Normalerweise gibt es „Herbie“-Sprechchöre, bevor ein Herbert-Grönemeyer-Konzert beginnt. Der Popstar rennt auf die Bühne zu den kreischenden Fans und startet seine Show mit einer rockigen Nummer. Im Luzerner Kultur- und Kongresszentrum (KKL) dagegen herrscht kurz vor dem Auftritt gespannte Ruhe. Das Orchester hat schon Platz genommen. Dann öffnet sich die Seitentür – und ein Herr – schwarzer Anzug, markante Hornbrille – betritt verlegen die Bühne.
Keine Jubelpose, kein Showgehabe, sondern ein ungläubiges Blinzeln ins Scheinwerferlicht. Das ist kein vertrautes Terrain für den 65-jährigen Künstler. Statt zum Mikrofon greift Grönemeyer an diesem Abend zum Dirigierstab. Und statt der Band im Rücken hat er das Luzerner Sinfonieorchester vor sich.
Mit dem Slawischen Marsch von Peter Tschaikowsky steht zunächst etwas dirigiertechnisch Überschaubares auf dem Programm. Er schlägt einen klaren Vierer, mit der rechten Ferse klopft er den Takt mit. Das effektvolle, knallige, mit süffigen slawischen Melodien und großen Steigerungen ausgestattete Werk läuft ohne Pannen durch. Das Orchester schaltet auf Autopilot und bringt den Marsch zum Funkeln.
Nach den triumphalen Schlussakkorden ist Herbert Grönemeyer die Erleichterung über den gelungenen Einstand anzumerken. Er bedankt sich beim Orchester, „dass sie das mit mir mitmachen“. Und spricht gerührt von „einem der schönsten Momente in meinem Leben“. In Bochum hat er einmal zur Eröffnung des neuen Konzertsaals Mozarts Jupitersymphonie dirigiert. Mehr Erfahrung als Maestro besitzt er nicht. Und er tut in Luzern auch nicht so, als hätte er sie – diese Unsicherheit, seine Selbstironie und sein großer Respekt vor der Aufgabe und vor dem Orchester machen den ungewöhnlichen Auftritt sympathisch.
Dass in Luzern Russisches auf dem Programm steht, hat mit Grönemeyers baltischen Vorfahren zu tun. Seine aus Estland stammende Mutter hat ihm als Kind russische Lieder vorgesungen. Die darin zu spürende Melancholie ist ihm vertraut – auch manche seiner Songs erzählen davon. Komponiert hat Grönemeyer schon mit 18, als er am Bochumer Schauspielhaus unter Peter Zadek zunächst als Pianist, später als musikalischer Leiter mit Theater in Berührung kam. Auch Grönemeyers Filmmusik zu „The American“ (2010) atmet dieses dunkle, schwere Pathos.
„Mensch“ mit Pauken und Trompeten
Für Luzern hat sein langjähriger Keyboarder Alfred Kritzer eine streichergrundierte Suite arrangiert, die im KKL große Emotionen beschwört. Im Mittelteil wird sein Hit „Mensch“ orchestral aufgebläht und mit Pauken und Trompeten gefeiert. Herbert Grönemeyer taucht ein in seine Musik und bringt auch dieses Orchesterwerk zu einem sicheren Ende.
Mit Sergej Rachmaninows zweitem Klavierkonzert wird die dirigentische Aufgabe wesentlich anspruchsvoller. „Ich spüre den Druck und bin nervös“, hatte Herbert Grönemeyer gegenüber dem St. Galler Tagblatt gesagt. „Denn bei diesen langen und schnellen Passagen muss ich mich unglaublich konzentrieren, damit ich dabeibleiben kann. Die Gefahr besteht, dass wir auseinanderdriften. Ich schlafe kaum und mir werden sicherlich Fehler unterlaufen.“
Nervosität ist im Vorfeld vor allem beim Management zu spüren. Da wurden Kritiker erst ein-, dann wieder ausgeladen, ehe drei Tage vor dem Konzert dann doch die Zusage aus Luzern kam. Kein Fotograf durfte Herbert Grönemeyer als Dirigent ablichten. Die selbstverständlich unerfüllte Bitte des Managements, den Text vor Erscheinen gegenlesen zu dürfen, macht auch nicht gerade den souveränsten Eindruck.
Mit Anna Vinnitskaya steht ihm aber eine erstklassige Pianistin zur Seite, die den Solopart klangschön zelebriert, aber eng mit dem Orchester kommuniziert. Herbert Grönemeyer dirigiert mit, hält das Tempo, dreht sich zu ausgewählten Pizzicati zu den Kontrabässen um und bleibt im Bilde. Dass ein Dirigent immer vorausschauend agieren sollte, weil Bläser vor dem Einsatz atmen müssen, weiß auch Grönemeyer, aber das wäre für diese anspruchsvolle Aufgabe zu viel verlangt.
Klappern und klappen
Manches klappert, aber vieles klappt. Im zweiten Satz bremst Grönemeyer gekonnt das Orchester, um die Solokadenz vorzubereiten. Auch im Finale verliert er trotz des schnellen Tempos nicht den Überblick. Am Ende ballt Grönemeyer kurz die Faust und freut sich wie ein kleiner Junge. Den stürmischen Applaus lenkt er sofort auf die Solistin und das Orchester, die ihm bei diesem Abenteuer geholfen haben. Die Balladen „Halt mich“ und „Immerfort“ gibt es als Zugabe.
Anna Vinnitskaya spielt den Klavierpart, das Luzerner Sinfonieorchester sorgt, dirigiert von Alfred Kritzer, für Opulenz. Herbert Grönemeyer singt seine Verse mit einem glücklichen Lächeln – und das elegante Luzerner Klassikpublikum feiert den Deutschen mit stehenden Ovationen, ausgelassen wie bei einem Rockkonzert.