Kaum etwas treibt die Menschen zurzeit schneller auf die Palme als die Forderung, in ihrem Sprachgebrauch mehr Sensibilität walten zu lassen. Das mag auch an Bequemlichkeit, Ignoranz und Denkfaulheit liegen. Doch es gibt einen weiteren Grund: den begründeten Eindruck, gerade die intolerantesten Sprachpuristen forderten diese Sensibilität nur dann ein, wenn sie ihrem persönlichen Weltbild entspricht.

So macht zurzeit das Wort „Privilegien„ die Runde, verbunden mit Appellen, sich dieser doch endlich einmal bewusst zu werden. Es wird dabei die Behauptung als Gewissheit verkauft, weiße Europäer seien schon von Geburt an gegenüber nichtweißen Menschen „privilegiert“.

Das könnte Sie auch interessieren

Nun legte der Kunsthistoriker Jörg Scheller unlängst in der Wochenzeitung „Die Zeit“ schlüssig dar, wie unsensibel dieser Wortgebrauch ist. Ein Privileg nämlich bezeichnet nicht einfach einen Vorteil, sondern ein aus mehr oder weniger guten Gründen eingeräumtes Vorrecht.

Junge Frauen auf einer „Black Lives Matter“-Demonstration in Stuttgart. In der aktuellen Rassismus-Debatte wird oft ...
Junge Frauen auf einer „Black Lives Matter“-Demonstration in Stuttgart. In der aktuellen Rassismus-Debatte wird oft behauptet, dass weiße Europäer von Beginn an ihres Lebens mit mehr Privilegien ausgestattet sind als Nichtweiße. Doch der Begriff ist unglücklich gewählt und das nicht nur aus sprachlicher Sicht. | Bild: Christoph Schmidt

Ein solches kann etwa an ein bestimmtes Alter (Recht auf Teilnahme an Wahlen) oder an eine erreichte Leistung (Recht auf Studienplatz) gekoppelt sein und in dieser Definition auch Anlass zu unterschiedlichster Kritik bieten. Schlicht falsch jedoch ist die Behauptung, es gebe in unserem Staat ein Vorrecht, das sich an der Hautfarbe orientiert. Im Gegenteil schließt die Verfassung diese Möglichkeit sogar explizit aus.

Vorteil statt Privileg

Warum wäre es wichtig, hier sprachsensibel von Vorteilen zu sprechen statt von Privilegien? Wer Rassismus dadurch bekämpft, dass er aus falsch zugeordneten Begriffen Pauschalurteile über ethnisch definierte Bevölkerungsgruppen ableitet, der bedient sich exakt jener Strategie, die er kritisiert.

In Wahrheit muss der Vorwurf eines allein in weißer Hautfarbe begründeten „privilegierten“ Lebens etwa in den Ohren manchen Billiglöhners der Fleischindustrie wie Hohn klingen.

Von links oder von rechts

Man staunt, wie viele Beispiele für mangelnde Sprachsensibilität sich gerade bei deren größten Verfechtern finden lassen, sobald man nur genauer hinsieht. Da ist zum Beispiel die vor Wochen heiß diskutierte Polizei-Kolumne der „taz„, die ja nicht allein durch ihre faktische Gleichsetzung von Polizisten mit Abfall auffiel, sondern auch das seltsame Wort „Müllmenschen“ in sich trug.

Damit waren offenkundig jene Arbeiter von Entsorgungsbetrieben gemeint, die sich allenfalls mit der Bezeichnung „Müllwerker“ noch angemessen beschrieben sehen. Sprachlicher Klassismus scheint völlig in Ordnung zu sein, sofern er nur von links kommt.

Das könnte Sie auch interessieren

Überhaupt: die Arbeit. Immer mehr Unternehmer erklären ihre Mitarbeiter zu Mitarbeitenden (und wollen doch selbst nicht bloß Unternehmende sein). So manchen beschleicht dabei die Ahnung, das Verantwortungsbewusstsein seines Arbeitgebers könnte schon mit dem ersten Krankheitstag ein Ende finden.

In Wahrheit sind Mitarbeitende nämlich ebenso wenig Mitarbeiter wie Lehrende gleich Lehrer sein müssen, Fußballspielende zwingend Fußballspieler sind und es sich bei Trinkenden auch um Trinker handelt.

Sensibles Sprechen? Das ist eine gute Idee. Am besten fangen diejenigen damit an, die es am lautesten einfordern.