenehm ist, löschen wir nicht einfach aus, sondern wir setzten uns damit auseinander, um eine friedliche zukünftige Generation hervorzubringen. Auf diese Weise sollte unsere Generation mit einigen problematischen Teilen ihrer Vergangenheit umgehen, statt die Rede- und Meinungsfreiheit zu beseitigen.

Kultur existiert in Gemeinschaften, und eine Gemeinschaft existiert im Kontext. Kultur selbst ist mehr als nur Hautfarbe. Wenn Kultur geteilt wird, wächst sie, aber wenn wir sie einschränken, stirbt diese Kultur.

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